Starker Sturm, schwache Deckung

Schadensversicherungen fordern mehr Klimaschutz

Der Mensch hat es sich zur lieben Gewohnheit gemacht, das Grauen bei seinem Vornamen zu nennen. Mal heißt es „Hugo“, mal „Mireille“, mal „Bonnie“. Das klingt eher nach flotten Mädchen und strammen Jungs als nach Tod und Verderben. Und wenn abends der Wetteronkel mit Kennermiene auf bunten Satellitenbildern einen mächtigen Wirbel verortet und dessen unaufhaltsamen Vormarsch entlang computerberechneter Zugbahn verkündet, dann mischt sich in den Schrecken über die Naturgewalten oft eine kleine Prise Humor und ein wohlgefälliges Gruseln. Meistens erwischt es ohnehin die anderen, wenn Hurrikane und Taifune mit den freundlichen Namen in Windgeschwindigkeiten bis zu 300 Kilometern in der Stunde über die Erde rasen.

Der 29. April 1991 war solch ein Tag. Der Indische Ozean tobte, als ein gewaltiger Zyklon eine haushohe Flutwelle auf die Küste von Bangladesh zutrieb. 140 000 Menschen starben. Die größte Naturkatastrophe dieses Jahrzehnts spülte die Ärmsten der Armen in den Tod. Doch im Gedächtnis der Welt ist ein anderes Ereignis viel präsenter geblieben, obwohl dabei nur 64 Menschen umkamen: Hurrikan „Andrew“ fräste im August 1992 eine 50 Kilometer breite Schneise durch die südlichen Randgebiete des mondänen Miami und das Hinterland von New Orleans. Andrew war das teuerste „Starkwindereignis“ dieses Jahrhunderts. Er kostete die Versicherungen 17 Milliarden und die amerikanische Volkswirtschaft sogar 30 Milliarden US-Dollar.

Etwa zur selben Zeit, zu Anfang der 90er Jahre, stellten Atmosphärenforscher immer häufiger die Frage, ob der Mensch dabei ist, mit dem von ihm selbst verursachten, deutlich verstärkten Treibhauseffekt das Weltklima zu verändern. Ein wichtiges Indiz dafür war neben der globalen Temperaturerhöhung um 0,6 Grad in diesem Jahrhundert, neben den dramatisch abschmelzenden Alpengletschern und dem steigenden Meeresspiegel auch die von den Versicherungsgesellschaften dokumentierte Zunahme der Wetterkatastrophen.

In den 80er Jahren war die Zahl der Stürme, Sturmfluten und Überschwemmungen regelrecht explodiert. Eine der Hauptbetroffenen dieser Zunahme von „Elementarschadensereignissen“ ist die seit 1880 bestehende Münchener Rückversicherung. Sie versichert Versicherungsunternehmen und ist mit weltweit 5000 Kunden internationaler Marktführer. Die vornehme Anonymität eines in aller Stille arbeitenden Versicherungsriesen hat sie längst abgelegt. Mit regelmäßigen Veröffentlichungen zum Klimawandel, mit einer Weltkarte der Naturkatastrophen und einem jährlich zelebrierten Rückblick auf Sturm, Hochwasser und Erdbeben mischt sich das Unternehmen immer wieder in die Klimadebatte ein.

In einem Vergleich heutiger Katastrophen mit denen der 60er Jahre hat die „Rück“ im letzten Jahr eine bemerkenswerte Bilanz gezogen. Ihr Fazit: In den letzten zehn Jahren „hat die Anzahl großer Naturkatastrophen auf das Dreifache zugenommen, die volkswirtschaftlichen Schäden sind – inflationsbereinigt – auf das Achtfache und die versicherten Schäden sogar auf das Vierzehnfache gestiegen.“

Als Ursache dieser Entwicklung nennt die Versicherung an erster Stelle die wachsende Bevölkerung und die immer höheren Sachwerte in den Hochrisikogebieten entlang den Küsten. Nach Angaben des IPCC, des weltweiten Zusammenschlusses von Klimawissenschaftlern unter dem Dach der Vereinten Nationen, ist die Bevölkerung in den großen Küstenstädten doppelt so schnell gewachsen wie im Landesinneren. Inzwischen lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Küstenregionen und ist anfälliger denn je für Stürme und Fluten. Weniger das Klima, sondern vor allem die Siedlungspolitik hat also die Zahl der Katastrophen stürmisch ansteigen lassen; der Anstieg der Versicherungsschäden für sich genommen ist noch kein eindeutiger Beweis für Klimaänderungen. Aber auch umgekehrt gilt: Die Siedlungs-politik als eine Ursache der Katastrophe schließt den Klimawandel als zweite Ursache nicht aus.

Die Wissenschaftler der „Rück“ wissen um diese Zusammenhänge. Sie wissen aber auch, daß mehr und mehr Indizien dafür sprechen, daß ein menschengemachter Klimawandel möglicherweise schon begonnen hat und daß die zunehmende Zahl von Verheerungen die Vorboten dieser Entwicklung sind. Die Erde bewege sich auf klimatische Verhältnisse zu, die sie in der letzten Million Jahre „vermutlich nie erlebt hat“, heißt es in der jährlich aufgelegten Schadensbilanz der Münchener Versicherer. Und: „Es mehren sich die Anzeichen dafür, daß die sich immer deutlicher abzeichnende globale Erwärmung das Sturmrisiko bereits merklich zu beeinflussen beginnt“. Wie groß dieser menschengemachte Katastrophenanteil durch das angeheizte Klima ist, vermag niemand zu sagen. Über entsprechende mathematische Modelle verfügt auch der Versicherungskonzern bisher noch nicht. Daß dieser Zusammenhang jedoch existiert, davon sind die Wissenschaftler der „Rück“ überzeugt.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 11. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 11

No. 11Dezember / Januar 1998

Von Manfred Kriener

Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt als freier Journalist in Berlin. Für seine Wissenschafts- und Food-Berichte ist er mehrfach ausgezeichnet worden

Mehr Informationen
Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt als freier Journalist in Berlin. Für seine Wissenschafts- und Food-Berichte ist er mehrfach ausgezeichnet worden
Person Von Manfred Kriener
Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt als freier Journalist in Berlin. Für seine Wissenschafts- und Food-Berichte ist er mehrfach ausgezeichnet worden
Person Von Manfred Kriener