Souper mit Rattenragout

Wenn auf See die Lebensmittel ausgegangen waren, waren die Ratten an Bord oft genug die letzte Rettung für die Crew


Im Jahr 1803 verließ die Fregatte „Nadeschda“ ihren Heimathafen Kronstadt an der Ostsee zur ersten russischen Weltumsegelung. Drei Jahre sollte die Reise dauern, mit an Bord: der deutsche Naturforscher Georg Heinrich von Langsdorff. Vor Hawaii protokollierte er: „Unsere Küche war einfach, und die Nahrung der Offiziere bestand so wie die der Matrosen in Schiffskost, nämlich in Salzfleisch und Zwieback. Letzterer war zwar sehr schmackhaft, es hatte sich aber ein kleiner Käfer so häufig darin eingenistet, dass jeder sein Stück Brot, ehe er es in den Mund steckte, ausklopfen musste.“

Ein Matrose hätte diese Normalität für nicht erwähnenswert gehalten. Schon Ende des 15. Jahrhunderts wusste ein Chronist Ähnliches von der Reise zu berichten, auf der Vasco da Gama den Seeweg nach Indien entdeckte. „Beim Kurs auf die Azoren kam großes Missgeschick über uns, weil uns alle Leute erkrankten; daher war niemand da, der das Schiff führte. Und weder die Kranken noch die Gesunden hatten außer Zwieback mit vielen Würmern etwas zu essen.“ Im Kampf gegen Hunger und Skorbut griff man zu einer naheliegenden Lösung. „Die Not war so groß, dass zwei Hunde und zwei Katzen, die auf das Schiff gekommen waren, von den Kranken gegessen wurden.“

Auch der britische Entdecker James Cook musste Jahrhunderte später die gleiche Kost zu sich nehmen. Bei dessen zweiter Südseereise von 1772 bis 1775 notierte der 19-jährige Georg Forster, der sich zu- sammen mit seinem Vater, einem deutschen Naturwissenschaftler, an Bord be- fand: „Mein Vater ließ seinen tahitischen Hund, den einzigen, der noch lebend am Borde war, abschlachten; und Kapitän Cook wurde damit einige Tage hintereinander beköstigt.“

In der Epoche der klassischen Entdeckungsreisen lagen Triumph und Entbehrung nah beieinander. Und so ist die Liste der ungewöhnlichen Speisen lang. Als Klassiker gilt die Geschichte des norwegischen Polarforschers Roald Amundsen, der während der Südpolfahrt 1911/12 seine Schlittenhunde verspeisen musste. Knapp ein Jahrhundert zuvor hatte sich John Franklin auf seine erste Arktisexpedition begeben. Im Winter 1821 aßen er und seine Männer alte Rentierhäute und Schuhleder, um sich wohlgefüllte Mägen vorzugaukeln.

Nicht viel besser war es den Seeleuten ergangen, die mit Ferdinand Magellan als Erste um die Erde segelten. Im November des Jahres 1520 blieben ihnen neben der Verzweiflung nur Sägespäne und das Leder, mit dem die große Rahe geschützt war. Es musste erst fünf Tage lang in Meerwasser aufweichen, bevor es geröstet „durch die Kehle gewürgt werden konnte“, so der italienische Schriftsteller Antonio Pigafetta, dessen Zeugnis der Reise erhalten geblieben ist. Die an Hunger Gestorbenen bekamen so rasch wie möglich eine Seebestattung, um Kannibalismus zu verhindern.

Wer Hunger hat, kann sich Ekel nicht leisten. Wenn der letzte Zwieback zu Staub zerbröselt war und der letzte Schiffshund sein Leben in einer Pfanne ausgehaucht hatte, hieß es, nach anderer Nahrung Ausschau zu halten. Nahrung, an die zuvor niemand zu denken gewagt hätte.

Auch dazu lässt Chronist Pigafetta kein Detail unerwähnt. „Einer entdeckte im Schiffsraum der ‚Trinidad‘ Ratten. Niemand wusste, wie sie dorthin gekommen waren und wie lange sie schon dort hausten. Nun begann eine wilde Jagd auf diese schrecklichen Tiere, und jeder, dem es gelang, eines von ihnen zu erlegen, konnte seinem Bauch diese abscheuliche Nahrung zuführen. Die meisten hatten nicht die Geduld, die Tiere auf einem Kohlenfeuer zu braten, sie schlangen sie roh hinunter und übergaben sich gleich hinterher.“ Als sich zwei Seeleute um eines der Tiere stritten, erschlug der eine den anderen. Magellan verurteilte den Täter zum Tod, ließ ihn erdrosseln und ins Meer werfen.


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mare No. 107

No. 107Dezember 2014 / Januar 2015

Von Dietmar Falk und Jörg Hülsmann

Dietmar Falk, Jahrgang 1965, lebt als freischaffender Autor in Berlin. Obwohl man der Stadt nachsagt, viele Ratten zu beheimaten, ist dem Autor bisher kein Exemplar über den Weg gelaufen. „Das kann gerne so bleiben“, sagt er. Seinem Sohn muss er allerdings noch die Idee ausreden, zwei Ratten als Haustiere halten zu wollen.
Jörg Hülsmann, geboren 1974, wohnhaft in Berlin, studierte Illustration in Düsseldorf und Hamburg. Seit vielen Jahren zeichnet er für Buchverlage, Magazine und Zeitungen.

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Vita Dietmar Falk, Jahrgang 1965, lebt als freischaffender Autor in Berlin. Obwohl man der Stadt nachsagt, viele Ratten zu beheimaten, ist dem Autor bisher kein Exemplar über den Weg gelaufen. „Das kann gerne so bleiben“, sagt er. Seinem Sohn muss er allerdings noch die Idee ausreden, zwei Ratten als Haustiere halten zu wollen.
Jörg Hülsmann, geboren 1974, wohnhaft in Berlin, studierte Illustration in Düsseldorf und Hamburg. Seit vielen Jahren zeichnet er für Buchverlage, Magazine und Zeitungen.
Person Von Dietmar Falk und Jörg Hülsmann
Vita Dietmar Falk, Jahrgang 1965, lebt als freischaffender Autor in Berlin. Obwohl man der Stadt nachsagt, viele Ratten zu beheimaten, ist dem Autor bisher kein Exemplar über den Weg gelaufen. „Das kann gerne so bleiben“, sagt er. Seinem Sohn muss er allerdings noch die Idee ausreden, zwei Ratten als Haustiere halten zu wollen.
Jörg Hülsmann, geboren 1974, wohnhaft in Berlin, studierte Illustration in Düsseldorf und Hamburg. Seit vielen Jahren zeichnet er für Buchverlage, Magazine und Zeitungen.
Person Von Dietmar Falk und Jörg Hülsmann