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Neue Recherchen belegen: Curt Meyer-Clason, der gefeierte Übersetzer der südamerikanischen Weltliteratur, war ein Spion Hitlers

Es gibt sie nicht mehr, die ganzen Kerls.“ Mit diesen Worten eröffnete die „Welt“ im Januar 2012 ihren Nachruf auf Curt Meyer-Clason und fuhr fort: „Einen gibt es nun nicht mehr, einen, der wie keiner war.“ Aber wer war dieser Mann wirklich, der durch seine Übersetzungen als Wegbereiter der lateinamerikanischen Literatur in Deutschland gilt und als mutiger Goethe-Institut-Leiter im Portugal der späten Diktaturjahre klare politische Zeichen setzte?

Er hat sich ein Denkmal gesetzt in dem 1986 erschienenen, stark biografischen Roman „Äquator“, der gleich zu Anfang klarstellt: „Ähnlichkeiten zwischen Personen dieses Buches und Lebenden oder Toten wären kein Zufall: Wir sind alle aus einem Fleisch.“ Der wie Meyer-Clason 1910 geborene Protagonist Claus wird in einem strengen Offizierselternhaus zum gehorsamen Jasager erzogen. Nach Ansicht des Vaters liegen die goldenen Jahre Deutschlands in der Kaiserzeit, der Versailler Vertrag wird als Erfüllungspolitik abgetan, Hitler mit offenen Armen empfangen, Juden mit Überzeugung ausgegrenzt. So geprägt, tritt der junge Kauf­mann in den Wehrverband „Stahlhelm“ ein und wird Kavallerieunteroffizier.

Ende 1936 zieht es ihn nach Brasilien. „Nachdenken bringt nichts ein, nur Bewegung“ heißt sein Motto, Tennis und Mädchen bestimmen die Freizeit. Claus wird als NS-Spion angeworben, mit der Aussicht, in die USA geschickt zu werden; für den jungen Anglophilen eine Versuchung. 1930 bereits hatte die Judendiffamierung in Brasilien einen Höhepunkt erreicht, 1934 wurde eine Quotenregelung zur jüdischen Einwanderung erlassen, 1937 ein Geheimdekret, das die Immigration ganz zu unterbinden suchte.

Eine der ersten Aufgaben, die man ihm über­trägt, ist die Klärung des Verbleibs einer Frau, deren Schicksal ­ver­blüf­fend dem von Olga Benario gleicht, einer deut­schen Jüdin, die nach ihrer Beteiligung am No­vemberputsch in Rio de Janeiro 1936 an Hitlerdeutsch­land und damit in den Tod ausgeliefert wurde. Später wird Claus wegen Spio­nage verhaftet, gesteht unter Folter und wird zu 20 Jahren Haft verurteilt. Fünf davon – während denen er seine Leidenschaft für Literatur entdeckt – verbringt er vor allem auf der Ilha Grande bei Rio. 1947 wird das Urteil aufgehoben und Claus ent­lassen.

Die Stationen seines Lebens gleichen denen Curt Meyer-Clasons, der ab 1936 als selbstständiger Kaufmann für eine amerikanische Baumwollfirma arbeitete und von 1942 bis 1947 in Brasilien interniert war. 1955 kehrte er nach Deutschland zurück und leitete von 1969 bis 1976 das Goethe-Institut in Lissabon, wo er mit der Opposition, die sich der Diktatur unter Marcelo Caetano ent­gegen­stell­te, ein mutiges Kulturprogramm entwickelte. Den Verdacht, Spion gewesen zu sein, stritt er zeit seines Lebens ab. Zu Recht?

Bis zu seinem Tod wurden zur Klärung dieser Frage nur die brasilianischen Gerichtsakten und die Akten des Staatsarchivs von São Paulo berücksichtigt. Ein brasilianisches Historikerteam, zu dem ich selbst gehörte, hatte sie als erste Arbeitsgruppe ausgewertet. Die Botschaftsakten aus Rio waren vernichtet, die deutschen Akten wurden nicht oder unvollständig eingesehen. Die Dokumente aus São Paulo beschreiben Meyer-Clasons Verhaftung, sein Geständnis und das Urteil. Doch die Akte ist aufgebauscht und stilisiert ihn zum Meisterspion. Die Kompetenz der brasilianischen Polizei sollte damit wohl aufgewertet werden.

So erscheint er auf neun Seiten mit vielen Fotos als eleganter Gentleman, der eine SA-Vergangenheit hatte und einen Vater, der im Ersten Weltkrieg Kavallerieoffizier war. Hinweise auf sein reiches Liebesleben und sein Spionagehandwerk fehlen ebenfalls nicht. Doch seine Aussage ist unter Folter erzwungen worden, das Geständnis deswegen wertlos.

Diese Einschätzung wird bis heute von den meisten Medien geteilt. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb nach seinem Tod, eine definitive Klärung des Spionageverdachts sei heute nicht mehr möglich. Ähnlich urteilte die „Welt“ in ihrem Nachruf und schon früher der „Spiegel“. Das Goethe-Institut spricht in Beiträgen über den renommierten Institutsleiter nur knapp seine mögliche Spionagetätigkeit an. Goethe-Institut-Präsident Klaus-Dieter Lehmann erhob ihn gar zur „Ikone“. 1975 erhielt Meyer-Clason den Übersetzerpreis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 1996 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.


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mare No. 118

No. 118Oktober / November 2016

Von Dieter Strauss

Der promovierte Germanist und Historiker Dieter Strauss, Jahrgang 1942, arbeitete auf vier Kontinenten in sieben Ländern 33 Jahre lang für das Goethe-Institut und lebt heute als Autor und Referent in München. Als Leiter des Goethe-Instituts São Paulo gehörte er 1995 zu der Historikergruppe, die im Paulistaner Staatsarchiv auf die Akte Curt Meyer-Clasons stieß.

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Vita Der promovierte Germanist und Historiker Dieter Strauss, Jahrgang 1942, arbeitete auf vier Kontinenten in sieben Ländern 33 Jahre lang für das Goethe-Institut und lebt heute als Autor und Referent in München. Als Leiter des Goethe-Instituts São Paulo gehörte er 1995 zu der Historikergruppe, die im Paulistaner Staatsarchiv auf die Akte Curt Meyer-Clasons stieß.
Person Von Dieter Strauss
Vita Der promovierte Germanist und Historiker Dieter Strauss, Jahrgang 1942, arbeitete auf vier Kontinenten in sieben Ländern 33 Jahre lang für das Goethe-Institut und lebt heute als Autor und Referent in München. Als Leiter des Goethe-Instituts São Paulo gehörte er 1995 zu der Historikergruppe, die im Paulistaner Staatsarchiv auf die Akte Curt Meyer-Clasons stieß.
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