Überlebenskünstler

Kein bisschen anspruchslos: Pflanzen auf den Halligen brauchen besondere Qualitäten zum Leben in den salzigen Marschen

Salz ist der Stoff, der das Gesicht der Halligen prägt. Mit jedem „Land unter“ trägt die Nordsee Salz heran. Mit dem Meerwasser dringt es in den Boden ein, und wenn das Wasser wieder geht und die Lachen langsam austrocknen, bleibt es als glitzernde Schicht auf dem Boden, auf Blättern und Stängeln zurück.

Hier kann nur überleben, wer dem Salz etwas entgegenzusetzen hat, denn Salz ist absolut tödlich, zumindest für Pflanzen. Salz wirkt wie die Sonne in der Wüste. Es saugt Pflanzen geradezu aus. Auf den Halligen aber gibt es Überlebenskünstler, Pflanzen, die einige Tricks auf Lager haben, um sich des Salzes zu erwehren. Man nennt sie Salzpflanzen oder Halophyten. Sie leben in den Salzwiesen.

Einer der schönsten Überlebenskünstler ist der Gewöhnliche Strandflieder, eine Pflanze mit kniehohen Ästchen, die im Hochsommer blüht und die Salzwiesen in violett leuchtende Teppiche verwandelt. Dann gibt es den Queller, der zwischen Watt und Land ganz am Rand der Salzwiesen lebt und oft überflutet wird. Der Queller ist ein grünes Pflänzchen mit dicklichen Ästen, die sich wie die Arme eines Kaktus emporstrecken. Im Spätsommer, wenn der Queller abstirbt, verfärbt er sich. Dann entflammen die Ränder der Salzwiesen in warmem Rot.

Auf den Halligen wachsen viele verschiedene Salzwiesenpflanzen, das kleine struppige Andelgras, der Strandwermut, der aromatisch duftet, wenn man seine Blätter zerreibt, die Portulak-Keilmelde mit ihren dicken, bemehlten Blättern und noch etwa zwei Dutzend anderer Spezies. Und alle haben dasselbe Problem: das Salz. Ihr Verhältnis zum Salz ist paradox, denn einerseits müssen sie Salz aufnehmen, um nicht zu vertrocknen, andererseits müssen sie das Salz wieder loswerden, um daran nicht zugrunde zu gehen.

Die Ursache für dieses Paradoxon ist ein physikalisches Phänomen, das man als Osmose bezeichnet: Trennt man zwei Flüssigkeiten unterschiedlicher Salzkonzentration mit einer wasserdurchlässigen Membran, so fließt das Wasser aus der Flüssigkeit mit geringem Salzgehalt durch die Membran in die höher konzentrierte Flüssigkeit. Wasser hat also die Tendenz, hohe Konzentrationen auszudünnen. In salzigen Böden führt das dazu, dass Pflanzen über ihre Wurzeln Wasser an den Boden verlieren, weil die Salzkonzentration dort höher ist. Das ist auch in den Salzwiesen der Fall: Gewöhnliche Pflanzen sterben. Die Halophyten aber verfügen über einen Mechanismus, der mit dem Saugen an einem Strohhalm vergleichbar ist. Sie lagern in ihrem Gewebe so lange Salz ein, bis die Salzkonzentration in der Pflanze jene im Boden übersteigt und das Wasser aus dem salzigen Boden in die Pflanze einströmt.

Doch damit handeln sich die Pflanzen ein weiteres Problem ein. Salz im Gewebe ist gefährlich, weil es auch im Pflanzeninneren seine osmotische Wirkung entfaltet. Nimmt die Salzkonzentration in der Pflanze zu, dann sickert das Wasser aus den Pflanzenzellen. Die Zellen schrumpfen, die Blätter welken. Exitus.

Die Salzpflanzen aber haben Methoden entwickelt, um das Salz in ihrem Inneren zu neutralisieren. Der Gewöhnliche Strandflieder besitzt unzählige kleine Salzdrüsen, über die er das Salz wieder ausscheidet. Diese sitzen dicht an dicht auf den Blättern. Je Quadratzentimeter Blattfläche sind es etwa 3000. Auch die Strand-Grasnelke mit ihrem rosaroten Köpfchen oder das unauffällige Milchkraut entsorgen das Salz nach diesem Drüsenprinzip. Allerdings kostet das viel Energie, denn die Salze werden mit einer Art biochemischer Pumpe durch kleine Öffnungen aus den Drüsenzellen geschleust.

Der Queller macht es anders. Er scheidet das Salz nicht aus, sondern speichert es in den Vakuolen, kleinen Bläschen im Inneren seiner Zellen. Diese Vakuolen dienen als eine Art Lagerraum. Dem Gesetz der Osmose folgend, müsste das Wasser eigentlich aus den Zellen in die salzhaltigen Vakuolen strömen. Die Zellen müssten absterben. Der Queller aber verhindert das, indem er Wasser in die Vakuolen pumpt und so die Salzlösung verdünnt. Daher die dickfleischige Gestalt. Irgendwann aber ist selbst die dickste Vakuole voll und die Salzspeicherkapazität erschöpft. Und so geht der Queller zum Herbst hin ein.


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mare No. 122

No. 122Juni / Juli 2017

Von Tim Schröder

Die Salzwiesen lernte der Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, als Zivildienstleistender an der Nordsee kennen. Sein Lieblingsplatz: die Salzwiesen am Westerhever Leuchtturm auf der Halbinsel Eiderstedt.

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Vita Die Salzwiesen lernte der Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, als Zivildienstleistender an der Nordsee kennen. Sein Lieblingsplatz: die Salzwiesen am Westerhever Leuchtturm auf der Halbinsel Eiderstedt.
Person Von Tim Schröder
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