Walverwandtschaften

Die Australierin Hannah Fraser träumte als Kind davon, eine Meerjungfrau zu sein. Sie fand ihr Glück als schöne Nixe im Einsatz für den Schutz von Meeresbewohnern

Bumerangs, natürlich, wir reden von Australien. Zwei Bumerangs, Kleiderbügel, jede Menge Industrieklebeband und diese kleinen Schwimmflossen, wie sie Kinder zum Schnorcheln anziehen – damit hat es angefangen. Und mit einer orangefarbenen Plastikplane als Überzug. Hannah Fraser war neun, als sie sich aus diversen Zubehörteilen ihren ersten Nixenschwanz bastelte und im heimischen Pool damit schwimmen übte, einen ganzen australischen Schulferiensommer lang.

Ihre Freundinnen wollten Zahnärztin werden oder Pferdetrainerin oder Kosmetikerin, aber Hannahs Berufswunsch lautete: Meerjungfrau. So wie Daryl Hannah in „Splash“. Die Mutter lächelte und ließ ihre Tochter gewähren. Und Hannah übte weiter, im Pool, mit ihrem selbst erschaffenen Schwanz. Übte das Schwimmen ohne Beine, das Luftanhalten, das Tauchen.
Drei Jahrzehnte später ist die Australierin die berühmteste Nixe der Welt. Zumindest die mit den meisten Zeitschriftencovern. Es gibt wohl kaum ein Magazin aus dem Bademoden-, Unterwasser- und Fantasybereich, das Fraser noch nicht auf der Titelseite hatte: blond, grünäugig und mit paillettenbesetztem Nixenschwanz, damit es schön glitzert.

Als Hannah Mermaid hat die 40-Jährige Werbefilme für Hotelketten und Schuhe gedreht und die Router einer australischen Telefongesellschaft präsentiert. Das American Museum of Natural History in New York projizierte für die Ausstellung „Mythic Creatures: Dragons, Unicorns, and Mermaids“ Filmaufnahmen mit ihr auf seine Fassade.

Tatsächlich bekannt geworden ist sie allerdings erst, als sie ihre Karriere als Unterwassermodel nutzte, um zu einer Fürsprecherin der Meere zu werden, für „all things ocean“, wie sie es nennt. Seitdem ist Hannah Fraser die einzige Umweltaktivistin mit Meerjungfrauenschwanz. Sie schwimmt mit Mantas, taucht mit Haien und ist bei Protestaktionen neben den Schlauchbooten anderer Demonstranten im Wasser. Eine fotogene und rhetorisch begabte Meerjungfrau als Advokatin für Delfine, Wale und Rochen? Aus PR-Sicht unschlagbar.

Am besten schaut man sich eines von Frasers Videos im Internet an, um ihren Erfolg zu verstehen. Das mit den Buckelwalen zum Beispiel, gedreht vor Tonga; die zwei Minuten, in denen sie mit einem Walhai schwimmt; oder „Mantas Last Dance“, ein Clip, der auf das Schicksal der Mantarochen aufmerksam machen soll, deren Kiemen in Asien als Potenzmittel gehandelt werden. In diesem Clip sieht es so aus, als seien nicht nur Frasers Bewegungen choreografiert, sondern auch die der Tiere. Fast scheint es, als tanzten die großen Rochen mit der Nixe, als akzeptierten sie die Fremde in ihrer Unterwasserwelt.

Wie das alles gekommen ist? Ganz allmählich. Schritt für Schritt beziehungsweise Schwanzschlag für Schwanzschlag. Abzusehen sei ihre Karriere nun wirklich nicht gewesen, sagt Fraser. Als sie zum ersten Mal am Meer wohnte, in Byron Bay an der australischen Ostküste, war sie bereits Mitte zwanzig. Sie hatte Grafikdesign studiert, keinen wirklichen Lebensplan und schreckliche Angst vor Haien. Trotzdem ging sie jeden Morgen schwimmen.
Den Rest des Tages entwarf sie Illustrationen, Logos und Grußkarten. Irgendwann meldete sie sich für ein Casting, bei dem ein Unterwassermodel gesucht wurde. „Da waren hundert großartige, langbeinige 16-Jährige am Start“, erinnert sie sich, „aber als sie tauchten, sahen sie alle aus wie sterbende Kugelfische.“ Fraser offenbar nicht. Sie bekam den Job.

Es folgten erste Cover, erste Interviews, erste öffentliche Auftritte. Und lange Bastelabende im Wohnzimmer, während denen Fraser ihren Meerjungfrauenschwanz zu einer Schwimmhilfe umbaute. Dass sie dann ziemlich schnell vom Model zur Aktivistin wurde, entschied sich bei einem Tauchgang vor Tonga in der Südsee. Fraser war mit ihrem Ehemann unterwegs, einem professionellen Unterwasserfilmer, als die beiden eine Walmutter mit Nachwuchs trafen. Das Jungtier wurde neugierig und blieb in der Nähe der beiden Taucher, die Mutter deswegen ebenfalls, die beiden Meeressäuger verständigten sich durch Laute.


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mare No. 121

No. 121April / Mai 2017

Von Stefan Nink

Stefan Nink, geboren 1965, ist am Rhein aufgewachsen und wurde als Kind immer ermahnt, bloß nicht zu nah ans Ufer zu treten, sonst würden ihn die Rheinnixen holen, die das Gold im Fluss bewachen.

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Person Von Stefan Nink
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