Sang und Drang

Klassischer Spätzünder: Im Sommer 1841 schrieb Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland die Hymne „Das Lied der Deutschen“

Endlich allein, die Bekannten sind fort, und Helgoland wirkt wie ausgestorben. „Ich fühlte mich sehr verwaist“, notiert August Heinrich Hoffmann von Fallers­leben. Tagelang war er umringt von hannoverschen Landsleuten. Abends stimmten sie im Conversations-Haus lauthals Trinklieder an. Jetzt, am 26. August 1841, wandert er allein am Strand entlang. 43 Jahre ist er alt, weithin bekannt für Kinderlieder wie „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“, aber auch für ein kürzlich erschienenes Buch mit dem trügerischen Titel „Unpolitische Lieder“. Für drei Wochen weilt er auf der britischen Nordseeinsel, gönnt sich eine Auszeit von seiner Professur für deutsche Sprache und Literatur an der Universität zu Breslau. „Wenn ich dann so wandelte einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zu Muthe, ich musste dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte.“ Zurück in seinem Quartier in der Feldstraße, setzt er sich an einen Tisch, vor sich ein Blatt Papier. Schon bei der Anreise auf einem Dampfschiff hatte er erlebt, wie ergriffen französische Reisende die „Marseillaise“ und englische Touristen „God save the King“ sangen. Solch eine Hymne braucht das Land, findet er. „Ich will ein Lied schreiben, das die Deutschen eint“, wird er berichten. „Keine Huldigung an die Fürs­ten, sondern ein Lied der Sehnsucht nach der Einheit der N­ation.“ Noch immer besteht seine deutsche Heimat aus zahllosen mehr oder weniger souveränen Gebieten. Ein lockeres Staatengefüge, das gerade erst bedroht worden ist, als Frankreich im Mai 1840 sein Territorium bis an den Rhein ausdehnen wollte.

In der ersten Strophe benennt Fallersleben deshalb die ungefähren Grenzen seiner Heimat, die drei Flüsse Maas, Memel, Etsch sowie den Belt, die Wasserstraße zwischen der dänischen Insel Lolland und der deutschen Insel Fehmarn. Dann lässt er die Strophe in einem triumphierenden „Deutschland, Deutschland über alles, / über alles in der Welt!“ münden. Die Formel „über alles“ ist dabei nicht neu, sondern kursiert seit der wirtschafts­politischen Schrift „Österreich über alles“ von 1684. Bei der zweiten Strophe – „Deutsche Frauen, deutsche Treue, / deutscher Wein und deutscher Sang“ – denkt er an seine Jugendliebe Henriette von Schwachenberg. Der Unerreichten widmet er denn auch das Lied. Schließlich die dritte und letzte Strophe, neben der er eine Variante festhält, die erneut mehr nach Trinklied als nach staatsmännischer Hymne klingt: Statt „Blüh’ im Glanze dieses Glückes, / Blühe, deutsches Vaterland!“ dichtet er alternativ: „Stoßet an und ruft einstimmig: / Hoch das deutsche Vaterland!“ 

So schlicht der Text, so eingängig soll die Musik sein: Fallersleben wählt Haydns beliebtes Streichquartett C-Dur aus, wobei ihn nicht stört, dass es bereits die Melodie einer Hymne ist, der österreichischen „Gott erhalte Franz, den Kaiser“. 

Zwei Tage später, am 28. August 1841, trifft aus Hamburg sein Verleger Julius Campe ein. Er überreicht dem Dichter ein Exemplar der jüngst gedruckten Auflage seiner „Unpolitischen Lieder“, die zum publizistischen Erfolg werden. Gemeinsam spazieren sie tags darauf am Strand entlang, wo Fallersleben von seinem neuen Lied erzählt, „das kostet aber 4 Louis d’or“. Ein unverschämter Betrag, aber als sie zurück in der Unterkunft sind und der Dichter seine drei mal acht Zeilen vorliest, legt ihm der Ver­leger das verlangte Geld wortlos auf die Brieftasche. „Ich schreibe es unter dem Lärm der jämmerlichsten Tanzmusik ab, Campe steckt es ein, und wir scheiden.“ Schon am 1. September wird es als „Das Lied der Deutschen“ vertrieben. Am Abend des 5. Oktober erlebt Fallersleben in Hamburg die Uraufführung. Während der Mond aufzieht, wird es von einem Männerchor vor Tausenden Menschen am Gänsemarkt gesungen. 

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mare No. 158

mare No. 158Juni / Juli 2023

Von Dirk Liesemer

Autor Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, verwendete für diesen Text unter anderem das Buch von Jörg Koch „Einigkeit und Recht und Freiheit“, Kohlhammer, 2021.

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Vita Autor Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, verwendete für diesen Text unter anderem das Buch von Jörg Koch „Einigkeit und Recht und Freiheit“, Kohlhammer, 2021.
Person Von Dirk Liesemer
Vita Autor Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, verwendete für diesen Text unter anderem das Buch von Jörg Koch „Einigkeit und Recht und Freiheit“, Kohlhammer, 2021.
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