So retten wir den Fisch

Der neue „World Ocean Review 2“ gibt Antworten auf die drängenden Fragen unseres Umgangs mit der Ressource Fisch

Gut ein Viertel aller Fischbestände gilt heute als überfischt. Selbst in die Tiefsee ist die Fischereiindustrie eingedrungen. Moderne Netze reichen bis zu 2000 Meter tief hinab. Berühren sie den Grund, können sie empfindliche Lebensräume wie etwa die Kaltwasserkorallenriffe zerstören. Rund 30 000 Fischarten gibt es weltweit, nur einige hundert sind für die Fischerei von Interesse. Doch viele andere Arten gehen als Beifang mit ins Netz und werden meist tot ins Meer zurückgeworfen.

Von diesen und anderen Missständen berichtet der soeben publizierte „World Ocean Review 2“ (WOR 2). Und er zeigt, wie man es besser machen kann.

2010 hatte maribus, die vom mareverlag gegründete gemeinnützige Organisation, gemeinsam mit Forschern des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ der Universität Kiel den ersten „World Ocean Review“ (WOR) veröffentlicht, einen umfassenden Bericht über den Zustand der Ozeane. Ziel war es, darüber aufzuklären, wie es um den Lebensraum Meer steht, die Bedrohungen zu analysieren, vor allem aber Lösungen für einen umfassenden Schutz der Meere aufzuzeigen. Bis heute wurden rund 70 000 Exemplare des WOR verteilt – an Schulen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Privatleute und Journalisten. Anfragen kamen aus Deutschland, Westeuropa und den USA sowie insbesondere aus Brasilien, Indien und der Türkei.

Während der erste WOR einen möglichst breiten Überblick geben wollte, beschäftigt sich der WOR 2 mit nur einem Thema, der Fischerei. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens sind die Fischbestände heute durch Überfischung bedroht wie nie zuvor. Zweitens betrifft das Thema die meisten von uns, denn für Milliarden Menschen ist Fisch ein geschätztes oder lebenswichtiges Nahrungsmittel.

Der WOR 2 beleuchtet die Beziehung des Menschen zum Fisch im Detail. Er gibt eine Einführung in die Biologie der Fische und analysiert den Zustand der Fischbestände. Diskutiert wird auch, inwieweit die Fischzucht, die Aquakultur, dazu beitragen kann, die wachsende Weltbevölkerung künftig mit Fisch zu versorgen und den Raubbau an den Wildfischbeständen zu verringern.

Seit etwa 50 Jahren gibt es große Fabrikschiffe, auf denen der gefangene Fisch sofort verarbeitet und tiefgefroren wird. Der Fang bleibt dadurch lange frisch, sodass es sich wirtschaftlich lohnt, mit großen Trawlern auch weit entfernte Hochseegebiete anzusteuern. Innerhalb eines halben Jahrhunderts konnte sich die Industriefischerei so aus den großen Fanggebieten der Nordhalbkugel nach Süden und über alle Meere ausbreiten. Fischbestand um Fischbestand wurde erobert. War ein Gebiet leer gefischt, zogen die Flotten weiter.

Immer wieder sorgen erschreckende Forschungsergebnisse für Aufsehen. So kamen zum Beispiel 2006 die Autoren einer globalen Studie über das Artensterben zu dem Schluss, dass sämtliche Bestände von Speisefischen und Meeresfrüchten bis 2048 zusammenbrechen könnten, falls die Menschheit weiterhin so schonungslos die Meere ausplündert.

Es sind Aussagen wie diese, die zwar alarmistisch aufrütteln, aber zugleich hoffnungslos machen. Hier trägt der WOR 2 zur Versachlichung bei, indem er Aussagen verschiedener Forscher zusammenträgt und vergleicht. Ein wichtiges Ergebnis: Pauschale Aussagen über alle Fischbestände und den großen Zusammenbruch sind nicht legitim. Das Bild ist komplexer. Vor allem auch deshalb, weil es inzwischen gute Beispiele für nachhaltigen Fischfang gibt. Nationen wie Australien und Neuseeland und auch der US-Bundesstaat Alaska zeigen längst, dass sich Fischbestände durch ein gutes Fischereimanagement schützen lassen oder von Überfischung erholen können.

In diesem Jahr beschließt die Europäische Union (EU) eine neue Fischereipolitik. Man will auf ein schonendes Fischereimanagement umschwenken. Dazu gehört etwa die Einführung eines Rückwurfverbots. Und bei der Höhe der Fangquote sollen künftig Wissenschaftler das letzte Wort haben. Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben die Fischereireform bereits verabschiedet. Nun müssen die EU-Regierungen zustimmen. Es wird sich zeigen, ob sie sich zu einem Systemwechsel durchringen können.

Zweifellos kommt Europa bei der Fischerei eine besondere Rolle zu. Die europäischen Staaten haben nicht nur lange Zeit die eigenen Bestände ausgebeutet. Sie sind außerdem, noch vor den USA, der größte Fischimporteur. Jährlich führt Europa Fisch im Wert von fast 45 Milliarden Dollar ein, das sind rund 40 Prozent des weltweiten Warenwerts. So sind vor allem die europäischen Verbraucher aufgefordert, durch kritisches Kaufverhalten Druck auf Hersteller und Handelskonzerne auszuüben. Ob das gelingen kann, wird ebenfalls im WOR 2 diskutiert.

Bei der Erstellung des WOR 2 waren zahlreiche deutsche und internationale Forscher beteiligt, zum Teil auch Fachleute mit gegensätzlichen Ansichten. Finanziert wurde der Bericht von der Ocean Science and Research Foundation, die von der Meeresschützerin Elisabeth Mann Borgese gegründet wurde. Die gemeinnützige, politisch unabhängige Stiftung mit Sitz in Zürich setzt sich für eine friedliche und nachhaltige Nutzung des Ozeans ein.

Ein kostenloses Exemplar des WOR 2 können Sie bestellen unter www.worldoceanreview.com.

mare No. 97

No. 97April / Mai 2013

Von Tim Schröder

Der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stammt aus der kleinen Ostseestadt Kappeln an der Schlei, wuchs in Hamburg auf und lebt heute als freier Autor in Oldenburg in Niedersachsen. Nach seinem Biologiestudium absolvierte er ein Redaktions-Volontariat bei der Nordwest-Zeitung. Anschließend war er Redakteur im Wissenschafts-Ressort der Berliner Zeitung und zuständig für die Bereiche Naturwissenschaft und Technik. Heute befasst er sich am liebsten mit Umwelt-Themen. mare ist für ihn eine Herzensangelegenheit, denn nirgendwo sonst kann oder darf er harte Fakten so schön in Erzählgeschichten verwandeln wie in diesem Magazin. Tim Schröder ist verheiratet, hat zwei Jungs und eine Garage voller Fahrräder.

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Vita Der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stammt aus der kleinen Ostseestadt Kappeln an der Schlei, wuchs in Hamburg auf und lebt heute als freier Autor in Oldenburg in Niedersachsen. Nach seinem Biologiestudium absolvierte er ein Redaktions-Volontariat bei der Nordwest-Zeitung. Anschließend war er Redakteur im Wissenschafts-Ressort der Berliner Zeitung und zuständig für die Bereiche Naturwissenschaft und Technik. Heute befasst er sich am liebsten mit Umwelt-Themen. mare ist für ihn eine Herzensangelegenheit, denn nirgendwo sonst kann oder darf er harte Fakten so schön in Erzählgeschichten verwandeln wie in diesem Magazin. Tim Schröder ist verheiratet, hat zwei Jungs und eine Garage voller Fahrräder.
Person Von Tim Schröder
Vita Der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stammt aus der kleinen Ostseestadt Kappeln an der Schlei, wuchs in Hamburg auf und lebt heute als freier Autor in Oldenburg in Niedersachsen. Nach seinem Biologiestudium absolvierte er ein Redaktions-Volontariat bei der Nordwest-Zeitung. Anschließend war er Redakteur im Wissenschafts-Ressort der Berliner Zeitung und zuständig für die Bereiche Naturwissenschaft und Technik. Heute befasst er sich am liebsten mit Umwelt-Themen. mare ist für ihn eine Herzensangelegenheit, denn nirgendwo sonst kann oder darf er harte Fakten so schön in Erzählgeschichten verwandeln wie in diesem Magazin. Tim Schröder ist verheiratet, hat zwei Jungs und eine Garage voller Fahrräder.
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