Schwein, Weib und Gesang

Schiffbauer und Seeleute vertrauen nicht allein ihrem Können: Ohne eine Sause zur Taufe sticht der Neubau nicht in See

Einige Historiker sehen den Ursprung der Schiffstaufe als Bitte an die Götter um Schutz für Boot und Mannschaft. In diesen Kontext passt die älteste Erwähnung einer maritimen Zeremonie aus dem Babylonien des dritten Jahrtausends vor Christus, die sich allerdings noch stark von den heutigen Taufritualen unterscheidet. Demnach befindet sich das Schiff längst zu Wasser, und einen Namen erhält es auch nicht. „Das Boot hatte ein Leck, ich hielt an. Suchte nach Rissen, machte aus, was fehlte: Drei Saris voll Pech goss ich über die Außenhaut. Und den Göttern bestimmte ich Ochsen zum Opfer.“

Blut floss bei den Wikingern. Sie ließen Menschen auf dem Rutschbalken von Drachenbooten zerquetschen, wenn diese vom Stapel liefen. Später schmeckte man zur Sänftigung der Götter den Bug mit Tierblut. In der Türkei war es bis in die Neuzeit hinein Brauch, den Stapellaufschlitten mit Schafblut zu bestreichen. Schmerzlos dagegen geht die Taufe in Indien vonstatten: Man nimmt Kokosmilch. Der dänische Schiffseigner Lauritzen lässt sich immer etwas Besonderes einfallen: Das Polarschiff „Kista Van“ bekam einen Eisbrocken gegen die Bordwand. Apfelsinensaft gab es für einen Kühlfrachter.

Die Briten und Amerikaner lassen gelegentlich ihre Sprösslinge auf Schiffen taufen. Eine umgedrehte Schiffsglocke ersetzt das Weihwasserbecken, der Kapitän den Priester. Heutzutage ist sie eine selten vollzogene Zeremonie. Zu kolonialen Zeiten jedoch war es durchaus üblich, die Briggs oder Galeonen als mobile Kirchen zu nutzen – waren doch die Schiffe Ihrer Majestät auch fern des Königreichs royales Territorium. Diese Art der Schiffstaufe sicherte dem Täufling das britische Staatsbürgerrecht, selbst wenn er in Übersee geboren worden war.

Die alten Hawaiianer hatten allerlei Zeremonien, um ein neues Kanu zu taufen. Neben Gesängen und Opfergaben spielte vor allem ein tierisches Ritual eine zentrale Rolle: Ein junges Schwein, ins Boot gesetzt und von seinen Fesseln befreit, musste vom Heck zum Bug zu laufen. Sprang es schließlich über Bord, war das neue Kanu geweiht und konnte in See stechen. Wehe dem Ferkel, wenn es sich stattdessen niederlegte: Es wurde prompt gebraten und den Göttern gereicht. Erst wenn diese das Opfer akzeptierten, war das Boot bereit zu seiner Jungfernfahrt.

Jahrhunderte währte eine teure britische Tradition: Ein Royal sprenkelte Wein aus einem Goldkelch über frisch gehobelte Planken. Dann schmiss er das kostbare Stück ins Meer. Ob ein Matrose das Ding noch schnappen konnte oder nicht, ein Verlust war es für die Krone in jedem Fall. Wiederverwenden konnte man den Kelch erst, als die Etikette auch Fangnetze zuließ. Als das Empire schließlich expandierte und massenhaft Schiffe fertigte, stieg man dann auf Flaschenwein um.

Warum Sekt? Die Historiker wissen es nicht. Bleiben die Vermutungen. Weil er so effektvoll von der Bordwand spritzt, ist eine. Eine andere lobt den besonderen Knall, der durch die Kohlensäure und die dickwandigen Flaschen entsteht. Letzterer Umstand kann allerdings auch hinderlich sein, wenn man die vielen Male zählt, in denen die Flasche unbeschädigt von der Bordwand prallte. Die Flensburger Schiffbau Gesellschaft und die Matthia-Thesen-Werft in Wismar schwören bei ihren Taufen daher auf „Fürst Metternich“ – deren Flaschen gingen zuverlässig zu Bruch.

Die Navy Britanniens erteilte im 18. Jahrhundert einer Prinzessin von Hannover die Ehre, als erster Mensch mit einer Weinflasche ein Schiff zu taufen. Der Wurf traf einen Zuschauer. Von Glück sprach man, dass der Mann nur sein Bewusstsein verlor. Frauen bringen eben Glück, dachten sich wohl die Verantwortlichen: Von 1810 an waren Schiffstaufen Frauensache, erst bei der Royal Navy, dann auf der ganzen Welt. Kaiser Wilhelm II. nahm sich am 23. Mai 1912 nicht nur das Recht, den damals mit 268 Metern weltgrößten Dampfer eigenhändig zu taufen, er gab ihm obendrein auch noch einen männlichen Namen und bestand auf den Artikel: „Der Imperator“. Nicht aus der Reihe scherte er bei der obligatorischen Taufformel „Allzeit eine gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“. Unglück bringt es, wenn die Flasche heil bleibt. So geschehen bei der „Great Britain“ 1843, als der Sekt am Bug vorbei flog. Man reichte dem Prinzen Albert schnell noch eine Flasche Whisky. Zu spät. 1846 strandete das Schiff an Nordirlands Küste. Ein Schleudertrauma erlebte Kanzlergattin Hannelore Kohl: Vier Mal donnerte sie den Champagner gegen die Bordwand, beim fünften erst zerschellte die Bouteille. Untergegangen ist die „River Cloud“ bisher nicht.

In Japan ist die Taufe zugleich die Geburt des Schiffes. Dann nämlich, wenn eine zwischen Land und Schiff gespannte Leine zerschnitten wird. Auch hier ist es eine Frau, die das Ritual vollzieht. Bekleidet mit einer alten japanischen Tracht, schwingt sie ein geweihtes Beil, um damit die „Nabelschnur“ zu kappen. Läuft das Schiff von der Helling, platzt eine Papierkugel, aus der Tauben aufsteigen und Luftballons, Glück verheißende Symbole dazulande. Selbst in den modernen Werften Japans wird die traditionelle Taufe betrieben – samt einem Shinto-Priester, der zuvor den Stapellaufplatz mit geweihten Zweigen säubert.

Wenn es im Nachhinein etwas gibt, was man als Vorzeichen hätte deuten können, dann dieses: Als die „Titanic“ am 31. Mai 1911 in Belfast vom Stapel läuft, gleitet sie auf einem Schmierbett aus 22 Tonnen Seife ins Wasser. Kein Champagner, kein: „Ich taufe dich auf …“ Ein Arbeiter soll gerufen haben: „Sie bauen sie einfach und schieben sie rein!“ Die Reederei White Star Line blieb auch bei der „Titanic“ ihrer Devise treu: keine Schiffstaufe, kein Hokuspokus; so etwas bräuchten nur Schiffe, die sinken könnten.

mare No. 39

No. 39August / September 2003

Illustrationen von Heidi Kull

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Vita Illustrationen von Heidi Kull
Person Illustrationen von Heidi Kull
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