Untergrundkämpfer

Viel umstritten, hart umkämpft ist der Arktische Ozean rund um den Nordpol – vor allem wegen der Rohstoffe, die im Meeresboden vermutet werden, aber auch wegen der Nutzung neuer Seewege, die das schmelzende Eis zunehmend befahrbar macht

Der Held der Russischen Föderation und Beauftragte des russischen Präsidenten für internationale Angelegenheiten in der Arktis sieht fern. Auf dem Fernseher in der Ecke seines Büros sieht Artur Nikolajewitsch Tschilingarow, wie sein Präsident die Größe Russlands beschwört. Nur ungern dreht Tschilingarow den Ton leiser, obwohl er nun über sein Lieblingsthema sprechen soll. Als er dann doch den Kopf vom Fernseher wendet, überblickt er durch die Panoramafenster seines Büros im 19. Stock eines Sowjetplattenbaus die riesigen Ausmaße Moskaus. Und als er endlich anfängt zu erzählen, führen ihn die Bilder der Erinnerung in eine ferne, kalte Tiefe. In eine Welt, die zu Russland gehören soll, aber so abgeschieden ist, dass selbst Tschilingarow, der schon für die Sowjetunion in der Arktis und Antarktis unterwegs war, sagt, die Reise dorthin sei die gefährlichste seines Lebens gewesen.

Für diese Reise bestieg Artur Nikolajewitsch Tschilingarow am 2. August 2007 ein kleines russisches U-Boot mit dem Namen „Mir-1“. „Mir“ bedeutet „Frieden“, aber ob seine Absichten friedliche waren, darüber lässt sich streiten. Tschilingarow tauchte gemeinsam mit zwei Kollegen auf den Grund des Arktischen Ozeans, 4261 Meter unter das Eis, hinab zum geografischen Nordpol. Dorthin, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen war. Ein zweites russisches U-Boot folgte kurze Zeit später. Als er angekommen war, nahm Tschilingarow einige Bodenproben und hinterließ eine einen Meter hohe russische Flagge, gefertigt aus Titan, rostfrei. Beim Auftauchen kam es vor allem darauf an, das Loch im Eis wiederzufinden, durch das er eingetaucht war. „Dafür muss man sehr routiniert sein“, sagt Tschilingarow. „Neun Stunden waren wir unten. Das hat noch niemand zuvor geschafft.“

Für die erfolgreiche Expedition wurde Tschilingarow als „Held der Russischen Föderation“ ausgezeichnet. Auf seiner Fensterbank steht ein Modell des U-Bootes, eine Minikopie der Flagge ziert den Schreibtisch. Der Polarheld, ehemaliger Dumaabgeordneter und Vizepräsident der Russischen Geografischen Gesellschaft, bemüht sich zu versichern, dass diese Expedition allein Forschungszwecken diente. „Das hatte mit Politik nichts zu tun.“ Aber doch immerhin mit der Frage:

Wem gehört der Nordpol?

Die Expedition war geeignet, mehr als nur die gräulichen Ablagerungen aufzuwirbeln, die Tschilingarow am Meeresgrund gesehen hat. Ein angesäuerter Sprecher des amerikanischen Außenministeriums erklärte, dass es ihm völlig egal sei, ob die Russen dort unten eine Metallflagge, eine Gummiflagge oder ein Bettlaken abgelegt hätten. „Jedenfalls hat es keinerlei rechtliche Bedeutung oder Wirkung für ihren Anspruch.“ Und der kanadische Außenminister ätzte: „Wir leben nicht mehr im 15. Jahrhundert. Sie können nicht einfach da runtertauchen und sagen: Das ist meins.“

Wem gehört der Nordpol? Zunächst einmal sind alle Gebiete nördlich des Polarkreises Teil der Arktis, also auch die Landmassen Europas, Asiens und Nordamerikas, mit ihren Permafrostregionen, in denen die Böden das ganze Jahr hindurch vereist sind. Rund vier Millionen Menschen leben im hohen Norden. Das Zentrum der Region bildet das Nordpolarmeer. Wenn man die Frage stellt, wem die Arktis gehört, dann geht es eigentlich um die Frage, wem dieser zu großen Teilen von Eis bedeckte Ozean gehört. Er verbindet – oder trennt – die drei Kontinente. Mitten darin liegt der geografische Nordpol: ein mythischer Ort in einer Gegend, die sich dramatisch verändert. Im Sommer 2012 schmolz die Eisdecke des Arktischen Ozeans so stark wie in noch keinem Sommer seit Beginn der Messungen 1979. Im Vergleich mit dem Mittelwert bis zum Jahr 2000 schrumpfte sie um rund vier Millionen Quadratkilometer, ein Gebiet etwa so groß wie die EU.

Der Rückgang des Eises lässt die Arktis als einen immer wertvolleren Wirtschaftsraum erscheinen. 13 Prozent des noch unentdeckten Erdöls und gut 30 Prozent der Erdgasressourcen könnten sich hier unter dem Meeresboden befinden. In Zeiten des Klimawandels sind das die Zahlen, die Beobachter von einem Wettlauf der arktischen Mächte zum Nordpol sprechen lassen. Zahlen wie eine Droge, die im unwirtlichen Norden einen Goldrausch ausgelöst haben: Wenn zurückgehendes Eis die Ressourcen freigibt, wenn einst unschiffbare Routen schiffbar werden und den Seeweg etwa zwischen Europa und Korea um 4000 Seemeilen verkürzen – dann gewinnt die Frage an Bedeutung, wer den Zugang zu dieser Region und den möglichen Schätzen, die ihr Boden birgt, kontrolliert. Klar ist, dass die fünf Staaten, die den Arktischen Ozean unmittelbar umgeben – Russland, Norwegen, Dänemark (über den autonomen Landesteil Grönland), Kanada und die USA (über Alaska) –, ihr Interesse angemeldet haben. Aber wer hat darüber zu entscheiden?

Eine Verfassung der Meere

Wer sich auf die Suche macht nach einem Ort, an dem es um Haben oder Nichthaben in der Arktis geht, der muss ausgerechnet in die Karibik fahren. In Kingston, Jamaika, hat die Internationale Meeresbodenbehörde ihren Sitz. Diese Behörde reguliert den Abbau von Rohstoffen auf und unter dem Meeresboden überall dort, wo nicht Nationalstaaten zuständig sind. Der Weg zum Generalsekretär der Behörde, dem Ghanaer Nii Allotey Odunton, führt über blaue Teppiche, durch blaue Türen an Zierpalmen vorbei zu einer Sitzgarnitur. Die Klimaanlage brummt. Draußen sind es 30 Grad.

Wie denn im Moment der rechtliche Status des Arktischen Ozeans sei? „Er ist noch nicht geklärt.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 96. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 96

No. 96Februar / März 2013

Von Judith Scholter und Walther-Maria Scheid

Judith Scholter, Jahrgang 1980, ist in Schweden aufgewachsen und hat schon auf der Schlittschuhbahn gelernt, dass es nicht egal ist, wer sonst noch auf dem Eis ist.

Judith ScholterWalther-Maria Scheid, geboren 1969, bildender Künstler und Illustrator, lebt in Berlin und wünscht sich seit Langem, die polaren Meere zu bereisen. Zeichnerisch hat er das nördliche nun schon einmal erkundet.

Mehr Informationen
Vita Judith Scholter, Jahrgang 1980, ist in Schweden aufgewachsen und hat schon auf der Schlittschuhbahn gelernt, dass es nicht egal ist, wer sonst noch auf dem Eis ist.

Judith ScholterWalther-Maria Scheid, geboren 1969, bildender Künstler und Illustrator, lebt in Berlin und wünscht sich seit Langem, die polaren Meere zu bereisen. Zeichnerisch hat er das nördliche nun schon einmal erkundet.
Person Von Judith Scholter und Walther-Maria Scheid
Vita Judith Scholter, Jahrgang 1980, ist in Schweden aufgewachsen und hat schon auf der Schlittschuhbahn gelernt, dass es nicht egal ist, wer sonst noch auf dem Eis ist.

Judith ScholterWalther-Maria Scheid, geboren 1969, bildender Künstler und Illustrator, lebt in Berlin und wünscht sich seit Langem, die polaren Meere zu bereisen. Zeichnerisch hat er das nördliche nun schon einmal erkundet.
Person Von Judith Scholter und Walther-Maria Scheid