Silberbaum und Natternkopf

Auf den Scilly Islands vor Cornwalls Küste verbirgt sich ein Garten von einzigartiger Schönheit: zwei Biotope, wundersam vereint

Ebbe und Nacht. Wie schlafend ruhen die Boote am Strand. Zwischen ihnen liegt, geknebelt und in ein Stück Leinwand geschlagen, ein Mann. Die ansteigende Flut wird ihn ersäufen. Wer ihm in der frühen Dunkelheit des Winters aufgelauert und ihn verprügelt hat, hat der junge Edelmann nicht gesehen; ihre Stimmen hat er nicht erkannt, aber es waren Einheimische, seine eigenen Leute. Sie haben ihn hier zum Sterben ausgesetzt. Die Flut steigt, und er hört, wie das Plätschern der Wellen näher kommt und lauter wird. Er muss mit seinem Leben abschließen. Doch dann kommen sie doch zurück und zerschneiden seine Fesseln. Er kann sich befreien. War es ein Mordversuch, eine Warnung oder nur ein Streich? Man weiß es nicht mehr.

Der da um sein Leben gefürchtet hatte, war Augustus Smith, der verhasste Herr über die Scilly-Inseln. Gut möglich, dass ihn die jungen Männer, die er zum Schulbesuch, zu harter Arbeit und zum Dienst in der Marine gezwungen hatte, hatten loswerden wollen. Dass er kein Unmensch war und ihnen auf dem Lebensweg sehr geholfen hatte, merkten sie erst einiges später. Viele von ihnen, die auf See gedient hatten, zeigten sich im reiferen Alter erkenntlich und brachten ihm seltene Pflanzen aus allen Erdteilen mit. Denn „Kaiser Augustus“, wie man ihn scherzhaft nannte, war nicht nur der Pächter und strenge Herr über die Inseln, sondern auch ein leidenschaftlicher Pflanzensammler. Er legte den Grundstein für den Garten, der die Insel berühmt machen würde, die „Tresco Abbey Gardens“.

1834 erhielt er die Pacht über den zur Grafschaft Cornwall gehörenden verarmten Archipel und begann sofort, die Inseln und ihre Bewohner seinen rücksichtslosen Verbesserungen zu unterziehen. Mittelgroß sei er gewesen, von geschmeidiger Gestalt und entschlossenem Schritt; sein Gesicht fein geschnitten und immer gut rasiert. Kalt, grau und kontrollierend hätten seine Augen geblickt, ans Befehlen gewöhnt, zum Herrschen geboren. So hatte ihn ein Chronist beschrieben, als er das erste Mal die Dörfer inspiziert hatte.

Die Bevölkerung lebte spärlich von Fischfang und Ackerbau. Sie konnte sich kaum erhalten auf den winzigen Grundstücken, die durch ständige Erbteilung immer kleiner geworden waren. Smith schaffte die Erbteilung ab und zwang alle Bewohner, die nicht arbeiteten, die Inseln innerhalb eines Jahres zu verlassen. Er führte die Schulpflicht ein und zwang die Eltern, wöchentlich einen Penny Schulgeld abzuliefern. Wenn sie ihr Kind nicht zur Schule schicken, kostete es zwei Pence. Höchstpersönlich ging er von Hütte zu Hütte und kontrollierte, wie sie lebten, ob sie tranken, ob sie gottesfürchtig waren und ob sie ihre Frauen schlugen. Überall verlangte er mehr Anstrengung und Verbesserungen aller Art. Junge Männer, die müßig die Tage vertrödeln, steckte er in die Marine. Wer nicht gehorchte, musste gehen.

So machte er sich verhasst. Die zornigen jungen Männer schlugen die Scheiben seines neuen Hauses ein, und eine der Inselhexen verfluchte ihn. Aber Smith ließ sich nicht vertreiben. Mit harter Hand fuhr er fort, die Inseln zu reformieren und profitabel zu machen. Sich selbst wollte er den Aufenthalt so gut wie möglich verschönern. Auf Tresco, der zweitgrößten, kahlen und kaum besiedelten Insel, hatte er sich 15 000 Quadratmeter Land für einen Garten reserviert. Auf der höchsten Erhebung ließ er drei Cottages abreißen und die Grundmauern für sein neues Haus legen. Den Kern des Gartens bildeten die Überreste einer alten Abtei unterhalb des Hauses. Die Mauern der Ruine schützten vor den heftigen Winden des Atlantiks. In ihrem Windschatten war es möglich, empfindlicheren Pflanzen ein Überleben zu ermöglichen.

Seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts hatten Mönche in dieser bescheidenen Abtei gelebt, als Lehnsnehmer und Verteidiger der Inseln. Die Krone hatte ihnen das Recht zugestanden, sich das Strandgut untergegangener Schiffe anzueignen. Die Scilly-Inseln waren gefürchtet, weil ihre Untiefen und der oft zwischen den Klippen hängende Nebel vielen Schiffen zum Verhängnis wurde. Man sagt, dass die Bewohner zwar nicht beteten, ein Schiff möge untergehen, aber wenn eines dem Untergang geweiht sei, dann solle es bitte vor ihrer Küste scheitern. Der langen Geschichte der Schiffsuntergänge ist im Garten die sogenannte Walhalla gewidmet, eine offene Gartenhalle, in der seit Smith’ Zeit die Galionsfiguren untergegangener Schiffe gesammelt und ausgestellt wurden.

Schon die Mönche des Mittelalters nutzten ihr Privileg, sich das Strandgut anzueignen, fleißig. Diese Beute war zumindest eine Entschädigung für den Ärger, den die Verteidigung der Insel gegen Piraten machte. Von der Krone kam dabei wenig Hilfe, und irgendwann hatten sie genug. Am Himmelfahrtstag des Jahres 1209 griffen die friedlichen Gottesmänner zur Selbstjustiz und hängten ihre 112 gefangenen Piraten kurzerhand auf. Für eine Weile war Ruhe. Die Mönche waren auch die Ersten, die neue Pflanzen auf die Inseln gebracht hatten, zum Beispiel die kleinen weißen Narzissen, die noch heute überall wild blühen und die im 19. Jahrhundert der Grundstock einer enormen Schnittblumenindustrie werden sollten. Neben dem Wohlgeruch der Narzissen schätzten die Mönche auch die Würze des Knoblauchs. Sie hatten Knollen davon mitgebracht und pflanzten sie in ihren Garten. Wie die Narzissen, so riss auch der Knoblauch aus dem Garten aus und eroberte die ganze Insel, sehr zum Leidwesen der Bauern. Bis heute, denn die Kühe fressen ihn, und so kann es einem passieren, dass die Milch auf Tresco nach Knoblauch schmeckt. Abscheulich, besonders im Tee.


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mare No. 97

No. 97April / Mai 2013

Von Hansjörg Gadient und Sirio Magnabosco

Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Professor für Landschaftsarchitektur im schweizerischen Rapperswil.

Der aus Verona stammende Sirio Magnabosco, geboren 1980, lebt als freier Fotograf in Berlin. Beim morgendlichen Gang vom Hotel zum Garten trafen die beiden auf ihre ersten Goldfasane, effektvoll schillernde Geschöpfe, ganz ohne Scheu. Der Zauber verblasste, als sie merkten, dass sie auf Tresco so allgegenwärtig sind wie Hühner auf einem Geflügelhof und unterschiedslos alles anbetteln, was auf zwei Beinen geht und etwas in der Hand hält.

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Vita Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Professor für Landschaftsarchitektur im schweizerischen Rapperswil.

Der aus Verona stammende Sirio Magnabosco, geboren 1980, lebt als freier Fotograf in Berlin. Beim morgendlichen Gang vom Hotel zum Garten trafen die beiden auf ihre ersten Goldfasane, effektvoll schillernde Geschöpfe, ganz ohne Scheu. Der Zauber verblasste, als sie merkten, dass sie auf Tresco so allgegenwärtig sind wie Hühner auf einem Geflügelhof und unterschiedslos alles anbetteln, was auf zwei Beinen geht und etwas in der Hand hält.
Person Von Hansjörg Gadient und Sirio Magnabosco
Vita Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, ist Professor für Landschaftsarchitektur im schweizerischen Rapperswil.

Der aus Verona stammende Sirio Magnabosco, geboren 1980, lebt als freier Fotograf in Berlin. Beim morgendlichen Gang vom Hotel zum Garten trafen die beiden auf ihre ersten Goldfasane, effektvoll schillernde Geschöpfe, ganz ohne Scheu. Der Zauber verblasste, als sie merkten, dass sie auf Tresco so allgegenwärtig sind wie Hühner auf einem Geflügelhof und unterschiedslos alles anbetteln, was auf zwei Beinen geht und etwas in der Hand hält.
Person Von Hansjörg Gadient und Sirio Magnabosco