Untergang in L. A.

Wie sich Disneys Trickfilmer das Leben in Atlantis vorstellen

27. Mai 2001

Schon wieder spät dran!

Auf dem Weg zu den Kassen hetze ich mit meinem gegrillten Hähnchen durch den Supermarkt und entdecke, dass man, hier und jetzt in meinem Vons-Supermarkt in Santa Clarita, California, schon „Atlantis“-Frühstücksflocken kaufen kann – auch wenn „Atlantis“ erst in zwei Wochen und fünf Tagen überall zu sehen sein wird [Notiz an mich: Rausfinden, wie das rechtlich abgesichert ist. Sind die amerikanischen Multiplex-Kinos das einzige „Überall“ auf diesem Planeten? Das würde Gertrude Steins berühmtem Kommentar „There is no ,there‘ there“ eine neue Bedeutung geben ...]. Aber ich bin spät dran, will bei Mike ankommen, bevor das Hühnchen kalt ist, und beschließe, weitere Untersuchungen auf später zu verschieben.


29. Mai 2001

Habe noch keinerlei Presseerklärung von den „Atlantis“-Leuten bekommen und entscheide mich für ein kleines Internet-Abenteuer, um an Informationen zu kommen. www.atlantis.com bietet sich als Ausgangspunkt an, stellt sich aber als ein Ferienort auf den Bahamas heraus.

Ich schaffe es nicht, auf die offizielle Website zu gelangen, bevor mein Computer abstürzt, schnappe aber in einer Online-Zeitung die interessante Information auf, die Co-Regisseure hätten die Idee zum Film in einem mexikanischen Restaurant in Burbank gehabt.

Hoffentlich finde ich diese Website wieder: Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie im Detail beschrieben haben, was die Regisseure zu essen bestellt haben, und das will ich unbedingt wissen.


1. Juni 2001

Das Pressepaket kommt an. Während „cool“ nur drei Mal vorkommt, taucht das Wort „Spaß“ elf Mal auf. Ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Außerdem finde ich heraus, dass das „J.“ in Michael J. Fox gar nicht seine richtige mittlere Initiale ist. Sein zweiter Vorname ist Andrew! Am Ende der 15 Seiten langen Danksagung wird darüber informiert, dass ein Buch zum Film und ein CD-Rom-Spiel vorliegen und auch bald der Soundtrack rauskommen soll.

Ich hoffe, wir kriegen diese Sachen bei der Presse-Preview des Films zu sehen. Ich möchte nichts verpassen.


2. Juni 2001

Mein Freund Nathaniel schlägt mir vor, wegen der Filmwerbung den Disney-Kanal einzuschalten, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir den überhaupt reinkriegen.

Auf ABC bringen sie Disney-Zeichentrickfilme, und ich komme zu dem Schluss, dass das eine gute Vorbereitung auf den Film ist.

Ich gucke eine Stunde, bevor eine kurze, unspektakuläre Werbung für „Atlantis“ gezeigt wird.

Die Werbespots für Cornflakes (drei Mal), Fast Food (vier Mal) und Snack Food (zwei Mal) finde ich viel interessanter. Der beste ist der mit der Mutter, die sich in einem Rülpswettbewerb nach einer Burger-King-Mahlzeit gegen ihre Kinder als Gewinnerin durchsetzt [Notiz an mich: Burger King kontaktieren und sicherstellen, dass ich das richtig verstanden habe].

Niemand scheint firmeneigene Produkte mit kostenlosem „Atlantis“-Spielzeug anzupreisen. Vielleicht gibt es die noch gar nicht?


3. Juni 2001

Der große Tag ...

Ich kann meine Aufregung kaum verbergen und habe meine Freundin Tamara eingeladen mitzukommen. Sie will die Erste in ihrer Straße sein, die den Film gesehen hat. Ich hoffe, das stört die Disney-Leute nicht.

Wir kommen früh an, eine glückliche Fügung, weil das Kino sehr schwer zu finden ist. Wir sind nicht die Einzigen, die orientierungslos durch die Gegend laufen: Auf der Treppe oberhalb des „Russian Roulette“-Clubs hören wir, wie eine Frau mit starkem Akzent herumfragt: „Wo ist ,Atlantis‘?“

Wir müssen nah dran sein. Einige Journalisten laufen mit schicken weißen Tüten herum, aber für mich ist so was anscheinend nicht vorgesehen. Ich bin etwas besorgt. Vielleicht hat das Pressebüro herausbekommen, dass ich gar kein „echter“ Filmkritiker bin. Aber wenigstens kriegen wir alle einen Gutschein für einen großen Berg Popcorn und einen riesigen Softdrink. (Die Nachos, auf die ich mich so gefreut hatte, weil die Regisseure angeblich auch welche gegessen haben, als sie die Idee für den Film hatten, scheinen ihnen ausgegangen zu sein.)

Ich fotografiere das Popcorn und gehe in den Plüschkinosaal.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 28. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 28

No. 28Oktober / November 2001

Von David Reed

David Reed, Jahrgang 1963, lebt als Filmemacher und Medienkritiker in Los Angeles, wo er an der University of Southern California auch Fotografie lehrt. Schon bei dem letzten großen amerikanischen Medienereignis, der Lewinsky-Affäre, interessierten ihn die Randerscheinungen.

Aus dem Amerikanischen von Annette Grund

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Vita David Reed, Jahrgang 1963, lebt als Filmemacher und Medienkritiker in Los Angeles, wo er an der University of Southern California auch Fotografie lehrt. Schon bei dem letzten großen amerikanischen Medienereignis, der Lewinsky-Affäre, interessierten ihn die Randerscheinungen.

Aus dem Amerikanischen von Annette Grund
Person Von David Reed
Vita David Reed, Jahrgang 1963, lebt als Filmemacher und Medienkritiker in Los Angeles, wo er an der University of Southern California auch Fotografie lehrt. Schon bei dem letzten großen amerikanischen Medienereignis, der Lewinsky-Affäre, interessierten ihn die Randerscheinungen.

Aus dem Amerikanischen von Annette Grund
Person Von David Reed