Traumland abgebrannt?

Island verwertet seine geothermische Kraft zu Strom für die Aluminiumindustrie und gefährdet so seine Natur. Eine Anklage

Normalerweise denkt man nicht über Aluminium nach. Man fragt sich nicht, woher es kommt, man recycelt seine Dosen, wenn man in Europa lebt, oder wirft sie weg, wie in den USA, wo nur die Hälfte von ihnen recycelt wird. Doch im täglichen Leben macht man sich nicht mehr Gedanken über Aluminium als über Holz, Stahl, Plastik oder andere global gehandelte Stoffe.

Es gibt bei uns zahllose Märchen und Geschichten über einen Schatz, einen Ring, eine Erbschaft oder irgendeine Versuchung, die alles aus dem Gleichgewicht bringt. Egill Skallagrímsson, der große Wikinger und Dichter, fasste auf seine alten Tage den Plan, nach Þingvellir, dem Ort des historischen Parlaments, zu reisen und dort sein Silber von der Höhe des Abhangs in die Almannagjá-Schlucht hinabzuwerfen. Danach wollte er sich setzen und sich am Anblick der um den Schatz kämpfenden Männer ergötzen. Etwas Ähnliches passierte tatsächlich in Island, nur ging es nicht um Silber, es ging um Aluminium, und es brach Streit aus.

Die meisten haben vom Zusammenbruch unserer Banken 2008 gehört, von der Überhitzung der Wirtschaft, die zum Crash führte. Aber nur wenige wissen, dass die Ursache für das Entstehen der Blase und den nachfolgenden Crash in der Aluminiumbranche lag – oder wie der Internationale Währungsfonds es ausdrückte: „Die Exekutivdirektoren stellten fest, dass sich die isländische Wirtschaft an einem schwierigen Wendepunkt befindet. Das lange anhaltende wirtschaftliche Wachstum, angefacht von Investitionen in den Aluminiumsektor, begleitet von einem Boom des privaten Konsums und angetrieben von einem erleichterten Zugang zu externer Finanzierung, führte zum Aufbau von makroökonomischen Ungleichgewichten und finanzieller Krisenanfälligkeit.“

In ausländischen Medien wurde häufig Islands Vorreiterrolle in der Nutzung von erneuerbaren Energien hervorgehoben. Dies trifft in mancherlei Hinsicht zu. In den 1930er-Jahren begann eine fortschrittlich gesinnte Generation damit, heißes Wasser aus dem Boden zu pumpen, um unsere Häuser zu heizen. So konnte man sich von Kohleimporten aus dem Ausland unabhängig machen und natürlich gleichzeitig auch die Luftverschmutzung bekämpfen. Wir bauten öffentliche Schwimmbäder und beheizten Treibhäuser. Der Überfluss an heißem Wasser ist so groß, dass wir im Winter die Fenster öffnen, wenn es im Haus zu warm wird. 1996 deckte Island 100 Prozent des Bedarfs für Raumheizung und Industrie mit lokalen erneuerbaren Energiequellen aus heißem Wasser und Elektrizität.

Man könnte sagen, dass Island eine Art Utopia geworden war. Doch die Lösung war auch ein Problem. Wir hatten unseren Bedarf gedeckt, doch immer noch gab es eine Überfülle an dem, was manche Natur nennen: wilde Wasserfälle, rauschende Flüsse und brodelnde geothermische Gebiete, noch unberührt von Menschenhand. Nach und nach entdeckten wir diese Natur, fingen an, das karge Hochland Islands zu erkunden und zu lieben. Doch die Industrie bezeichnete diese Natur als „ungenutzte Energie“ oder als „noch unerschlossene Ressource“.

Das Problem: Für eine Nation von 300 000 Menschen würde es wohl niemals einen Bedarf für die Erschließung all dieser Flüsse und geothermischen Regionen geben. Unsere Energiebehörde sah sich nach einer Industrie um, die diese ganze „ungenutzte“ Natur nutzen könnte – offiziell, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft vielseitiger und stabiler zu machen. Doch eigentlich ging es um die ehrgeizigen Pläne unserer Politiker und der Ingenieure beim staat­lichen Energieunternehmen Landsvirkjun.

Aus dem Englischen von Andreas Gressmann


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mare No. 120

No. 120Februar / März 2017

Von Andri Snær Magnason und Heike Ollertz

Andri Snær Magnason, Jahrgang 1973, lebt in Reykjavík und ist Dichter, Kinderbuchautor, Filmemacher und Umweltaktivist. Das Sachbuch Traumland, in dem er den Aluminiumboom in Island kritisiert, erregte großes öffentliches Aufsehen.

Die Hamburger Fotografin Heike Ollertz, geboren 1967, fuhr wochenlang allein mit einem Wohnmobil durchs Land, um die besten Motive zu finden. „Die Nächte in der Wildnis konnten ganz schön düster und einsam sein.“

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Vita Andri Snær Magnason, Jahrgang 1973, lebt in Reykjavík und ist Dichter, Kinderbuchautor, Filmemacher und Umweltaktivist. Das Sachbuch Traumland, in dem er den Aluminiumboom in Island kritisiert, erregte großes öffentliches Aufsehen.

Die Hamburger Fotografin Heike Ollertz, geboren 1967, fuhr wochenlang allein mit einem Wohnmobil durchs Land, um die besten Motive zu finden. „Die Nächte in der Wildnis konnten ganz schön düster und einsam sein.“
Person Von Andri Snær Magnason und Heike Ollertz
Vita Andri Snær Magnason, Jahrgang 1973, lebt in Reykjavík und ist Dichter, Kinderbuchautor, Filmemacher und Umweltaktivist. Das Sachbuch Traumland, in dem er den Aluminiumboom in Island kritisiert, erregte großes öffentliches Aufsehen.

Die Hamburger Fotografin Heike Ollertz, geboren 1967, fuhr wochenlang allein mit einem Wohnmobil durchs Land, um die besten Motive zu finden. „Die Nächte in der Wildnis konnten ganz schön düster und einsam sein.“
Person Von Andri Snær Magnason und Heike Ollertz