Schwanken, aber nicht untergehen

Das Meer spielt in der Comickunst eine tragende Rolle. Als Projek­tionsfläche der zeichnenden Erzähler scheint es unentbehrlich


Das Schiff schwankt bedrohlich. Der gewaltige Orkan peitscht die Wellen auf und reißt den Reporter fast von Bord. Nur mühsam nur kann er sich noch an der Reling festhalten. Da dreht sich der Kapitän launig zu ihm und brummt: „Nettes Windchen, nicht?“

Eine kurze Sequenz nuar, aber sie zieht den Betrachter mitten ins Geschehen des Comicalbums „Der geheimnisvolle Stern“. Bei dem Reporter handelt es sich um den belgischen Abenteurer Tim, und der Seebär am Steuerrad ist natürlich sein Begleiter Käpt’n Haddock. Kann ein einzelnes Bild wie die berühmte „Große Welle vor Kanagawa“ des japanischen Malers Katsushika Hokusai den Betrachter tief beeindrucken, so löst dieser Effekt in Serie einen wahren Sog aus. Wobei der Vergleich zu dem Japaner nicht zu hoch gegriffen ist, denn die klaren Linien und der starke Kontrast seiner Bilder haben nicht nur van Gogh, sondern auch „Tim und Struppi“-Zeichner Hergé inspiriert. Und wenn sich der Leser eben jene Sturmszene anschaut, dann erlebt er einen Hokusai in Bewegung. Ebenso wie dieser ist auch Hergé zeitlos – die Alben stammen aus den frühen 1940er-Jahren.

Einige Jahre zuvor, im Januar 1929, ließ der US-Comiczeichner E. C. Segar seinen glotzäugigen Matrosen Popeye erstmals am Kai entlangwanken. Doch von da an dauerte es noch ein Vierteljahrhundert, bis der raubauzige Seemann auch durch Deutschland schippern sollte, erst einmal unter dem etwas kantig eingedeutschten Namen „Schifferkarl“.

Wenn es um Comics ging, war Deutschland schon immer sperriger. Das Etikett der Schundliteratur haftete dem Medium hierzulande vergleichsweise lange an. Doch besonders der maritime Comic hat sowohl bei Zeichnern als auch bei Lesern eine enorm große Fangemeinde. Eine nicht geringe Anzahl von Alben und Serien haben den Ozean als Hauptdarsteller.

Die Beweggründe dazu sind wohl erst einmal ähnlich wie bei Film und Buch. Genau wie diese ist der Comic ein narratives Medium, befindet sich aber an der Schnittstelle der Ersteren. Die erzählerische Besonderheit liegt dabei in den Zeichnungen, genauer gesagt: dazwischen. Nämlich in dem weißen Steg, der die Bilder trennt. Diese Lücke fügt beim Leser die Panels im Kopf zusammen und lässt dadurch Bewegung entstehen. So ist es auch naheliegend, dass die erfolgreichen Klassiker der Meeresbelletristik nicht nur verfilmt, sondern früher oder später auch als Comic gezeichnet wurden.

In der Nachkriegszeit gab es in Deutschland die didaktisch beladene Serie „Illustrierte Klassiker“, die sich des Schatzes der Weltliteratur annahm. Natürlich gehörten dazu auch „Die Schatzinsel“, „Meuterei auf der Bounty“ und der „Seewolf“. Das Ganze kam zwar dramaturgisch und zeichnerisch hölzern daher, wurde aber seinerzeit wenigstens nicht sofort als Schund verdammt.

Ähnlich ging es den jungen Comiclesern hierzulande nur noch mit den Asterix-Comics. Denn, so der Tenor von Eltern und Lehrern, „dabei lernt man wenigstens auch etwas“, auch wenn es nur einge lateinische Floskeln waren. Und die kamen dann meist, wenn nicht gerade von dem Cleopatra-Verehrer Julius Cäsar, von dem holzbeinigen Piraten Dreifuß. „Fluctuat nec mergitur“ steht nicht nur im Pariser Stadtwappen, sondern ist auch eine der knapp 25 Weisheiten, die der Freibeuter im Verlauf der Serie parat hat, meist dann, wenn das Piratenschiff wieder einmal untergeht. Doch dass er „nur schwankt, aber nicht untergeht“, liegt wohl auch an seiner Herkunft.

Denn die Asterix-Väter René Goscinni und Albert Uderzo hatten die gesamte Piratenmannschaft als Hommage auf die sowohl erfolgreiche als auch langlebige Comicserie „Der Rote Korsar“ von Jean-Michel Charlier und Victor Hubinon angelegt. Von dieser Reihe erschienen von 1959 bis 2004 mehr als 30 Alben verschiedener Zeichner. Ein solcher Umfang lässt Raum für epische Geschichten. So entwickelte sich ein großartiges Mantel-und-Degen-Epos voller Kabalen und Ränkespiele. Vor allem fällt die Lust am extensiven Fabulieren auf, denn auch andere Seeabenteuer gehen weit über einzelne Alben hinaus.

Die Weite des Meeres ist eine ideale Projektionsfläche für weitschweifende Geschichten, die die Charaktere und Welten wachsen lassen. Wie auch bei der Serie „Isaak der Pirat“: Dieser ist Maler und fasziniert von Piratengeschichten. Als sich die Möglichkeit bietet, auf einem Schiff anzuheuern, ahnt er nicht, auf welche Irrfahrt er sich einlässt. Bald stellt sich heraus, dass er als Maler die Abenteuer des Piratenkapitäns Jean dokumentieren soll, der wenig dem Stereotyp eines Freibeuters entspricht.


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mare No. 127

April / Mai 2018

Von Andreas Eikenroth

Andreas Eikenroth ist Journalist, Illustrator und Comiczeichner. Seine Graphic Novel Hummel mit Wodka spielt hafennah im Umfeld der Hamburger Reeperbahn. Zudem interpretiert er bei der Band Fern der Heimat Seemannsklassiker von Ringelnatz bis Rammstein. Dass er im als „Stadt ohne Meer“ bekannten Gießen einen Hang für das Maritime entwickelte, liegt möglicherweise daran, dass er um ein Haar auf Sylt geboren worden wäre.

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Vita Andreas Eikenroth ist Journalist, Illustrator und Comiczeichner. Seine Graphic Novel Hummel mit Wodka spielt hafennah im Umfeld der Hamburger Reeperbahn. Zudem interpretiert er bei der Band Fern der Heimat Seemannsklassiker von Ringelnatz bis Rammstein. Dass er im als „Stadt ohne Meer“ bekannten Gießen einen Hang für das Maritime entwickelte, liegt möglicherweise daran, dass er um ein Haar auf Sylt geboren worden wäre.
Person Von Andreas Eikenroth
Vita Andreas Eikenroth ist Journalist, Illustrator und Comiczeichner. Seine Graphic Novel Hummel mit Wodka spielt hafennah im Umfeld der Hamburger Reeperbahn. Zudem interpretiert er bei der Band Fern der Heimat Seemannsklassiker von Ringelnatz bis Rammstein. Dass er im als „Stadt ohne Meer“ bekannten Gießen einen Hang für das Maritime entwickelte, liegt möglicherweise daran, dass er um ein Haar auf Sylt geboren worden wäre.
Person Von Andreas Eikenroth