Tradition und Zuckerguss

Wie viel Kunst verträgt der Passagier auf See? Oder vielmehr: welche? Über die Linie der Ausstatter auf der „Queen Mary 2“

Im November 2000 überraschte die Liebhaber des in die Jahre gekommenen Transatlantik-Liners "Queen Elizabeth 2" folgende Meldung: "Die Cunard Line gibt bekannt, dass sie heute die Werft Alsthom Chantiers de l'Atlantique im französischen Saint-Nazaire beauftragt hat, das weltweit größte Passagierschiff zu bauen, die ,Queen Mary 2'." Der Ankündigung folgten Zahlen, wie Reedereien sie lieben: Baukosten von 780 Millionen Dollar, 345 Meter Länge, 150000 Bruttoregistertonnen, 157000 PS, 30 Knoten Geschwindigkeit, 2620 Passagiere, 1254 Männer und Frauen Besatzung.

Eine Nachfolgerin für die "QE 2" im Transatlantikdienst würde es nicht geben - zu teuer, darin waren sich die Auguren einig gewesen. Aber sie hatten die Rechnung ohne Cunards Traditionsbewusstsein und eine clevere Überlegung gemacht: Nostalgie rechnet sich.

Und - das zeigen die Pläne und der Rohbau im Dock von Saint-Nazaire - trotz seiner gigantischen Größe wird es wirklich ein Schiff. Kein Spaßkreuzer mit aufgeschminktem Kussmund, kein hochgetürmt schwimmendes Disneyland - viel- mehr ein eleganter Liner in der Tradition der großen Cunard-Schiffe, der "Mauretania", "Queen Mary", "Queen Elizabeth" und "QE 2". Blauschwarz der Rumpf, rot abgesetzt über der Wasserlinie, mit schmal geschnittenem, kühn vorspringendem Clipper-Bug, schneeweiß die Aufbauten.

Vor allem aber: ein Liner. Elizabeth übergibt das Zepter an Mary. Wenn auch Kreuzfahrten den Hauptteil ihrer Agenda füllen, 15 Mal wird die Königin 2004 den Atlantik im Liniendienst queren. Beim Wechsel von "QE 2" zu "QM 2" werden sich Liebhaber der Königinnen bei allem Komfort und allen Innovationen - dem ersten Planetarium an Bord eines Schiffes - auch in der weltweit größten schwimmenden Galerie moderner Kunst wiederfinden. Vor mehr als zwei Jahren schon sind Gemälde, Skulpturen, Reliefs, Gobelins, Grafiken sonder Zahl weltweit in Auftrag gegeben worden. "Bei den Annehmlichkeiten für die Passagiere", sagt der Kunsthistoriker Erik Hermida, "ist Kunst der Zuckerguss auf der Torte."

Mit Bedacht aber haben die Designer bei aller Modernität der Innenausstattung sichtbare Traditionslinien zurück in die glanzvolle große Zeit der Ocean Liner gezogen. Die nahm ihren Ursprung am 5. Januar 1818, als erstmals ein Dreimaster, die "James Monroe", ausgestattet zur Beförderung von Passagieren, mit festem Abfahrtstermin von New York Richtung England aufbrach. Das war neu. Bislang waren Passagiere Beiladung auf Frachtschiffen, hatten zu warten, bis die Ladung beisammen war, mussten sich bescheiden - ein Strohsack als Bett, die große Suppenschüssel für alle. Auf der "James Monroe" flankierten Marmorsäulen die Kabinentüren, und an den getäfelten Wänden der Messe hingen Radierungen englischer Schlösser. Schon der erste Reeder im Transatlantikdienst nutzte nobles Design und gefällige Kunst, seine Passagiere zu beeindrucken. Und setzte Maßstäbe.

Das Rennen hatte begonnen. Die Passagierzahlen wuchsen und schwollen zur Flut. Nach den Segelschiffen kamen die Raddampfer, dann die Schraubendampfer, bald mit drei, vier Schornsteinen, stählerne Paläste. Die Maße wuchsen ins Gigantische, alles innerhalb von zwei, drei Generationen - ein atemloser Aufbruch, vergleichbar mit der Entwicklung von Lilienthals Gleiter zum Düsenflugzeug.

Ein Wettrennen nicht nur ums Blaue Band, vor allem um Passagiere. Natürlich zählte Geschwindigkeit, nicht minder aber auch Bequemlichkeit und Luxus. Der Prestigewert war ein entscheidender Faktor bei der Wahl des Schiffes. Speisesäle à la Versailles, Suiten im Renaissancestil, byzantinische Kapellen, pompejanische Bäder, ägyptische Rauchzimmer - die Reeder rüsteten auf. Der Pomp des Dekors, die wilde Mixtur der Stile, das "Steamboat Baroque", nahm immer groteskere Formen an, wucherte in den wilhelminischen Großschiffen am bombastischsten.


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mare No. 39

No. 39August / September 2003

Von Hans-Christof Wächter

Hans-Christof Wächter ist Spezialist für Luxus und Linienschiffe. Der in Berlin lebende Autor fuhr für mare No. 1 mit der "QE 2" über den Atlantik, und in No. 15 schrieb er über das Blaue Band, die Rekordjagden der Luxusliner zwischen Amerika und Europa.

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Vita Hans-Christof Wächter ist Spezialist für Luxus und Linienschiffe. Der in Berlin lebende Autor fuhr für mare No. 1 mit der "QE 2" über den Atlantik, und in No. 15 schrieb er über das Blaue Band, die Rekordjagden der Luxusliner zwischen Amerika und Europa.
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Vita Hans-Christof Wächter ist Spezialist für Luxus und Linienschiffe. Der in Berlin lebende Autor fuhr für mare No. 1 mit der "QE 2" über den Atlantik, und in No. 15 schrieb er über das Blaue Band, die Rekordjagden der Luxusliner zwischen Amerika und Europa.
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