„Stein- und judenfreier Badestrand“

Schon seit Kaisers Zeiten rühmten sich deutsche Seebäder damit, jüdischen­ Feriengästen den Aufenthalt zu verweigern

Ein wenig wie Thomas Mann sieht er aus, der Textilunternehmer Fritz Bendix, wie er mit seinen Töchtern Evelyn und Ingeborg auf der Strandpromenade in Westerland steht und in die Kamera schaut. Ein Sommerurlaub auf Sylt im Jahr 1926. Heitere Urlaubsbilder in einer wirtschaftlich angeschlagenen Zeit. Bendix führt zusammen mit Bruder und Cousin die Firma „Julius Bendix Söhne“, Hauptsitz Berlin, erfolgreich in zweiter Generation; die Fabriken in Schlesien, Österreich und der Tschechoslowakei machen gute Geschäfte. Er gehört zu der neuen Unternehmerelite, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat – großstädtisch, bürgerlich, weltgewandt, sozial engagiert und jüdisch. Familie Bendix wohnt elegant am Kurfürstendamm, in den Ferien fährt man jeden Sommer ans Meer. In Westerland besitzt die Familie ein eigenes Ferienhaus, „Haus Hannepü“, benannt nach der Ehefrau und Mutter.

Tout Berlin macht sich in den Sommermonaten auf an die Nord- oder Ostsee. Auf Sylt trifft man auf befreundete Familien wie die Ribbentrops – man kennt sich aus der Hauptstadtgesellschaft – und schießt fröhliche Urlaubsfotos mit den Kindern. Joachim von Ribbentrop, der spätere NS-Außenminister, ist zu dieser Zeit noch Wein- und Spirituosengroßhändler mit gesellschaftlichen Ambitionen, seine Frau stammt aus der Sektdynastie Henkell.

Antisemitismus? Im mondänen Westerland ist davon noch nicht viel zu spüren. Lediglich die Pensionen „Lambeck“ und „Sanssouci“ verweigern hier jüdischen Familien den Zutritt. So zumindest steht es im „Verzeichnis der judenfeindlichen Erholungsorte, Hotels und Pensionen 1926“, das wie in jedem Frühjahr in der Zeitung des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ („CV-Zeitung“) abgedruckt wird. Schon in der Kaiserzeit hat man dort begonnen, Reisewarnungen zu publizieren, über viele Jahre eine eher kleine Rubrik. Doch 1926 muss die nun schon deutlich angewachsene Liste zweimal nachträglich ergänzt werden.

Halt. 1926? Noch sind es sieben Jahre bis zur Machtergreifung. Doch in verschiedenen Nord- und Ostseebädern, in einigen Hotels und Pensionen wird deutschen Juden schon damals die Unterkunft verweigert. „Hier wollen Deutsche unter sich sein“, steht warnend als Schild am Anfang der Seebrücke in Zinnowitz, 1926 wirbt die Badedirektion damit, man werde das „Deutsche Ostseebad“ von „semitischen Kurgästen“ freihalten. Juristisch gibt es für diese Ausgrenzung keinerlei Grundlage – doch wer kann und will da noch unbeschwert urlauben? „Bäderantisemitismus“, so heißt das Phänomen; Historiker wie Michael Wildt und Frank Bajohr haben dazu geforscht. Orte wie Bansin, Zinnowitz und Heiligenhafen an der Ostsee, Inseln wie Spiekeroog, Langeoog und Juist galten in der Weimarer Zeit als überwiegend judenfeindlich.

Die verdruckste Judenfeindschaft der Kaiserzeit wurde in der jungen Demokratie von einer „offenen antisemitischen Bekenntnisfreude“ abgelöst, wie Frank Bajohr in seinem Buch „Unser Hotel ist judenfrei“ zeigt. „Ist es nicht eine Kulturschande“, schrieb im Juni 1931 der Journalist Fabius Schach in dem Artikel „Die Sommerreise“, „dass man es im zwanzigsten Jahrhundert, mitten im hochzivilisierten deutschen Vaterlande, nötig hat, vor der Sommerreise das Verzeichnis des Centralvereins, genau wie den Baedeker, zur Hand zu nehmen, um sich davor zu schützen, dass man an einen verhetzten Ort gerät? Und hat man auch einen noch nicht verrückten Ort gewählt, dann muss man häufig genug an Pensionen und Hotels die liebliche Aufschrift ,Jüdische Gäste verbeten‘ sehen, oder man begegnet theatralisch-militärisch aufgezogenen Umzügen mit judenfeindlichen Fahnen und Maskeraden, und dann ist es um die Erholungsstimmung geschehen.“

Der Bäderantisemitismus war nicht auf Deutschland begrenzt. In den USA gab es den Resortantisemitismus, der 1877 mit der „Seligman-Hilton-Affäre“ den Anfang nahm, bis in die 1960er Jahre. Auch in Osteuropa fand man ihn oder als „Sommerfrischenantisemitismus“ in Österreich. Allerdings habe der Antisemitismus in Deutschland „vor allem nach dem Ersten Weltkrieg brutale und aggressive Züge“ angenommen, schreibt Bajohr in seinem Buch.

Vorreiter war die Nordseeinsel Borkum. Schon in der Kaiserzeit pries sie sich als „judenfrei“. Das war ihr Markenzeichen. Jeden Tag spielte die Kurkapelle im heute restaurierten Musikpavillon das „Borkumlied“. Alle Urlaubsgäste kannten den Text, der auf Postkarten abgedruckt war, und schmetterten ihn zu Marschmusik. „Wir grüßen heut’ im frohen Lied/dich, Borkum schönen Strand“ begann es freundlich – und endete doch ganz anders: „An Borkums Strand nur Deutschtum gilt/nur deutsch ist das Panier/… Doch wer dir naht mit platten Füßen/mit Nasen krumm und Haaren kraus/der soll nicht deinen Strand genießen/der muss hinaus! Der muss hinaus! Hinaus!“


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mare No. 97

No. 97April / Mai 2013

Von Susanne Leinemann

Oft war die Berliner Autorin Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, schon im Urlaub an der Nord- und Ostsee. Aber das Ausmaß des Bäderantisemitismus in den 1920er Jahren war ihr neu. Der Historikerin brachte die Recherche im Archiv des Jüdischen Museums und in Bibliotheken einen neuen Blick auf die Weimarer Zeit und den damals grassierenden alltäglichen Antisemitismus.

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Vita Oft war die Berliner Autorin Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, schon im Urlaub an der Nord- und Ostsee. Aber das Ausmaß des Bäderantisemitismus in den 1920er Jahren war ihr neu. Der Historikerin brachte die Recherche im Archiv des Jüdischen Museums und in Bibliotheken einen neuen Blick auf die Weimarer Zeit und den damals grassierenden alltäglichen Antisemitismus.
Person Von Susanne Leinemann
Vita Oft war die Berliner Autorin Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, schon im Urlaub an der Nord- und Ostsee. Aber das Ausmaß des Bäderantisemitismus in den 1920er Jahren war ihr neu. Der Historikerin brachte die Recherche im Archiv des Jüdischen Museums und in Bibliotheken einen neuen Blick auf die Weimarer Zeit und den damals grassierenden alltäglichen Antisemitismus.
Person Von Susanne Leinemann