Schwarz ist die Hoffnung

Vor Brasiliens Küsten, tief verborgen im Atlantikboden unter schützenden Salzschichten, lagern Erdölvorkommen, die zu den größten der Welt gehören. Mit gigan­tomanischem Aufwand fördert das Schwellenland hier in Tausenden Metern Tiefe das schwarze Gold

Am 8. November 2011 alarmierte Brasiliens halbstaatlicher Ölkonzern Petrobras seine Ölaufsichtsbehörde ANP. Der US-amerikanische Partner Chevron habe 120 Kilometer vor der Küste von Rio de Janeiro in etwa 1700 Meter Tiefe einen Bohrunfall verursacht. Im Campos-Becken, wo in den Pré-Sal genannten Erdschichten Brasiliens größtes und der Welt drittgrößtes Erdöllager liegt, schieße Rohöl in unbekannter Menge durch einen Riss im Meeresboden.

Am selben Tag redete Chevron sich heraus. Eine ungeahnte „geologische Störung“ habe die Panne verursacht; das ausgelaufene Rohöl sei auf 650 Barrel (ein Barrel entspricht etwa 160 Litern) begrenzt.

Am folgenden Tag inspizierte Carlos Minc, Umweltminister des Bundesstaats Rio de Janeiro, die Havariestelle vom Hubschrauber aus. Der Ölteppich war inzwischen 18 Kilometer lang und elf Kilometer breit. Außerdem wunderte ihn, dass entgegen Chevrons Angaben statt 17 Schiffen gerade sechs die Ölpest einzudämmen versuchten. „Dies sei als Warnsignal verstanden. Schon eine einzige Quelle sorgt für derartige Probleme. Pré-Sal wird uns Tausende Probleme bescheren“, lautete Mincs düstere Prophezeiung.

Die Analysen folgten prompt. Der Chevron-Unfall mache ein tiefer sitzendes Motiv deutlich, kritisierte Professor José Goldemberg, Exminister für Wissenschaft und Technologie: „In den Ölkonzernen hat sich eine Kultur des Liederlichen verbreitet. Sie empfinden den Umweltschutz nur als lästige Störung ihrer Geschäfte.“ Und Rômulo Sampaio, Geschäftsführer der staatlichen Getúlio-Vargas-Stiftung, sagte: „Unsere Achillesferse ist ein fehlender Plan zur Vorbeugung von Bohrunfällen. Hätten wir ihn, wäre dieser Unfall sehr viel schneller bekämpft worden.“

Einen solchen Einsatzplan gibt es. In der Planung. Er wurde im April 2000 zur sofortigen Inkrafttretung verordnet, doch es dauerte drei Jahre, bis ein Entwurf zustande kam. Danach gingen weitere sieben Jahre ins Land. Als im April 2010 der Megaunfall der Plattform „Deepwater Horizon“ den Golf von Mexiko verseuchte, schreckte man in der Hauptstadt Brasília zwar auf. Doch von einem brauchbaren Einsatzplan ist bis heute keine Spur.

Die Leidtragenden der „liederlichen Kultur“ der Erdölförderung im Campos-Becken sind seit Jahren Menschen und Fische. 45 Bohrinseln operieren derzeit in einer „Ausschlusszone“; Fischer haben die stählernen Ungetüme in einem 500-Meter-Radius peinlichst zu meiden. Aber wozu? Seit den seismischen Proben, sprich Unterwasserexplosionen, haben die Fische ohnehin das Weite gesucht, als ihnen der Meeresgrund um ihre stummen Köpfe flog.

Seit Beginn der Ölförderung im Campos-Becken Mitte der 1970er Jahre tickt eine Zeitbombe. Bei der Anbohrung entweichen den Quellen allerhand Gifte, aus flüssigen Bohrmitteln etwa, sowie hochgradig mit Quecksilber, Kadmium, Zink und Kupfer saturierte Sände. Und was, wenn sich erst einmal im Pré-Sal ein Bohrunfall weit größeren Ausmaßes ereignet?

Herr des Ölbooms vor Rios Stränden ist Petrobras. Das Unternehmen wurde 1953 gegründet als Krönung einer gegen die US-Ölkonzerne gerichteten Kampagne, die mit nationalistischen Tönen Ultrakonservative mit Kommunisten vereinte. 60 Jahre später ist das Unternehmen in 28 Ländern vertreten und muss sich Attacken von Nachbarn wie Bolivien gefallen lassen, das Petrobras-Raffinerien 2008 besetzen ließ und als Inkarnation „brasilianischen Imperialismus“ dämonisierte.

In den 1990er Jahren sah sich Petrobras zur Kapitalbeschaffung genötigt, ein 1997 ratifiziertes Gesetz schuf die erwartete Abhilfe. Das 40 Jahre alte Förder-, Raffinerie- und Vertriebsmonopol wurde gebrochen, die Aufsichtsbehörde ANP geschaffen und Partnerverträge mit ausländischen Konkurrenten empfohlen.

Seither gilt Petrobras als globales Erfolgsmodell. Das Unternehmen beschäftigt derzeit über 70 000 Menschen und schrieb 2009 Rekordzahlen. Mit einem Marktwert von 240 Milliarden Euro rangiert Petrobras an zweiter Stelle unter den größten Energieunternehmen; das Rankingunternehmen Reputation Institute sieht Petrobras auf Platz vier der weltweit meistgeschätzten Unternehmen.

Trotz Prämissen, die nach europäischem Umweltrecht als gemeingefährlich bezeichnet würden, stieß Brasilien in ungekannte Welten des Südatlantiks vor. Mit neuester Technologie stachen Petrobras-Sonden 2006 in gut 7000 Meter Tiefe in die gewaltigen Ölfelder des Pré-Sal, Parati und Tupi. Die Lager haben eine Ausdehnung von 800 Kilometern entlang der südostbrasilianischen Küste und wurden zunächst auf 33 Milliarden BOE („Barrel of Oil Equivalent“, inklusive Gas) geschätzt, was mehr als der Verdoppelung der gegenwärtigen brasilianischen Erdölreserven bedeutete. Euphoriker wie Newton Monteiro, früherer ANP-Direktor, schätzen die Pré-Sal-Reserven gar auf größenwahnsinnige 340 Milliarden Barrel und spekulieren, damit werde Brasilien dem Weltführer Saudi-Arabien den Rang ablaufen.


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mare No. 92

No. 92Juni / Juli 2012

Von Frederico Füllgraf

Autor Frederico Füllgraf, Jahrgang 1950, lebt seit 1979 wieder in seiner brasilianischen Heimatstadt Curitiba und schreibt gegen die Katastrophenfixiertheit deutscher Brasilien-Berichterstattung an.

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