Streben als Glück

So lautet der Titel einer bislang unveröffentlichten Erzählung des großen amerikanischen Erzählers und Nobelpreisträgers, ins Deutsche übertragen von dem preisgekrönten Hemingway-Übersetzer Werner Schmitz

Für dieses Jahr hatten wir geplant, einen Monat lang vor der Küste Kubas Marline zu fischen. Der Monat begann am 10. April, und bis zum 10. Mai hatten wir fünfundzwanzig Marline, dann war die Charter abgelaufen. Plan­mäßig hätten wir jetzt ein paar Geschenke für unsere Leute in Key West eingekauft, die Anita mit etwas mehr teurem kubanischen Benzin betankt als für die Überfahrt nötig, ausklariert und den Heimweg angetreten. Aber die gro­ßen Fische hatten sich noch nicht gezeigt.
„Möchtest du es noch einen Monat probieren, Cap?“, fragte Mr. Josie. Er war der Besitzer der Anita und vercharterte sie für zehn Dollar pro Tag. Die übliche Charter betrug damals fünfunddreißig pro Tag. „Wenn du bleiben willst, überlasse ich sie dir für neun Dollar.“
„Wo sollen wir die neun Dollar hernehmen?“
„Du zahlst, wenn du das Geld hast. Du bist gut angeschrieben bei der Standard Oil Company drüben in Belot, und wenn wir die Rechnung bekommen, kann ich sie erst mal vom letzten Chartergeld begleichen. Sollten wir schlechtes Wetter kriegen, kannst du was schreiben.“
„Gut“, sagte ich, und wir fischten noch einen Monat lang. Jetzt hatten wir zweiundvierzig Marline, aber die großen hatten sich immer noch nicht gezeigt. Bis nah an den Morro zog sich ein dunkler, kräftiger Strom – da gab es manchmal hektarweise Köder –, vor dem Bug stiegen fliegende Fische auf, und überall wimmelte es von Vögeln. Aber wir hatten noch keinen einzigen großen Marlin erwischt, nur weiße Marline fingen oder verloren wir täglich, ich allein an einem Tag fünf.
Wir hatten uns im Hafengebiet beliebt gemacht, weil wir alle unsere Fische schlachteten und verschenkten, und wenn wir mit aufgezogener Marlin-Flagge an der Morro-Festung vorbei den Kanal hoch auf den San-Francisco-Pier zuhielten, sahen wir die Leute schon am Kai zusammenströmen. Der Fisch brachte den Fischern in diesem Jahr acht bis zwölf Cent pro Pfund ein, auf dem Markt das Doppelte. Als wir einmal mit fünf Flaggen einliefen, musste die Polizei die Menge mit Schlagstöcken auseinandertreiben. Eine üble, unschöne Geschichte. Aber es war auch ein übles, unschönes Jahr damals an Land.
„Die gottverdammte Polizei verscheucht unsere Stammkunden und sackt den ganzen Fisch selber ein“, sagte Mr. Josie. „Zur Hölle mit dir“, sagte er zu einem Polizisten, der sich nach einem Zehn-Pfund-Stück Marlin bückte. „Deine hässliche Visage hab ich hier noch nie gesehen. Wie heißt du?“
Der Polizist nannte seinen Namen.
„Steht er im compromiso-Buch, Cap?“
„Nein.“
In das compromiso-Buch schrieben wir die Namen der Leute, denen wir Fisch versprochen hatten.
„Schreib ihn ins compromiso-Buch für ein kleines Stück nächste Woche, Cap“, sagte Mr. Josie. „Und jetzt, Meister, scher dich zum Teufel und schlag irgendwen zusammen, der kein Freund von uns ist. Mir reicht’s mit euch verdammten Polizisten. Schwirr ab. Verzieh dich mit deinem Schlagstock und deiner Pistole und verschwinde von hier, falls du nicht von der Hafenpolizei bist.“
Schließlich war der Fisch komplett zerlegt und an die Leute im Buch verteilt, und das Buch war wieder voll mit Versprechen für nächste Woche.
„Du kannst jetzt ins Ambos Mundos gehen und dich waschen, Cap. Nimm eine Dusche, ich komme nach. Dann gehen wir ins Floridita und besprechen alles. Ich reg mich immer noch über diesen Polizisten auf.“
„Du kommst mit und steigst auch unter die Dusche.“
„Nein. Ich wasche mich hier. Ich hab heute nicht so geschwitzt wie du.“

Ich nahm die Abkürzung über die gepflasterte Straße zum Hotel Ambos Mundos, fragte am Empfang nach Post und fuhr mit dem Aufzug in die oberste Etage. Mein Zimmer ging nach Nordosten, und der Passat blies zum Fenster herein, weshalb es darin kühl war. Ich sah aus dem Fens­ter über die Dächer der Altstadt zum Hafen und beobachtete, wie die Orizaba in voller Festbeleuchtung langsam auslief. Ich war müde vom Ringen mit so vielen Fischen und hätte mich am liebsten aufs Bett gelegt. Aber ich wusste, dann bestand Gefahr, dass ich einschlief, also setzte ich mich aufs Bett und schaute aus dem Fenster und beobachtete die jagenden Fledermäuse, und schließlich zog ich mich aus, stieg unter die Dusche, zog frische Sachen an und ging nach unten. Mr. Josie wartete im Eingang des Hotels.
„Du bist bestimmt sehr müde, Ernest“, sagte er.
„Nein“, log ich.

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mare No. 152

mare No. 152Juni / Juli 2022

Von Ernest Hemingway und Aline Bureau, übersetzt von Werner Schmitz

Ernest Hemingway (1899–1961), stilprägender Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und Literaturnobelpreisträger, lebte 21 Jahre in Kuba. Auch das legendäre Werk des US-Amerikaners, „Der alte Mann und das Meer“, in dem ein Fischer mit einem Marlin ringt, spielt dort. Die Parabel über das Scheitern erschien 1952 in der Zeitschrift „Life“. Innerhalb von zwei ­Tagen waren mehr als 5,2 Millionen Exemplare der Ausgabe verkauft.

Werner Schmitz, geboren 1953, übersetzt seit mehr als 30 Jahren die Werke Hemingways. In einem Interview dazu sagte er: „Ich kenne überhaupt niemanden, der so schreibt wie er. Es ist eine große Herausforderung, im Deutschen einen Ton zu finden, der Hemingway entspricht.“

Aline Bureau ist Absolventin der Ecole Estienne und der Arts Décoratifs de Paris. Seit 1996 widmet sie sich der Illustration für die Presse und Kinderbuchverlage (Flammarion, Gallimard, Sarbacane...). Sie vergleicht ihre Zeichnungen gerne mit gemalten Gedichten oder Träumereien und verwendet eine Vielzahl von Techniken: Filzstifte, Tinte, Kugelschreiber, Gravur oder auch Gouache. Sie lebt in Paris.

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Vita Ernest Hemingway (1899–1961), stilprägender Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und Literaturnobelpreisträger, lebte 21 Jahre in Kuba. Auch das legendäre Werk des US-Amerikaners, „Der alte Mann und das Meer“, in dem ein Fischer mit einem Marlin ringt, spielt dort. Die Parabel über das Scheitern erschien 1952 in der Zeitschrift „Life“. Innerhalb von zwei ­Tagen waren mehr als 5,2 Millionen Exemplare der Ausgabe verkauft.

Werner Schmitz, geboren 1953, übersetzt seit mehr als 30 Jahren die Werke Hemingways. In einem Interview dazu sagte er: „Ich kenne überhaupt niemanden, der so schreibt wie er. Es ist eine große Herausforderung, im Deutschen einen Ton zu finden, der Hemingway entspricht.“

Aline Bureau ist Absolventin der Ecole Estienne und der Arts Décoratifs de Paris. Seit 1996 widmet sie sich der Illustration für die Presse und Kinderbuchverlage (Flammarion, Gallimard, Sarbacane...). Sie vergleicht ihre Zeichnungen gerne mit gemalten Gedichten oder Träumereien und verwendet eine Vielzahl von Techniken: Filzstifte, Tinte, Kugelschreiber, Gravur oder auch Gouache. Sie lebt in Paris.
Person Von Ernest Hemingway und Aline Bureau, übersetzt von Werner Schmitz
Vita Ernest Hemingway (1899–1961), stilprägender Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und Literaturnobelpreisträger, lebte 21 Jahre in Kuba. Auch das legendäre Werk des US-Amerikaners, „Der alte Mann und das Meer“, in dem ein Fischer mit einem Marlin ringt, spielt dort. Die Parabel über das Scheitern erschien 1952 in der Zeitschrift „Life“. Innerhalb von zwei ­Tagen waren mehr als 5,2 Millionen Exemplare der Ausgabe verkauft.

Werner Schmitz, geboren 1953, übersetzt seit mehr als 30 Jahren die Werke Hemingways. In einem Interview dazu sagte er: „Ich kenne überhaupt niemanden, der so schreibt wie er. Es ist eine große Herausforderung, im Deutschen einen Ton zu finden, der Hemingway entspricht.“

Aline Bureau ist Absolventin der Ecole Estienne und der Arts Décoratifs de Paris. Seit 1996 widmet sie sich der Illustration für die Presse und Kinderbuchverlage (Flammarion, Gallimard, Sarbacane...). Sie vergleicht ihre Zeichnungen gerne mit gemalten Gedichten oder Träumereien und verwendet eine Vielzahl von Techniken: Filzstifte, Tinte, Kugelschreiber, Gravur oder auch Gouache. Sie lebt in Paris.
Person Von Ernest Hemingway und Aline Bureau, übersetzt von Werner Schmitz