Soshis Zauberkugeln

Ein Japaner in Berlin zeigt uns, was Japaner wirklich gern essen. Nein, nicht Sushi – es sind Takoyaki, Teigbällchen mit Tintenfisch

Es ist ein Samstagmittag, und im „Momiji“ in Berlin-Charlottenburg, nur wenige Gehminuten vom Sa­vigny­platz, herrscht eine angenehm ruhige Atmosphäre. Junge Leute in lässiger Streetwear sitzen an schlichten Holztischen. Von der Decke des Bistros hängen Lampenschirme, die aussehen wie Kugel­fische. Sanftes Gemurmel erfüllt den Raum, darunter: Japanisch, Koreanisch, Chinesisch. Wer ins „Momiji“ kommt, so scheint es, kennt sich aus – und weiß, dass es hier etwas gibt, was es in Berlin sonst kaum gibt, ja, überhaupt nur selten in Europa: Takoyaki.

„Takoyaki ist das beliebteste Streetfood in Japan“, sagt Soshi Wenk. Der 38-Jährige steht in der offenen Küche seines Restaurants vor zwei gusseisernen Pfannen, die Poffertjespfannen ähneln, nur dass die Mulden hier tiefer sind und bereits gefüllt mit brutzelndem Teig. Mit zwei kleinen Spießen lupft Wenk den Teig Mulde für Mulde an und dreht ihn geschickt, bis kugelrunde Bällchen entstehen. In Osaka, von wo das Gericht kommt, erzählt er, hat jede Familie diese Pfannen zu Hause.

Zur Entwicklung der Bällchen, so die Legende, trugen zwei Katastrophen bei – das Kanto-Erdbeben von 1923 und der Zweite Weltkrieg. Weil zu jenen Zeiten Reis knapp war, griff man vermehrt zu Weizenmehl. Irgendwann mischte wohl jemand das Mehl mit Eiern, Fischbrühe und Sojasauce und briet den Teig zu etwa pflaumengroßen Kugeln. Später versenkte jemand ein Stückchen Oktopus darin – schon war ein begehrter Snack geboren.

Doch wie kam der Snack nach Charlottenburg? „Das war Zufall“, sagt Wenk und lacht. Denn ursprünglich ist er kein Koch und auch nicht aus Osaka. Er wuchs in Hiroshima auf, in der Nähe des Meeres, und ging als Kind gern mit seinem Vater fischen – wenn der Zeit hatte. Denn wie die meisten Menschen in Japan arbeiteten seine Eltern viel. Deshalb kümmerte sich seine Großmutter oft um ihn. Von ihr lernte er, wie man japanische Hausmannskost zubereitet – einfache Gerichte wie Brechbohnen mit Sojasauce, gekochten Tofu mit Misosauce und vieles mehr. „Ich liebe es zu kochen“, sagt Wenk. Zum Beruf aber machte er es erst einmal nicht. Stattdessen zog er nach Osaka, studierte Sprachen und fing in einer Textilfirma als Verkäufer an. Doch es gefiel ihm nicht – der Stress und der Druck waren groß. Wenk träumte davon, nach Europa zu gehen.

Als die Chance dazu kam, ergriff er sie. Mit 26 Jahren zog er nach Paris, und nach einem Schlenker in die Export­branche fing er als Küchenhilfe in einem japanischen Restaurant an, in dem es Takoyaki gab. Die Pariser waren verrückt nach den Bällchen mit dem Tintenfisch.
„Das war lustig“, sagt Wenk. „Die Gäste kamen oft zu uns und wollten wissen, wie sie zubereitet werden.“ Und noch etwas passierte in seiner Zeit in Paris: Er lernte seine heutige Frau kennen, eine Norddeutsche. So kam es, dass er mit ihr nach Deutschland ging, erst nach Frankfurt am Main, später über Umwege nach Berlin, wo er schließlich den Sprung wagte und sein erstes eigenes Restaurant eröffnete. „Ich wollte zeigen, was wir in Japan täglich essen“, sagt er. Denn die meisten Europäer denken bei japanischem Essen vor allem an Sushi. Dabei gibt es so viel mehr. Außerdem wollte er Takoyaki anbieten – und die Bällchen auf ein höheres Niveau heben.

Bestellt man bei ihm das Probierset „Try Takoyaki“, kommen auf einer Steinplatte neun Bällchen in drei Varianten daher, etwa mit Mayonnaise und Ponzu – einer Sojasauce mit Limettensaft – oder mit Knoblauchsauce. Am schönsten aber sind jene mit Worcestersauce, garniert mit Bonitoflocken. Fast sieht es aus, als wären die fein gehobelten Fischflocken winzige Schmetterlinge, die mit den Flügelchen schlagen – es ist die Hitze, die die Flocken tanzen lässt.

Und wie schmecken sie? Außen sind sie knusprig, innen cremig und wunderbar sanft, gespickt mit einem Stück Oktopus, gekrönt von würzigen Saucen. Es sind kleine Zauberkugeln.


Takoyaki

Zutaten (für vier Personen)
Für den Teig 200 g Weizenmehl, 900 ml Fischbrühe, 3 Eier, 10 g Backpulver, 15 ml Sojasauce. Für die Füllung 2 Frühlingszwiebeln, 120 g Oktopus. Außerdem Worcestersauce und Bonitoflocken; alternativ: Ponzusauce und japanische Kewpie (QP)-Mayonnaise, etwas Rapsöl, eine Takoyaki- oder Poffertjespfanne.

Zubereitung
Mehl, Fischbrühe, Eier, Backpulver und Sojasauce zu einem Teig verquirlen und zwei Stunden im Kühlschrank ruhen lassen. Den Oktopus in 1,5 cm große Würfel und die Zwiebeln in feine Ringe schneiden. Dann die Pfanne mit Öl ausstreichen und erhitzen. Teig in die Mulden geben und mit je einem Oktopuswürfel und einem Stück Frühlingszwiebel befüllen. Sobald der Teig fester wird, ihn mit Stäbchen drehen und zu kross gebackenen Bällchen weiterbraten lassen. Zusammen mit Worcestersauce und Bonitoflocken oder mit Ponzusauce und Mayonnaise heiß servieren.

Momiji Berlin
Bleibtreustraße 52, 10623 Berlin,
Telefon 030/55286406,
Di bis Sa 12 bis 15 Uhr und 17 bis 22 Uhr, www.mo-mi-ji.com.


mare No. 152

mare No. 152Juni / Juli 2022

Von Andrea Walter und Maurice Weiss

Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.

Maurice Weiss, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Er ist Fotograf der Agentur Ostkreuz.

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Vita Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.

Maurice Weiss, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Er ist Fotograf der Agentur Ostkreuz.
Person Von Andrea Walter und Maurice Weiss
Vita Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.

Maurice Weiss, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Er ist Fotograf der Agentur Ostkreuz.
Person Von Andrea Walter und Maurice Weiss