Tycoon der Meere

Hochbegabter Manager, Ikone der modernen Wirtschaft – und als Jude ein Außenseiter: Der Hamburger Albert Ballin machte die Reederei­ Hapag zu einem Global Player der Weltschifffahrt

Seine erste große Weltreise bringt Albert Ballin gleich geschmacklich an seine Grenzen. Im Januar 1901 hat sich der Chef der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) mit Frau Marianne nach Asien und in die USA eingeschifft, neue Geschäftsfelder ausloten. Globalisierung, persönlich überprüft. 

Doch Ballin hat jede Menge zu mäkeln, macht sich schon während der Fahrt Notizen in seinem gefürchteten Notizbuch: Die Wandschränke an Bord klemmen, das Brot ist falsch gelagert, und die Bedienung mache einen „verwilderten Eindruck“. Angekommen in China, wird es nicht besser. Das Essen – Haifischflossen, Vogelnester – findet der 43-Jährige „in höchstem Maße widerlich“. Und die Sängerinnen würden während der Diners „schreckliche Lieder heulen“. 

Auch betriebswirtschaftlich zerpflückt der Chef den Einsatz der großen Hapag-Postschiffe auf der Route Hamburg–Shanghai: „ein Fehlgriff“, viel zu teuer. Das Ehepaar reist weiter an die US-Westküste, dann nach New York. Anschließend richtet Ballin erstmals eine Verbindung zwischen Deutschland und der Pazifikküste der USA ein. Es ist ein großer Sprung in die Moderne. 

„Geschäftlich bin ich mit meiner Reise sehr zufrieden“, schreibt er einem engen Freund. Seine Firma „umspannt mit ihren Verbindungen dann die Welt“. 

Albert Ballin, dieser kleine, quirlige Mann, immer tadellos gekleidet, ist als Chef der größten deutschen Reederei zugleich auch so etwas wie der deutsche Generaldirektor der Globalisierung. Der Höhepunkt seiner Karriere wird noch kommen. Doch schon jetzt zeigt sich: Hier hat sich ein Ausnahmetalent an die Spitze der Hapag gepusht. Ein Mann, der geschickt mit den Traditionen der alteingesessenen Reederfamilien Hamburgs bricht und sich – obwohl Jude in einem Land mit starken antisemitischen Strömungen – den höchsten Respekt erarbeitet. Der erste moderne deutsche Manager. 

Dass er es so weit schafft, ist keine Selbstverständlichkeit. Ballin wird 1857 geboren, das jüngste von 13 Kindern, und wächst am Hamburger Hafen auf. Ein Alltag am finanziellen Abgrund. Der Lärm und die Seeleute mit ihrem Plattdeutsch prägen seine Kindheit. Der Vater unterhält am Baumwall eine kleine Agentur, vermittelt Schiffsreisen für Ausreisewillige, die es zu Zehntausenden nach Übersee drängt. 

Nach dessen Tod steigt Ballin 1874 mit nur 17 Jahren ein – und legt mit Morris & Co einen beeindruckenden Aufstieg hin. Er überredet einen Reeder, zwei Frachter umzubauen und im Laderaum Auswanderer zu transportieren. Es ist der Beginn der Billigreisen, für nur 82 Reichsmark nach New York. Ballin lockt mit einem entscheidenden Vorteil: Die Reisenden dürfen sich erstmals frei auf dem ganzen Schiff be­wegen – bislang war das ein kostspieliges Privileg der Kajütenpassagiere. 

Nur 600 Meter entfernt, in einem unscheinbaren Gebäude an der Deichstraße, runzeln die Hapag-Direktoren die Stirn über so viel Dreistigkeit, noch dazu eines jungen Juden. Bislang hatten die Hapag und ihr mächtiger Konkurrent aus Bremen, der Norddeutsche Lloyd, das Fracht- und Passagiergeschäft zum Großteil fest unter sich aufgeteilt. Bis Albert Ballin kommt. 

Für Susanne Wiborg ist klar, dass die Billigtickets ein „Frontalangriff auf die Hapag“ sind. Die 66-jährige Historikerin und Buchautorin ist wie kaum jemand anderes in die Welt von Ballin abgetaucht, hat gemeinsam mit ihrem Vater eine mehr als 400-seitige Jubiläumsschrift über Ballin für die Reederei und eine Biografie über ihn verfasst. „Ballin war ohne Zweifel geschäftlich ein Genie“, sagt Wiborg. 

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mare No. 157

mare No. 157April / Mai 2023

Von Marlis Uken

Als die Berliner Autorin Marlies Uken, Jahrgang 1977, das Foyer des Hapag-Lloyd-Firmensitzes an der Hamburger Binnenalster betrat, war sie ein bisschen enttäuscht. Wenig erinnerte an Albert Balllin, nur eine kleine Büste stand versteckt hinter der Rezeptionistin.

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Vita Als die Berliner Autorin Marlies Uken, Jahrgang 1977, das Foyer des Hapag-Lloyd-Firmensitzes an der Hamburger Binnenalster betrat, war sie ein bisschen enttäuscht. Wenig erinnerte an Albert Balllin, nur eine kleine Büste stand versteckt hinter der Rezeptionistin.
Person Von Marlis Uken
Vita Als die Berliner Autorin Marlies Uken, Jahrgang 1977, das Foyer des Hapag-Lloyd-Firmensitzes an der Hamburger Binnenalster betrat, war sie ein bisschen enttäuscht. Wenig erinnerte an Albert Balllin, nur eine kleine Büste stand versteckt hinter der Rezeptionistin.
Person Von Marlis Uken