Über die bösen, fetten Enten

Nur ein toter Pinguin ist ein guter Pinguin. Gedanken einer depressiven Sardelle über ihren schlimmsten Feind

§1 „Homo hominis pinguinis.“
Thomas Hobbes, englischer Philosoph (1588–1679)

Singe, o Muse, o singe den Zorn der ewig gejagten Sardelle! Wie putzig, wie niedlich, wie süß, wie täppisch, denken Sie? Mein Gott, sind Sie naiv! Schließen Sie doch bitte nicht von Ihren Opernbällen und Galadiners auf die böse, grausame, eiskalte Mutter Natur, bei der bekanntlich der Tod ein Kunstgriff ist, um noch mehr Leben zu haben. Bei Ihnen ist es alles ganz anders. Bei Ihnen verbürgt ein schöner Schein ein schönes Sein; haben Sie es gut: Sie leben in der Wahrheit. Bei Ihnen ist der Frack die „Uniform der Gesittung“, wie der Hausgott Ihres Salzwasserblattes, Thomas Mann, der Dauerfrackträger, irgendwo drechselt. Johannes Heesters, Herbert von Karajan und Claudio Abbado haben doch keine Brutfalte sonstwo sitzen, würgen keine ekligen Fischreste hervor und legen keine Eier, oder? Und wie schrieb schon Fischfreund Friedrich Schiller – man denke an die Schillerlocken – in seinem „Fiesco“?

Einen Pinguin fangen ist groß, einen Pinguin wegwerfen ist göttlich!


§2 „Ein Pinguin geht um in Europa.“

Karl Marx, deutscher Philosoph und Nationalökonom (1818–1883)

Fallen Sie doch bitte nicht auf die angeblich so netten Pinguine herein! Pinguine sind böse, fette Enten, die nach Fisch riechen, nicht einmal fliegen können, und der Frack ist nur Tarnung. Pinguine sind aggressiv und bissig und untreu sowieso. Die Biester rotten sich vor zauberhafter Kulisse zusammen, plaudern, watscheln herum und machen auf hilflos mit den ach so stummeligen Flügelchen.

Alles Bluff und Trick; Pinguine lieben den Dreck, in dem sie knietief stehen, und oben ist alles schön sauber. Pinguine klären, wenn sie zusammenhocken, nur ab, wie sie kleine, wehrlose Tiere am besten fangen und verschlucken können. Nach dem falschen Getuschel kommt die Jagd; der Frack ist ein Taucheranzug, der plaudernde Bonvivant wird zum Killer: schwarz von oben, weiß von unten. Und unsereins muss ums Leben bangen. Der Rest ist abseitige Trachtenforschung. Wenn Goethe im Faust singt „Schwankes Leben ohne Leid“ – redete er da von den taumelnden Pinguinen mit dem falschen Grinsen der Unterdrücker? Nein, mitnichten. Er meinte uns: selige Sardellen in einer Welt ohne Pinguine.

Es wird Zeit, dass einmal Licht ins Dunkel dieser eiskalten Brut gebracht wird, dass die Menschheit die hässliche Wahrheit über diese feine Gesellschaft erfährt. „Pinguis“, lat.: „fett, gut genährt“. Ja, wovon denn? Auf wessen Kosten denn? Cui bono? Pinguine sind die Falschmünzer der Meere: an Land feine Pinkel, im Ozean zeigen sie ihr wahres Gesicht. Ich kann ein Lied davon singen, auch unter Wasser, wenn’s sein muss. Sie werden es schon noch merken.


§3 „Ich verabscheue Pinguine!“
Jacques Derrida, französischer Sprach- und Kulturphilosoph (*1930)

Es gibt nicht einen Pinguin, es gibt immer nur viele Pinguine: Pinguine als Mehrzahl und als Gesellschaft. Wie Sonette und Novellen nur als Kränze denkbar sind und ein Gnu nur selten allein durchkommt, so heißt der Fundamentalsatz: Pinguinis multitudinis immensa contra sardella minor pauper.

Ein einsamer Pinguin ist ein toter Pinguin; niemand hält ihn warm. Er ist übrig geblieben, das Buffet ist verzehrt, die Geschäfte sind abgeschlossen, die Party ist vorbei. Ein einzelner Pinguin ist sinnlos ohne Differenz zu anderen Pinguinen; er kann seine Selbstdekonstruktion tarnen als ein Ausrutschen auf dem glatten Parkett des ewigen Eises dieser sauberen Gesellschaft; Pinguin mit Genickbruch. So sorgt diese „society“ noch für den, der den Anschluss verpasst.

Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum der Anblick eines einsamen Frackträgers auf irgendeiner Eisscholle so unendlich deprimierend ist? Ihre melancholische Intuition ist richtig – Penguin Books kauft man allein schon aus Mitleid mit dem trostlosen Single auf dem Cover. Ergo: Pinguine existieren nur im Pluralis. Meiner Meinung nach sind es immer zu viele. Auf dem weißen Eis sehen sie aus wie bewegliche Buchstaben, eine Rotte von Metonymien, ein Metapherngesindel, ein bewegliches Heer lebender Lettern. Sie konstellieren eine einzige Sinnfigur: Sardellen fressen.


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mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Traktat von Eckart Goebel

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Illustration: Heidi Kull

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Person Traktat von Eckart Goebel
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