Volldampf ins Vergnügen

Ein Hamburger Reeder erfindet 1891 die Kreuzfahrt. Er löst eine Welle aus, die nur kurz von Kriegen und Krisen gebrochen wird

Nein, das Unbehagen muss sich aus anderer Quelle speisen. Endlose Mal ist es beschrieben worden, das wilde, das unberechenbare Meer, das den Menschen von der Weite träumen, ihn aber gleichzeitig nie die eigene Beschränktheit durch die Gewalten der Natur vergessen lässt. In einem seiner bekanntesten Lieder besingt „Element of Crime“-Frontmann Sven Regener mit einer Stimme, so schwer wie die See. „Heute wird wohl kein Schiff mehr gehen / und keiner geht vor die Tür.“ Und weiter: „Wenn hinter uns nicht der Deich wär / käm jede Hilfe zu spät. / … Ein Glas auf uns und eins auf die See.“

Die moderne Kreuzfahrt will mit diesem Mythos Schluss machen. Sie will beweisen, dass es gelingt, das wilde Meer zu zähmen und es endgültig dem Menschen untertan zu machen. Wer durch die Kataloge der Kreuzfahrtanbieter blättert, dem wird die Welt der Ozeane in handlichen Paketen zur Bestellung angeboten. Man hat die Wahl zwischen den „Highlights am Polarkreis“ oder den „Perlen am Mittelmeer“; die Kanarischen Inseln lassen sich mit Marokko oder Madeira kombinieren. Das Meer, so beschreibt es der verstorbene US-Schriftsteller David Foster Wallace in seiner buchlangen Reportage einer siebentägigen Karibikkreuzfahrt, dient den Reedereien vor allem als „Szenerie, die wie retuschiert wirkt, so hübsch ist sie“, als Szenerie für das eigentliche Geschehen, das zielgruppengerechte Bordvergnügen.

„Neben dem Mainstream erfreuen sich auch das Luxus- und das Expeditionssegment steten Wachstums; Themen- und Eventreisen sind gefragt wie nie“, schreibt der Schweizer Autor Thomas Blubacher in seiner kürzlich erschienenen „Gebrauchsanweisung für Kreuzfahrten“. Es gibt die Rainbow-Cruise für Homosexuelle, Yoga- und Feinkostreisen oder Cruises für Heavy-Metal-Freunde.

Wenn man nach Gründen forscht, warum die Kreuzfahrt so unglaublich beliebt geworden ist, warum die Passagierzahlen in Deutschland explodiert sind – von weniger als 200 000 im Jahr 1993 auf fast zwei Millionen im Jahr 2015 –, so hört man wenig über die Freiheit und das endlose Meer, aber viel über Vorhersehbarkeit und Sicherheit der Seereisen.

Der Großteil der deutschen Passagiere reist auf deutschsprachigen Schiffen. Das hat laut Autor Blubacher den Vorteil, dass Reisende „geborgen in ihrer vertrauten Kultur“ bleiben. „Sie kommunizieren in ihrer Muttersprache, verzehren gesundheitlich unbedenkliche Gerichte, finden stets serviceorientierte Ansprechpartner für alle Fragen.“ Blubacher zitiert auch das eine Argument, das Befragte häufig als größtes Plus des Seetourismus nennen: Nur auf einer Kreuzfahrt könne man an jedem Tag einen anderen touristischen Höhepunkt erleben, ohne den Koffer ein- und auspacken zu müssen.

Nein, die Abenteuerlust, die einst denen zugeschrieben wurde, die sich an Bord eines Schiffes auf die unkalkulierbare See wagten, um die Ecken der Welt zu erreichen, die dem Landreisenden verborgen bleiben, scheint irgendwann im Lauf der gut 125-jährigen Geschichte der Kreuzfahrt abhandengekommen zu sein. Wie wohl Albert Ballin auf die Nachkommen der 174 „kühnen Reisenden“ blicken würde, die sich im Januar 1891 auf seine Erfindung einließen und zur ersten Vergnügungsseereise der Geschichte aufbrachen?

Der Ballindamm flankiert die Hamburger Binnenalster auf Zentrumsseite. Die Möwen kreisen, die Hamburger rollen per Auto oder Fahrrad in stetem Fluss dahin. Die wenigsten werden wissen, wie unwahrscheinlich es war, dass einmal eine Straße ihrer Stadt diesen Namen tragen würde.

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mare No. 121

No. 121April / Mai 2017

Von Julia Friedrichs

Die einzige Kreuzfahrt, die Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, Journalistin und Buchautorin in Berlin, jemals unternommen hat, war eine kurze: Es ging nach Oslo. Da sie das Meer liebt, aber keine Buffets und kein Bordentertainment, bevorzugt sie puristische Fährfahrten.

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Vita Die einzige Kreuzfahrt, die Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, Journalistin und Buchautorin in Berlin, jemals unternommen hat, war eine kurze: Es ging nach Oslo. Da sie das Meer liebt, aber keine Buffets und kein Bordentertainment, bevorzugt sie puristische Fährfahrten.
Person Von Julia Friedrichs
Vita Die einzige Kreuzfahrt, die Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, Journalistin und Buchautorin in Berlin, jemals unternommen hat, war eine kurze: Es ging nach Oslo. Da sie das Meer liebt, aber keine Buffets und kein Bordentertainment, bevorzugt sie puristische Fährfahrten.
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