Strand der guten Hoffnung

In Kalia, einem Badeort am Toten Meer, vergnügen sich Israelis und Palästinenser Seite an Seite – wie selbstverständlich

Wenn Mohammad Haddad sich in seiner Hängematte zurücklehnt, hat er nur die jordanische Seite im Blick: die zinnoberrote Bergkette und darunter den reglosen Salzsee. In diesen Tagen lehnt sich der Bademeister oft in seinem Ausguck zurück, raucht eine Zigarette und trinkt Kaffee, in dem der Satz so schwarz steht wie der Schlamm am Ufer. Kalia Beach gehört jetzt den Einheimischen: den Israelis und den Palästinensern – und die, sagt er, wissen um die Tücken des Toten Meers.

Vor der Pandemie brachten die Reisebusse an manchen Tagen bis zu 4000 Pilger und Touristen aus dem nahen Jerusalem. Seine Ansagen hat er deswegen sogar auf Koreanisch oder Ungarisch drauf: „Auf dem Rücken bleiben!“ „Nicht spritzen!“ „Da hinten sind Löcher!“ 

Und im Notfall rückt er mit seinem Paddelbrett aus. Im Toten Meer geht man nicht unter, kann jedoch im kniehohen Wasser ertrinken. Manche geraten in Panik, wenn sie der Auftrieb in Bauchlage dreht und plötzlich die Füße aus dem Wasser ragen. Sie suchen mit den Händen Halt im Schlick und schlucken eine Lake, die zehnmal so salzig ist wie das Mittelmeer. Sechs Todesfälle gab es in den 13 Jahren, in denen Haddad hier arbeitet, 428 Meter unter dem Meeresspiegel, der tiefste Ort der Welt an Land, in einem von Bojen begrenzten Tümpel.

Im Sommer hat das Wasser 40 Grad. Der Sand ist zu heiß, um Burgen zu bauen. Die Salzkruste lässt sich gerade bis zu den Duschen ertragen. Eben erst wurden diese wieder weiter hinunter zum Ufer verlegt. „Den Strand jagen“ nennen sie das. Bis zu sieben Meter ist das Wasser in den vergangenen Jahren gewichen. 

Ans Tote Meer fährt man nicht zum Schwimmen. Die einen kommen, um Hautkrankheiten zu kurieren oder schwerelos für einen Moment die Welt zu vergessen. Die anderen, weil sie von der Welt vergessen wurden. Das Meer mag ein See sein, ohne Wellen und Horizont. Aber für die Palästinenser ist der Strand das nächs­te, was an ihre verlorene Heimat herankommt. Die Mittelmeerküste liegt unerreichbar für sie hinter dem Sperrwall.

Kalia liegt am Nordufer des Toten Meers und somit im Westjordanland. Nach internationalem Recht gehört der Strand den Palästinensern. Allerdings liegt er in der sogenannten Zone C, die seit dem gescheiterten Frieden von Oslo unter israelischer Militärverwaltung steht. Palästinenser dürfen hier nicht einmal auf Privatland bauen. Der Strand wird vom Kibbuz Kalia betrieben, einer illegalen jüdischen Siedlung. 

Surfshorts, Ray-Ban im Haar, konzen­trierter Blick – Haddad sieht aus wie die Lifeguards am Strand von Tel Aviv. Doch er ist Palästinenser aus Jericho. Viele Einwohner dort arbeiten in jüdischen Siedlungen auf den Baustellen oder in den Dattelplantagen. Ein Job hier in Kalia aber, zwischen Hängematte und Paddelbrett, ist ein Glücksgriff. Morgens um acht bringt sie ein Bus aus Jericho, die Barmänner, Köche, Putzleute und den Bademeister. 

Am Vormittag sind nur Israelis am Strand. Haddad beugt sich über die Balus­trade und winkt einem Stammgast im Rollstuhl zu. Dessen Frau spritzt ihn am Ufer mit Wasser und Schlamm ab. Der Bademeister ruft ihr ein paar nette Worte zu. Hebräisch hat er hier am Strand gelernt. Israelis kannte er zuvor nur in Uniform, als Soldaten an den Checkpoints. 

„Du musst hier wie ein Babysitter denken“, sagt Haddad. Kinder, die sich im Sand die Füße verbrennen; alte Leute, die im Schlamm stecken bleiben; Paare, die auf die Idee kommen, im beißenden Wasser Liebe zu machen. Da passe es irgendwie, dass er eigentlich einen Abschluss in Sozia­larbeit habe.

Von seinem Ausguck erspäht er nicht nur die Gebrechlichen und die Über­mütigen. An der Körperhaltung liest er auch die politische Gesinnung ab. Am liebs­ten sind Haddad die Israelis aus dem Norden und aus Tel Aviv. „Die sind liberaler und nicht so angespannt.“ Die Juden aus der nahen Gegend, aus Jerusalem und den Siedlungen, die erkenne er oft schon von Weitem. „Die Situation macht sie aggressiv. Man spürt ihre Wut.“ Manchmal entlade sie sich beim Anblick palästinensischer Gäste oder wenn Haddad eine Ansage auf Arabisch mache. 

Und dann sind da noch die jungen ultraorthodoxen Männer, die im August Ferien von der Thora haben. Donnerstag­abends wird das Bad für sie gesperrt. Frauen sind dann verboten.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 156. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 156

mare No. 156Februar / März 2023

Von Agnes Fazekas und Tanya Habjouqa

Autorin Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, lebt in Tel Aviv nur fünf Minuten vom Strand und wurde dafür von den Palästinensern am Kalia Beach ordentlich beneidet. Die meisten kennen das Mittelmeer nur noch aus den Erzählungen ihrer Großeltern.

Fotografin Tanya Habjouqa wurde 1975 in Jordanien geboren und wuchs zwischen Texas und dem Nahen Osten auf. Sie lebt in Ostjerusalem und ist Mitglied der Fotoagentur Noor. Für die mare-Reportage fuhr sie viermal an den Kalia Beach.

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Vita Autorin Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, lebt in Tel Aviv nur fünf Minuten vom Strand und wurde dafür von den Palästinensern am Kalia Beach ordentlich beneidet. Die meisten kennen das Mittelmeer nur noch aus den Erzählungen ihrer Großeltern.

Fotografin Tanya Habjouqa wurde 1975 in Jordanien geboren und wuchs zwischen Texas und dem Nahen Osten auf. Sie lebt in Ostjerusalem und ist Mitglied der Fotoagentur Noor. Für die mare-Reportage fuhr sie viermal an den Kalia Beach.
Person Von Agnes Fazekas und Tanya Habjouqa
Vita Autorin Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, lebt in Tel Aviv nur fünf Minuten vom Strand und wurde dafür von den Palästinensern am Kalia Beach ordentlich beneidet. Die meisten kennen das Mittelmeer nur noch aus den Erzählungen ihrer Großeltern.

Fotografin Tanya Habjouqa wurde 1975 in Jordanien geboren und wuchs zwischen Texas und dem Nahen Osten auf. Sie lebt in Ostjerusalem und ist Mitglied der Fotoagentur Noor. Für die mare-Reportage fuhr sie viermal an den Kalia Beach.
Person Von Agnes Fazekas und Tanya Habjouqa