Tee-Weltmeister

Ostfriesen haben den weltweit größten Tee­verbrauch pro Kopf. Woher kommt die Leidenschaft? Wir haben unsere ostfriesische Autorin gefragt.

Es ist dieses leise knistern, das ich fest mit meiner Kindheit verbinde. Ich sitze auf Papas Schoß in unserer engen Küche. Es ist Teetied nachmittags um halb vier, und ich darf meinem Vater ein Kluntje aussuchen. Natürlich greife ich zum größten Zuckerstück im Kluntjepott und lege ihn in seine kleine Teetasse. Meine Mutter lässt heißen schwarzen Tee darüber fließen – und mit zartem Knistern zerbricht der süße Eisberg. Es ist nur ein sekundenlanges Britzeln, das die Großen am Küchentisch gar nicht wahrnehmen. Mich aber hat es immer wieder fasziniert, wie der harte Brocken sich dem heißen Tee ergibt. Danach träufelt meine Mutter noch ein wenig Kondensmilch in den Tee, mein Vater rührt um. Fertig ist die Tasse Ostfriesentee, eine kräftige Mischung in warmem Rostbraun.

Inzwischen weiß ich: welch ein Frevel! Puristen trinken ihren Ostfriesentee natürlich nur mit frischer Sahne, und sie rühren ihn auf keinen Fall um. Man trinkt sich durch bis zum süßen Ende. Aber in Rhauderfehn, gelegen am südlichen Rand Ostfrieslands, sehen wir die Traditionen ein bisschen weniger dogmatisch.

Wie in fast allen ostfriesischen Familien ist auch in meiner das Teetrinken nicht wegzudenken. Der Flötenkessel aus Email, später abgelöst vom Wasser­kocher, und die Teekanne gehören zu den meistgebrauchten Utensilien in unserer Küche. Die Teezeit ist der Taktgeber des Tages. Morgens um zehn Uhr gibt es die erste Teetied und am Nachmittag noch einmal, in manchen Familien sogar auch noch abends gegen 21 Uhr. Wir hatten früher einen kleinen Bauernhof, da war die Teezeit um zehn Uhr eine vormittägliche Pause, wenn der Tag schon morgens um sechs Uhr begonnen hatte. Und am Nachmittag half der Tee, nach dem mittäglichen Nickerchen wieder in Schwung zu kommen. Wann da noch Zeit zum Arbeiten blieb, ist mir ein Rätsel.

Selbst die Zubereitung des Tees war ritualisiert. Zuerst spülte meine Mu­tter die Teekanne mit heißem Wasser aus. Dann füllte sie den Deckel unserer silbernen Teedose halb voll mit Teeblättern, genau das richtige Maß für unsere Teekanne. In der Kanne übergoss sie den Tee zwei bis drei Finger hoch mit sprudelnd kochendem Wasser. Drei bis vier Minuten ließ sie ihn ziehen, erst dann füllte sie die Kanne mit heißem Wasser auf und schenkte den Tee durch ein Teesieb ein, in die typisch kleinen Teetassen. Mein Vater hatte schon immer Magenprobleme, aber als Ostfriese wollte er auf seinen Tee nicht verzichten. Also bekam er „Goldwasser“: ein Drittel Tee, zwei Drittel heißes Wasser.

Schon seit Jahren sind wir Ostfriesen Weltmeister im Teetrinken, noch vor der Tea-time-Nation Großbritannien: Rund 300 Liter Tee schafft im Schnitt jeder Ostfriese im Jahr, das macht mehr als zwei Bade­wannenfüllungen. Sogar im Ausland hat unsere Leidenschaft schon Spuren hinterlassen. Nach Amerika ausgewanderte Ostfriesen benannten gleich einen ganzen Ort nach ihrem Lieblingsgetränk: „Tea“ in South Dakota.

Tee, das ist nicht nur unser Exportschlager, es ist auch unser Nationalgetränk. Teetrinken ist das, was uns Ostfriesen verbindet, uns zusammenschweißt. Da ist es uns egal, wenn selbst ein Großdichter wie Heinrich Heine über unseren Tee lästert und schreibt, wir würden „herumkauern und einen Thee trinken, der sich von gekochtem Salzwasser nur durch den Namen unterscheidet“. Wir lieben unseren Tee stark und kräftig, so wie einst die Häuptlinge waren, die Ostfriesland regierten. Die ausgedehnte Zeremonie, die beruhigende Wirkung einer Tasse Tee – all das passt zu unserer bodenständigen, unaufgeregten Mentalität.

Mit feinem Darjeeling, den man ohne Milch und Zucker trinkt, können wir entsprechend wenig anfangen. „Ostfriesentee muss sehr kräftig sein und hat eine malzige, süße Note“, sagt Egbert Kolthoff, Teetester des Teehauses Bünting in Leer. Die wichtigste Grundlage ist ein kräftiger Assam, dazu kommen je nach Mischung noch 20 bis 30 verschiedene andere Sorten. Eine vorgeschriebene Rezeptur gibt es nicht. Selbst der Titel „Echt Ostfriesische Mischung“ ist nicht geschützt – das haben wir Friesen im Vergleich zu den Schwaben und ihren „Schwäbischen Spätzle“ verpasst. Nur eins ist klar: „Echter Ostfriesentee“ muss in Ostfriesland von einem ostfriesischen Unternehmen abgefüllt und verpackt worden sein.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 119. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 119

No. 119Dezember 2016 / Januar 2017

Von Marlies Uken und Pascal Cloëtta

Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, löcherte für die familiären Tee-Erinnerungen auch ihre Tante Thresie, 79. Deren wichtigste Weisheit über Ostfriesentee: „Der Tee muss zum Wasser passen.“

Pascal Cloëtta, geboren 1975 in Zürich, studierte Kommunikations- sowie Animationsdesign in Hamburg, wo er auch heute lebt und arbeitet.

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Vita

Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, löcherte für die familiären Tee-Erinnerungen auch ihre Tante Thresie, 79. Deren wichtigste Weisheit über Ostfriesentee: „Der Tee muss zum Wasser passen.“

Pascal Cloëtta, geboren 1975 in Zürich, studierte Kommunikations- sowie Animationsdesign in Hamburg, wo er auch heute lebt und arbeitet.

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Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, löcherte für die familiären Tee-Erinnerungen auch ihre Tante Thresie, 79. Deren wichtigste Weisheit über Ostfriesentee: „Der Tee muss zum Wasser passen.“

Pascal Cloëtta, geboren 1975 in Zürich, studierte Kommunikations- sowie Animationsdesign in Hamburg, wo er auch heute lebt und arbeitet.

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