Verbotene Frucht

Nur auf den Seychellen wächst die Coco de mer – eine gigantische Nuss mit sinnlicher Form

Im Jahr 1768 machte ein Landvermesser namens Brayer du Barré die Entdeckung seines Lebens. Kaum nämlich, dass er den weißen Korallensand der Insel Praslin betreten hatte, stolperte er über eine seltsame Frucht, eine Art Kokosnuss von ungewöhnlichen Ausmaßen. Das Ding war so groß wie ein Kürbis, von graubrauner Farbe und hatte zwei höchst pikante Wölbungen. Es sah aus wie ein pralles weibliches Hinterteil, aus dessen Furche einige borstige Haare wuchsen.

Brayer du Barré gehörte zur Besatzung zweier französischer Schiffe, die, von Mauritius kommend, die Inselgruppe der Seychellen angesteuert hatten. Der Kommandant der Expedition, Chevalier Marc-Joseph Marion Dufresne, hatte den Auftrag, Praslin, die zweitgrößte Insel des Archipels, auf Bauholz hin zu untersuchen und außerdem eine Ladung der begehrten gigantischen Landschildkröten mitzubringen, die den Speisezettel in den Kolonien so angenehm bereicherten. Selbstverständlich sollte dort auch Frankreichs Fahne gehisst werden.

Brayer du Barré hielt die Luft an. War dies womöglich die legendäre Meereskokosnuss, die seit Jahrhunderten in den Köpfen so vieler Seefahrer geisterte? Dann hatte er einen Schatz gefunden! Die Briten, sagte man, zahlten bis zu 400 Pfund Sterling für eine solche Nuss. Der Franzo- se drang ins Innere der Insel vor. Er stand in einem fast urweltlichen Dickicht: überragt von gewaltigen Fächerpalmen, riesige, gerade gewachsene Stämme, Blätter, von denen ein einziges ausreichte, eine Hütte zu decken. Aus dem Blattwerk hingen Gebilde, die wie enorme Penisse aussahen. Am Boden verstreut lagen zahlreiche der sinnlichen weiblichen Nüsse. Brayer du Barré war in einen verwirrend üppigen Wald geraten.

Seit alten Zeiten wurden diese Nüsse an den Küsten Indiens, Ceylons, Indonesiens, Südafrikas, besonders aber der Malediven aufgefischt. Der portugiesische Seefahrer Fernão de Magalhães berichtete während seiner ersten Weltumsegelung (1519–1522) von schwimmenden Nüssen. Sie stammten, so erfuhr er, von einem riesenhaften Baum, der auf dem Grund des Meeres wachse und seine Früchte hinauf an die Wasseroberfläche schicke. An der Küste von Java sei manchmal, in flachen Buchten, die Baumkrone sichtbar, aber wenn man nach dem Baum tauche, verschwinde er sofort. Ein Phantom also?

Andere beunruhigende Gerüchte kursierten: Der Baum wachse vor der Küste von Java. Dort ragten die Kronen aus dem Wasser, umtost von wildester Brandung. In den Baumkronen niste ein riesiger Vogel, Garuda genannt, der im Stande sei, Elefanten, Tiger und Rhinozerosse zu zerreißen und Teile davon in sein Nest zu schleppen. Schon manche Schiffsbesatzung sei diesem Vogel zum Opfer gefallen. Ein Schiffsjunge, Überlebender eines dort gesunkenen Schiffes, sei heil im Gefieder des Vogels an Land gekommen, als dieser einen Ochsen rauben wollte. Nun kenne man den Ort. Der Riesenvogel war allerdings schon aus alten Erzählungen arabischer Seefahrer bekannt. Die Nuss blieb ein Geheimnis.

Magalhães’ Landsmann Garcia de Orta betrieb als Arzt des Vizekönigs von Goa naturwissenschaftliche Studien. Er gab 1563 die erste ausführliche Beschreibung, erwähnte auch die auffallend weiblichen Formen der Frucht und nannte sie Coco de Maldives. Schon damals kursierten auch andere Namen: Doppelkokosnuss, Coco de Salomon und Coco de mer, Meereskokosnuss. Es handelte sich dabei offenbar um den größten Pflanzensamen der Welt. Die Bewohner der Malediven, die malaiischen und chinesischen Matrosen betrachteten sie als große Kostbarkeit.

Die Mächtigen der Welt zahlten unterdessen Schwindel erregende Summen für eine Nuss. Kaiser RudolphII. von Habsburg (1552–1612) erwarb angeblich eine Coco de mer für 4000 Goldflorin. Sie soll das Erbstück eines holländischen Admirals gewesen sein, der sie vom Sultan von Bantam als Geschenk bekam. Schiffsladungen voller Handelsgüter wechselten den Besitzer für nur eine einzige dieser Nüsse, und die Maledivenfürsten wurden reich.

Den Landvermesser Brayer du Barré interessierten die alten Geschichten wenig. Er sah sich als gemachten Mann, brachte 30 der wertvollen Nüsse mit an Bord und berichtete begeistert von der Schatzkammer im Dschungel von Praslin. Schon ein Jahr später, 1769, ankerte das Schiff „L’Heureuse Marie“ vor Praslin, an Bord eine Crew aus Teilnehmern der Expedition Marion Dufresnes. Man lud das Schiff bis unter die Bordkante voll mit Nüssen und segelte damit nach Indien. Ein skurriler Goldrausch begann.


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mare No. 31

No. 31April / Mai 2002

Von Bernd Erhard Fischer und Angelika Fischer

Angelika Fischer, Jahrgang 1947, lebt als freie Fotografin in Berlin.

Bernd Erhard Fischer, Jahrgang 1948, ist Buchgestalter und Buchhersteller.

Ihr gemeinsames Buch über Leuchttürme, Bastionen des Lichts, wurde von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet. Vom 27. April an sind in der Berliner Galerie Ludwig Lange die Fotoarbeiten Coco de mer von Angelika Fischer zu sehen.

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Vita Angelika Fischer, Jahrgang 1947, lebt als freie Fotografin in Berlin.

Bernd Erhard Fischer, Jahrgang 1948, ist Buchgestalter und Buchhersteller.

Ihr gemeinsames Buch über Leuchttürme, Bastionen des Lichts, wurde von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet. Vom 27. April an sind in der Berliner Galerie Ludwig Lange die Fotoarbeiten Coco de mer von Angelika Fischer zu sehen.
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Bernd Erhard Fischer, Jahrgang 1948, ist Buchgestalter und Buchhersteller.

Ihr gemeinsames Buch über Leuchttürme, Bastionen des Lichts, wurde von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet. Vom 27. April an sind in der Berliner Galerie Ludwig Lange die Fotoarbeiten Coco de mer von Angelika Fischer zu sehen.
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