Spiel! Mit! Mir!

Die einstige portugiesische Kolonie Macau am Perlflussdelta ist heute eine erfolgreiche Sonderverwaltungszone. Hier dreht sich alles­ ums Glücksspiel – das überall sonst in China verboten ist

Im Süden des kommunistischen Chinas gibt es einen Ort, der so unkommunistisch ist, als habe Mao nie gelebt: die Sonderverwaltungszone Macau, 65 Kilometer von Hongkong entfernt, auf der anderen Seite des Perlflussdeltas. Eine Stadt, die kaum größer ist als Pinneberg in Schleswig-Holstein, aber so verheißungsvoll tut wie Las Vegas.

Schon die abendliche Ankunft mit der Schnellfähre aus Hongkong ist perfekt choreografiert. In einem Moment hüpft der Katamaran auf unsichtbaren Wellen durch die Nacht. Und dann, im nächsten, entsteigt ein in Flammen stehendes Ungetüm dem Meer, erst ganz klein, dann immer größer. Nach und nach nimmt es Konturen an: hell erleuchtete Straßen, Brücken, Hochhäuser, Schriftzüge, ein Fernsehturm, alles blinkt und glitzert, als habe jemand jegliche Lichter Chinas hierhin verlegt.

Das also ist Macau, 600 000 Einwohner, 30 Millionen Besucher im Jahr, angestrahlt von Millionen Scheinwerfern. Es ist kein leiser Empfang, es ist ein selbstbewusstes, lautes „Willkommen!“, das die Stadt dem Besucher zuruft. Sie will verführen, schnell, mit großen Gesten, denn der durchschnittliche Tourist bleibt nur anderthalb Tage hier. Anderthalb Tage, in denen es vor allem um eines geht: ums Spielen. Macau ist der einzige Ort in China, wo Glücksspiel behördlich erlaubt ist.

Eigentlich passt es nicht zur kommunistischen Ideologie des chinesischen Mutterlands, wonach jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten und nicht sein Geld am Baccaratisch verprassen soll. Aber in Macau lässt man das Volk gewähren – im Sinne des von Deng Xiaoping formulierten Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“. Peking will, dass das Geld der neuen, spielfreudigen Mittelschicht in der Volksrepublik bleibt und nicht in Monte Carlo oder Las Vegas verschwindet.

Kaum ist man aus der Fähre gestiegen, plustern sie sich schon auf, die Casinos, für die Macau berühmt ist, das 260 Meter hohe „Grand Lisboa“ etwa mit seiner Fassade, die an einen goldenen Lotus erinnert, ein Wahrzeichen Macaus. Und doch ist die Stadt mehr als nur Spielerenklave im eigenen Land. Sie verwirrt den Neuankömmling mit einer seltsamen Melange aus chinesischem Wirtschaftswunder, amerikanischem Protz und portugiesischer Melancholie. Sie ist wie das Gericht eines experimentierfreudigen Chefkochs, ein Gericht, bei dem die Zutaten nicht zusammenzupassen scheinen. Schmeckt es? Oder schmeckt es nicht?

Eine Antwort zu finden braucht Zeit. Zeit für Spaziergänge, im alten und im neuen Macau, denn die Stadt ist in zwei Teile geteilt. Der eine Teil, das alte Macau, liegt eingezwängt auf der gleichnamigen Halbinsel hinter dem Grenzübergang zum Mutterland, dicht besiedelt, eine Kleinstadt voller Menschen. Hier residierten einst die Portugiesen. Fast 450 Jahre lang, bis 1999, war Macau portugiesische Kolonie, und man versteht, wieso. Die Lage an einer geschützten Bucht am Südchinesischen Meer, am Delta des großen Flusses, machte die Stadt zum idealen Ausgangspunkt für den lukrativen Gewürzhandel zwischen Asien und Europa.

Die Portugiesen bauten prächtige Villen und Gotteshäuser, und sie waren es auch, die Mitte des 19. Jahrhunderts das Glücksspiel legalisierten, eine Idee des portugiesischen Gouverneurs Isidoro Francisco Guimarães, um dem übermächtig gewordenen Hongkong etwas entgegenzusetzen. Opiumhöhlen, die ersten Casinos, Wettbüros, Pfandhäuser, Prostitution – Macau zelebrierte das liberale Leben, und dieser Geist durchstreift noch immer die Straßen der Halbinsel. Sie ist eng, lebendig, an ihren Rändern hügelig. Schmale Gassen wechseln sich ab mit viel befahrenen Boulevards, auf denen blitzblank geputzte deutsche Autos Paraden aufführen.

Die Tage in der Altstadt, sie sind laut und schwül, ein einziges Gedränge Abertausender chinesischer Festlandtouristen. Nachts dagegen kehrt Ruhe ein, dann stehen Wohnblöcke aus den 1950er-Jahren still zwischen all den kolonialen Anwesen. Manche der portugiesischen Bauten sind verfallen, weil die Besitzverhältnisse nicht geklärt sind, andere glänzen frisch renoviert. Auf einem Hügel thront die São-Lourenço-Kirche, einst errichtet von den Jesuiten, ein Schmuckstück. Etwas weiter nordöstlich liegt das Teatro Dom Pedro V, das älteste europäische Theater der Stadt.

Die Straßen in Macau tragen chinesi- sche und portugiesische Namen, ebenso Geschäfte und Schulen, sogar die Küche der Straßenimbisse ist eine Mischung: portugiesische Wurst neben getrocknetem Schweinefleisch aus Kanton, Ingwerpralinen neben portugiesischen Mandelplätzchen. Es riecht nach Sojasauce und Pastéis de bacalhau, nach Autoabgasen und Räucherstäbchen aus Hinterhoftempeln. Versteckt im Gewirr ducken sich portugiesische Cafés, wie etwa das „Caravela“, wo sich portugiesische Expats zu Espresso und Pastel de nata treffen. Sie arbeiten in Macau als Anwälte oder Beamte. Die offizielle Amtssprache ist – neben Chinesisch – noch immer Portugiesisch.


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mare No. 128

Juni / Juli 2018

Von Jan Keith und Charlotte de la Fuente

Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, spielte in Macau Roulette. Er gewann, allerdings nur 50 Cent.

Charlotte de la Fuente, 26, aus Kopenhagen wollte wissen, wie das Glücksspiel das Leben dort prägt. Entstanden ist ihr Fotoprojekt A Chinese Game of Luck.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, spielte in Macau Roulette. Er gewann, allerdings nur 50 Cent.

Charlotte de la Fuente, 26, aus Kopenhagen wollte wissen, wie das Glücksspiel das Leben dort prägt. Entstanden ist ihr Fotoprojekt A Chinese Game of Luck.
Person Von Jan Keith und Charlotte de la Fuente
Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, spielte in Macau Roulette. Er gewann, allerdings nur 50 Cent.

Charlotte de la Fuente, 26, aus Kopenhagen wollte wissen, wie das Glücksspiel das Leben dort prägt. Entstanden ist ihr Fotoprojekt A Chinese Game of Luck.
Person Von Jan Keith und Charlotte de la Fuente