Stolz und Vorteil

Vor knapp 20 Jahren entschieden sich die Bewohner eines Fischerdorfs in Madagaskar für eine nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Ressourcen. Heute geht es ihnen besser als je zuvor – eine Erfolgsgeschichte auf einer Insel im Indischen Ozean

Mal angenommen, die Fischer von Andavadoaka hätten diese eine Entscheidung nicht getroffen. Damals, vor 18 Jahren. Angenommen, sie hätten einfach so weitergemacht. Jeden Morgen raus auf den Ozean zum Fischen – Tintenfische, Barsche, Bonitos, obwohl es immer weniger davon gab. Woche für Woche wären die Fänge kleiner geworden. Woche für Woche hätten sie ein Stückchen weiter rausfahren müssen, um ihre Familien satt zu kriegen. Und irgendwann hätte es nicht mehr gereicht. Die Netze wären leer geblieben. 

Das wäre ihr Ende gewesen.
Doch die Fischer von Andavadoaka haben sich anders entschieden, gegen dieses Schicksal. Im Jahr 2004 beschlossen sie, sich selbst ein Fangverbot aufzuerlegen. Damit Meer und Fisch sich erholen können. Es war eine Entscheidung, die ihnen niemand zugetraut hatte, diesen einfachen Fischern des Vezo-Volks. Es war so etwas wie eine Revolution im Süd­westen Madagaskars.

Andavadoaka, 18 Jahre später, im März 2022. Es ist später Nachmittag, als Eden mit seiner Crew am weißen Strand ankommt. Die Männer legen das kleine Segel zusammen und tragen ihre Auslegerpiroge auf den Strand. Im Rumpf des Boots liegen Dutzende Papageifische, Barsche und Bonitos. Eden packt einen Großkopfschnapper am Schwanz, hebt ihn hoch und schätzt sein Gewicht. „Es ist ein guter Fang.“

Eden ist 30 Jahre alt, muskulös und stark, der Körper eines hart arbeitenden Fischers. „Wir können natürlich nicht auf den Fischfang verzichten, sonst würden wir hungern“, sagt er. „Aber wir haben bestimmte Gebiete geschlossen, damit sich das Meeresgetier ungestört vermehren kann.“ Jeden Tag befolgen Eden und seine Crew strikt eine Reihe von selbst aufgestellten Regeln. Sie benutzen keine engmaschigen Netze, lassen Babyfische frei und halten sich von Korallen fern, um sie nicht zu zerstören. 

Der Küstenstreifen von Andavadoaka ist weitgehend isoliert vom Rest des Landes, man braucht Tage, um auf löchrigen Pisten hierherzugelangen. Doch die Menschen leiden unter denselben Problemen wie der Rest der Welt: unter Korallenbleichen als Folge des Klimawandels, unter ausländischen Fischereiflotten, die das Meer leer fischen, und unter einer Überbevölkerung.

Eden gehört dem Vezo-Volk an wie auch all die anderen Fischer in Andavadoaka. Im Sakalava-Dialekt der Westküste bedeutet das Wort Vezo „die Menschen, die fischen“. Seit Jahrhunderten leben die Vezo im Einklang mit dem Meer und bauen die Pirogen wie ihre Vorfahren. „Das Meer allein sichert unser aller Überleben“, sagt Manjola Ndjena, eine Fischhändlerin, die jeden Nachmittag auf Eden wartet, um ihm seinen Fang abzukaufen. Dreimal die Woche schickt sie die besten Exemplare – verpackt in Säcke mit zerstoßenem Eis – in einem Sammeltaxi in die Provinzhauptstadt Toliara, 170 Kilometer südlich ihres Dorfs.

Die 24-Jährige trägt ein eng anliegendes Kleid, ihre Haare sind glatt nach hinten zurückgekämmt. Ihre beiden Kinder spielen vor der Hütte, die mit Muschelkalkmörtel verputzt ist – was von einem gewissen Wohlstand zeugt. Ndjenas Blick schweift über das türkisblaue Wasser der Bucht bis zum Riff am Horizont. „Wir müssen alle Meereslebewesen, die Fische, Korallenriffe, Seegraswiesen und Mangroven schützen, wenn wir hier leben wollen.“ 

Ndjena sagt diese Worte, und man spürt sie, diese Dankbarkeit, diesen Stolz auf jene Ereignisse von 2004. 

Alles begann mit Alasdair Harris, einem britischen Meeresbiologen und Gründer der Meeresschutzorganisa­tion Blue Ventures, der in jenem Schicksalsjahr nach Andavadoaka kam. Mit Unterstützung von Samba Roger, einem Schullehrer und Lokalpolitiker, überzeugte Harris die Gemeinde, ein vorübergehendes Fangverbot in einem Riffabschnitt zu verhängen. Als nach sieben Monaten das Gebiet wieder geöffnet wurde, staunten die Fischer: Selbst die kleinsten Tintenfische wogen mehr als ein Kilogramm. 

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mare No. 152

mare No. 152Juni / Juli 2022

Von Andrzej Rybak, Tommy Trenchard und Aurélie Marrier d’Unienville

Weil das PCR-Testergebnis zu spät kam, verpasste Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, seinen Inlandsflug von Madagaskars Hauptstadt in den Süd­­wes­ten der Insel. Er musste stattdessen eine tagelange Autofahrt auf kaputten Pisten auf sich nehmen. Am Ende war er darüber gar nicht so unglücklich. „So konnte ich die wunderbare Natur Madagaskars hautnah erleben.“

Tommy Trenchard und Aurélie Marrier d’Unienville, Fotografenduo in Kapstadt, ­waren fasziniert von der Region um Andavadoaka. „Die Dörfer dort gehören zu den abgelegensten und isoliertesten Orten, an denen wir je arbeiten durften.“

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Vita Weil das PCR-Testergebnis zu spät kam, verpasste Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, seinen Inlandsflug von Madagaskars Hauptstadt in den Süd­­wes­ten der Insel. Er musste stattdessen eine tagelange Autofahrt auf kaputten Pisten auf sich nehmen. Am Ende war er darüber gar nicht so unglücklich. „So konnte ich die wunderbare Natur Madagaskars hautnah erleben.“

Tommy Trenchard und Aurélie Marrier d’Unienville, Fotografenduo in Kapstadt, ­waren fasziniert von der Region um Andavadoaka. „Die Dörfer dort gehören zu den abgelegensten und isoliertesten Orten, an denen wir je arbeiten durften.“
Person Von Andrzej Rybak, Tommy Trenchard und Aurélie Marrier d’Unienville
Vita Weil das PCR-Testergebnis zu spät kam, verpasste Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, seinen Inlandsflug von Madagaskars Hauptstadt in den Süd­­wes­ten der Insel. Er musste stattdessen eine tagelange Autofahrt auf kaputten Pisten auf sich nehmen. Am Ende war er darüber gar nicht so unglücklich. „So konnte ich die wunderbare Natur Madagaskars hautnah erleben.“

Tommy Trenchard und Aurélie Marrier d’Unienville, Fotografenduo in Kapstadt, ­waren fasziniert von der Region um Andavadoaka. „Die Dörfer dort gehören zu den abgelegensten und isoliertesten Orten, an denen wir je arbeiten durften.“
Person Von Andrzej Rybak, Tommy Trenchard und Aurélie Marrier d’Unienville