Tote lächeln besser

Kunst am Hai

Sie lächelt das schärfste Lächeln der Schau. Sie hängt leicht schief im Scheinwerferlicht, grinst und läßt keinen ganz nahe heran. Sie ist ein Star, kein Sternchen, ein großer Star, vier Meter lang. Wir fragen die Dame nicht nach Alter und Gewicht. Aber ihren Namen kennen wir: Sie heißt Shirley Shark und ist ein Tigerhai. Wo sie auftaucht – eintaucht –, stiehlt sie allen die Schau.

Und sie lächelt ihr löchriges Lächeln, siebzehn Zähne unten, vierzehn oben, es fehlen drei. Ersetzt wird keiner; it’s part of the show. Jeder kann sehen, daß da gebissen wird. Gebissen wurde. Denn Shirley ist tot, kalt und tot. Tot und zum Star gemacht haben sie vier Männer. Vic Hislop fischte sie mit einem Köder – ziemlich einfach, by the way, sie war verfressen und dabei entsetzlich wahllos – aus dem Badewasser am Barrier Reef vor Australien. Der Kunsttransporteur Scott Blyth flog sie tiefgefroren nach London, ausgenommen und mit Formaldehyd vollgepumpt, dann getauft und in einem auf ihren schönen schlanken Körper maßgeschneiderten Tank eingelegt, preserved, sozusagen.

Fang, Reise und Herrichten bezahlte ein reicher Mann: Charles Saatchi, Werbemagnat und Kunstsammler, der Königsmacher der Young British Artists. Und die Idee mit dem Hai im Tank hatte Damien Hirst, der Shooting Star der jungen Kunst aus dem alten Königreich.

Saatchi und Shirley haben aus dem unbekannten Youngster Hirst den hippsten Künstler der Gegenwart gemacht. Glamourous ist die Welt der großen und teuren Kunst, und Shirley bleibt keiner Vernissage etwas schuldig. London, Berlin, New York.

Wassertropfen umspielen ihre Lippen, ein Pepsodent-Commercial, halbgeschlossen die lasziven Lider, Mae West der See, leicht gehoben die Spitze ihrer linken Flosse. „Hi“, grüßt sie cool, ganz Haiin. Seit 1991 ist sie viel gereist, und sie wird weiterreisen. The show will go on and on and on. Jeder Auftritt mehrt ihren Ruhm und den von Saatchi und den von Hirst, last but not least.

Und sie soll genauso bleiben wie sie ist. Lenin sieht schließlich auch noch aus wie vor fast neunzig Jahren. Cleopatra hatte Eselsmilch, die Streisand hat Frischzellen, Shirley hat Formaldehyd. Zur äußeren und inneren Anwendung, egal, ist doch alles einerlei, inside and outside. Im Wasser des Schlaftanks gute fünfzehn Prozent, bei Ausstellungen fünf Prozent, im Fleisch zwanzig Prozent. Intramuskulär und durch die poröse Haut dringt täglich mehr von dem Stoff.

Und dann, zur Sicherheit, ein bisschen Schönheitschirurgie: gegen die Neigung, den Mund zu schließen, eine Sperre zwischen die Kiefer; gegen die Neigung, innerlich zu verfaulen, alle Eingeweide raus. Da, wo einst die große Leber schwimmen half, ist gar nichts mehr, der Magen fehlt und die Därme sowieso. Die Mittelnaht auf der Bauchseite, von der Hüfte bis zum Anus, ist – very unfortunately – ein wenig plump ausgefallen. Das kann Hollywood besser. Aber sonst gute Arbeit, well done! Sie sieht prächtig aus, bestellen wir die Fotografen: von „People“, „Vogue“ und – „Vanity Fair“.

Die Vanitas ist in der bildenden Kunst die Darstellung der Hinfälligkeit des Lebens: Seit der Gotik und besonders im niederländischen Barock werden Totenkopf und Sanduhr als Symbole für die gemessene Zeit auf Erden verwandt. Vanitas vanitatum, Eitelkeit der Eitelkeiten, sind die ersten Worte des Predigers Salomon, der die Eitelkeit der Menschen geißelt. Sterblich seid ihr, Tand ist alles Gebilde von Menschenhand. Denke an den Tod, Mensch!

Wenn ein Hai stirbt, wird er entweder gefressen oder er verfault, und zwar ganz. Sein Skelett ist aus Knorpel; nichts bleibt von ihm übrig als seine Zähne. Er verschwindet so endgültig und spurlos wie kaum ein anderes Lebewesen dieser Größe. Hirsts Hai wird nicht verfaulen, zerfallen und vergessen werden. Sein Erfolg, sein materieller Wert, seine Bedeutung für die Kunst der neunziger Jahre und seine Präparierung werden ihn am Leben erhalten, dem Publikum zur Mahnung.

Die Leute, die dem Hai mit Skalpell und Chemie zu materieller Ewigkeit verholfen haben, gaben ihm den Namen „Shirley Shark“, ein krasser Gegensatz zum Titel, den Damien Hirst für seine Arbeit gefunden hat: „Die Unvorstellbarkeit des Todes für einen Lebenden“.

Der Tigerhai gehört mit dem Weißen Hai zu den gefährlichsten und aggressivsten seiner Art überhaupt. Er ist ein Allesfresser, ausgesprochen wahllos. Was er findet und als Beute ansieht, wird attackiert und gefressen: Fische, andere Haie, Menschen oder Schildkröten – egal, alles einerlei. Der Tod, den er bringt, ist vollkommen unerwartet, außerordentlich blutig und brutal.

Zur Vorstellung, bei lebendigem Leib gefressen zu werden, gesellt sich die Angst, dabei gleichzeitig zu ertrinken. Wenn man Glück hat, trifft der Hai zuerst den Kopf. Sonst erstickt man vielleicht am Wasser, das in die Lunge gerät, oder man verliert das Bewußtsein, während man verblutet. Ein unvorstellbarer Tod für einen Lebenden, in der Tat.

Hirsts Hai wird noch lange leben, zur Schau gestellt in seinem Tank. Er ist fachgerecht konserviert und wird auf seinen Reisen mit beträchtlichem Aufwand und äußerster Sorgfalt betreut. Zwischen den Auftritten wird er mit klarem Wasser abgespült und für den Transport bandagiert, damit seine Haut nicht platzt, wenn er hochgehoben wird.

Wenn er nicht in einer Ausstellung zu sehen ist, ruht er in seinem Container in einer hochkonzentrierten Formaldehydlösung, die Saatchi regelmäßig ersetzen läßt.

Vor einer Ausstellung wird er erneut gesäubert und kontrolliert. Im Tank werden die Nylonfäden, die seine Position stabilisieren und ihn am Sinken hindern, jedesmal an anderen Stellen durch Flossen oder Finne gezogen, damit das konservierte Fleisch nicht ausreißt. Denn der Hai schwimmt nicht in der Lösung, er hängt an seinen dünnen Fäden als Star of the Show, nur scheinbar schwebend, zwischen Vanity und Vanitas.

mare No. 14

No. 14Juni / Juli 1999

Von Hansjörg Gadient

Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Architekt und freier Journalist. Er lebt in Forch bei Zürich. In mare No. 4 schrieb er über Häuser, die der Architekt Le Corbusier im Stil der großen Ozeanliner errichtete.

Mehr Informationen
Vita Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Architekt und freier Journalist. Er lebt in Forch bei Zürich. In mare No. 4 schrieb er über Häuser, die der Architekt Le Corbusier im Stil der großen Ozeanliner errichtete.
Person Von Hansjörg Gadient
Vita Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Architekt und freier Journalist. Er lebt in Forch bei Zürich. In mare No. 4 schrieb er über Häuser, die der Architekt Le Corbusier im Stil der großen Ozeanliner errichtete.
Person Von Hansjörg Gadient