Unendliche Weiten

Cook und Kirk, „Endeavour“ und „Enterprise“, parallele Welten

Der Himmel ist glühend rot, die Vegetation tropisch, und die Felsen sehen aus, als seien sie aus Pappmaché. „Nettes Plätzchen", sagt der Schiffsarzt. Der Kapitän ergänzt: „Überwältigende Natur." Der Wissenschaftler erkennt mithilfe seiner Ins-trumente: „Sehr gute Erde. Sie ist bemerkenswert fruchtbar, Captain." Später bekommen die Entdecker von Einheimischen Blumenkränze umgelegt. Südseeidyll.

Aber dann dreht sich eines dieser tropischen Gewächse plötzlich herum - und feuert seinen Samen in die Brust eines Mannes. Es dampft, er fällt um, es raschelt im Gebüsch, Steinbrocken explodieren. Die naiven Eingeborenen tragen weiße Perücken und gehorchen ihrem Gott Vaal, einem Supercomputer, der sich im Dschungel hinter einer Art Drachenkopf verbirgt und dem Raumschiff im Orbit Energie absaugt. Captain James Kirk notiert in seinem Logbuch die Sternzeit 3715.0.

Im 23. Jahrhundert geraten die Helden des Raumschiffs „Enterprise" genauso ins Schwitzen wie James Cook und seine Mannschaft 500 Jahre zuvor. Die amerikanische Fernsehserie erinnert im Aufbau und in vielen Details an die Entdeckungsfahrten der britischen HMS „Endeavour", die mit ihrer 94 Mann starken Besatzung zunächst drei Jahre unterwegs ist, „um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele tausend Seemeilen von England entfernt dringt die ,Endeavour' in Gegenden vor, die nie zuvor ein Europäer gesehen hat". Nur eben ohne Warp-Antrieb und ohne Hand-Phaser.

In seinem zweiten Logbuch über die Fahrt auf der „Resolution" von 1772 bis 1775 notiert Cook, er sei weiter gefahren „als irgendein anderer Mann vor mir- so weit, wie es für einen Mann überhaupt möglich ist". Im englischen Original stimmt der Satz mit dem Eingangsmotto zu „Star Trek" noch deutlicher überein. Die Südsee, unendliche Weiten.

Die Entdeckungsfahrten des Raumschiffs „Enterprise" in den Jahren 2264 bis 2269 waren Mitte der sechziger Jahre etwas Neues im Fernsehen: eine ernsthafte Science-Fiction-Serie, die sich mit philosophischen und gesellschaftspolitischen Themen befasste. Die in Fankreisen kultische Verehrung des Kitsches - die schlechten Kulissen, das hölzerne Spiel der Darsteller, die plüschigen Monsterkostüme und die homoerotischen Signale zwischen Spock und Kirk - kam erst im Lauf der Jahre. Erfinder Gene Roddenberry, ein damals 44 Jahre alter Drehbuchautor, hatte klare Vorstellungen von den Aussagen seiner Helden. Der Aufbruchgeist der Zeit und die Vorliebe für Miniröcke waren deutlich zu spüren. Die Utopie interkultureller Zusammenarbeit wurde an Bord verwirklicht, weshalb neben dem Vulkanier Spock der Russe Chechov und der Asiate Sulu auf der Kommandobrücke sitzen. Der schwarzen Kommunikationsoffizierin Nyota Uhura gibt Captain Kirk 1968 den ersten schwarz-weißen Kuss der Fernsehgeschichte, allerdings unter Zwang, weil der böse Platonier Parmen telepathische Kräfte besitzt, Sternzeit 4842.6. Etliche amerikanische TV-Sender weigerten sich deshalb, die Folge „Platons Stiefkinder" aus-zustrahlen.

Captain Kirk ist überhaupt Frauen in den neuen Welten stets zugänglich, besonders üppigen Blondinen in knappen Fantasiekostümen. In der Folge „Der Obelisk" erleidet Kirk auf einem namenlosen Planeten Gedächtnisverlust, lebt mit der Prinzessin Miramanee zusammen und schwängert sie. Er wird zum Häuptling Kirok - was „Pille" McCoy zu der Analyse veranlasst, man habe es mit dem „Tahiti-Syn-drom" zu tun. Captain Cook hingegen lehnte mit britischer Disziplin jeglichen sexuellen Kontakt zu Inselfrauen ab.

Englische Seefahrer wie Cook, Bligh und Hornblower standen bei der Konzeption des Captain Kirk Pate. Sein Ethos ist das eines britischen Gentleman. Er sagt: „Meine Welt ist mein Schiff, mein Eid und meine Crew." Roddenberry übernahm außerdem das vornehme nautische Vokabular und hielt sich eng an die Entdeckerphilosophie James Cooks. Kirk besteht auf die unbedingt friedliche Mission seiner Fahrt, alle fremden Wesen werden freundlich begrüßt, auch wenn Doc McCoy oder Scotty misstrauisch sind. Mister Spock verkündet in der Folge „Brot und Spiele" die oberste Direktive der Raumbehörde: „Keine Ein-mischung in die gesellschaftliche Struktur des Planeten", Sternzeit 4040.7. Bei Cook klingt das ähnlich. Am 13. April 1769 notiert er in sein Logbuch die Regeln für den Tahiti-Aufenthalt: „Auf jede geziemende Weise ist eine Freundschaft mit den Eingeborenen anzustreben. Sie sind mit äußerster Freundlichkeit zu behandeln."

Überhaupt, das Computerlogbuch. Der Captain fasst die Handlung von „Raumschiff Enterprise" zu Beginn und nach den Werbeblöcken zusammen. Kirk diktiert auf der Brücke in seinen Stuhl oder in einen etwas plumpen schwarzen Kasten, der auch im Jahr 2267 noch Tonbänder beinhaltet. Der manchmal umständ-liche Ton entspricht den weitschweifigen Ausführungen der Cookschen Logbücher. Bei der Sternzeit haben „Star Trek"-affine Mathematiker lange gerechnet, um eine Begründung zu finden. Ohne Erfolg. Gene Roddenberry selbst erklärte schließlich die Schwankungen der Sternzeit. Sie reagierten auf „Verschiebungen in der relativen Zeit", und diese rührten von der Warp-Geschwindigkeit der Schiffe her. Man muss das glauben, sonst könnte man auch das Beamen infrage stellen. Aber wer will das schon?


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mare No. 55

No. 55April / Mai 2006

Von Holger Kreitling

Holger Kreitling ist Feuilletonist der Berliner Tageszeitung Die Welt. Er konnte die Erstausstrahlung von „Raumschiff Enterprise" 1973 nur deshalb sehen, weil sein Vater zur parallel gesendeten „Sportschau" in die Kneipe ging.

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Vita Holger Kreitling ist Feuilletonist der Berliner Tageszeitung Die Welt. Er konnte die Erstausstrahlung von „Raumschiff Enterprise" 1973 nur deshalb sehen, weil sein Vater zur parallel gesendeten „Sportschau" in die Kneipe ging.
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Vita Holger Kreitling ist Feuilletonist der Berliner Tageszeitung Die Welt. Er konnte die Erstausstrahlung von „Raumschiff Enterprise" 1973 nur deshalb sehen, weil sein Vater zur parallel gesendeten „Sportschau" in die Kneipe ging.
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