Revierkampf

Wenn das ZDF auf der Insel Rügen seine Serie „Robbie“ dreht, tragen sich die schönsten Possen hinter der Kamera zu

Vor 100 Jahren zahlte der Stralsunder Oberfischmeister für jeden Robbenunterkiefer fünf Mark. Das war nett gemeint, aber auf Rügen metzelten sie damals auch für lau. Vor vier Jahren wollte das Schweriner Umweltministerium wieder Kegelrobben auf der Insel ansiedeln. Die Fischer schalteten auf Durchzug: Dann hätten wir die Viecher ja gar nicht auszurotten brauchen.

Im Augenblick leben, von verirrten Existenzen abgesehen, exakt zwei solcher Tiere auf der Insel: in Neuenkirchen, einem Flecken in Rügens wildem Westen. Die kalifornischen Seelöwen Chico und Gordy sind Fernsehstars; sie spielen Robbie, die deutsche Robbe schlechthin. Es grenzt an ein Wunder, dass sie noch hier arbeiten.

Robbie gibt es seit Frühjahr 2001. Das ZDF plante eine weitere Familienserie mit putzigen Tieren und überschaubaren menschlichen Problemen in makelloser Landschaft, ein Pendant zur Schimpansenschmonzette „Unser Charly“. Man hätte auch mit der Pute Petra und dem Salamander Siegfried reüssieren können. Robbie hat zwar nicht Flippers intellektuelle Brillanz, dafür kann er auch auf dem Trockenen kulleräugig gucken.

Kurz zuvor hatte Ministerpräsident Ringstorff das ZDF bekniet, ob jenes nicht ein paar Lux Scheinwerferlicht für Deutschlands Armenhaus spenden könnte. Das Fernsehen suchte also in Mecklenburg-Vorpommern nach einem Platz, wo Seelöwen in Ruhe schwimmen und watscheln können. Man fand eine Halbinsel mit Rittergut darauf: Liddow, Neuenkirchen eingemeindet. Unverbaute Horizonte. Wunderbare Totalen. Das Problem sind die Nahaufnahmen.

Rolf Reeckmann lebt seit 30 Jahren auf Liddow. Der Künstler hat das Gut vor dem Verfall gerettet. Aber es gehört ihm nicht. Er wollte die Gebäude kaufen, konnte der Gemeinde Neuenkirchen dafür jedoch nicht so viel bezahlen wie eine Immobilienfirma, die hier eine gehobene Ferienanlage erschaffen will.

Wegen der Dreherlaubnis gab es mit Reeckmann keine Probleme. Die Kommune würde auch kaum Ärger machen. Dachte man. Für gewöhnlich lecken lokale Honoratioren den Fernsehleuten die Füße, wegen der Publicity. Normalerweise. Aber Ute Arndt ist anders als andere Bürgermeister. Manche sagen, sie sei einfach nur sehr engagiert.

Das war sie auf jeden Fall, als das Gut Liddow an die Nobelheimer verkauft wurde. Sie erwirkte mit ihrer Gemeinderatsmehrheit Räumungsklagen gegen Reeckmann. Der prozessiert bockbeinig zurück. Seine Abwässer wurden zuletzt nicht mehr regelmäßig entsorgt. Er würde auf eigene Kosten eine anständige Grube bauen, aber die Gemeinde lässt ihn nicht, und so suppt die menschliche Natur mit Waschlauge versetzt ins Biotop. Ein Stellungskrieg, seit über einem Jahrzehnt.

Auf einmal stolperte der lustige Robbie zwischen die Gräben. Da war endgültig Schluss mit niedlich. Die Bürgermeisterin fürchtete, wenn sie die Dreharbeiten bei Reeckmann zuließe, verlöre sie juristisch an Boden. „Sonst gerne“, sagte sie. „Aber nicht auf Liddow.“ Pfff, machte das Fernsehen, dann drehen wir eben an der Nordsee. – Tja, sagte Frau Arndt.

Anschließend geschah etwas – für vorpommersche Verhältnisse – Merkwürdiges. Neuenkirchen ging auf die Straße. Man blockierte den Rügendamm. Man zeigte Plakate: „Gebt Robbie eine Chance!“ Man erhitzte sich in einer Bürgerversammlung. Sie leben hier arg am Rande; sie rechneten mit Glanz, Geld und gönnerhaften Stars. Fernsehleute wie Politiker kümmerten sich aufopferungsvoll darum, diesen Eindruck nicht zu zerstreuen. Von einer „massiven Entwicklung im ländlichen Raum“ war die Rede.

Frau Arndt wollte aber nicht so massiv entwickelt werden wie ihre Wähler. Der Ministerpräsident stöhnte, Staatssekretäre drängelten, die Landrätin rotierte, die Presse höhnte. In letzter Sekunde, kurz vor Nordsee sozusagen, wurde die Bürgermeisterin von der Kommunalaufsicht mal eben für befangen erklärt und von der weiteren Beschlussfassung ausgeschlossen. Der „Motivüberlassungsvertrag“ flutschte durch den Gemeinderat. Demokratie mal anders.

Auf Liddow gab es bald eine neue Terrasse, einen Swimmingpool und einen breiten Steg. Die Wohngebäude wurden frisch verputzt und gestrichen. Untervermieter Reeckmann bekommt pünktlich sein Geld, die Gemeinde ihren Teil, und für die Insel lohnt es sich sowieso. Die Robbenoperette ist ein fortgesetzter Werbespot. Kein Fremdenverkehrsamt könnte das bezahlen. Die Eingeborenen erkennen ihre Heimat kaum wieder: Power-Ranger Karsten Speck schützt die Natur mit modernsten Kraftfahrzeugen. Die echte Nationalparkwacht wäre wohl schon mit neuen Fahrrädern zufrieden. Rügen ist schön, aber es glänzt nicht wie poliert.

Neuenkirchen selbst taucht in der Serie nicht auf. Neuenkirchen kann nicht glänzen, es ist ja nicht mal schön. Es gibt im Dorf nur eine Handvoll Leute, die mit den Dreharbeiten Geld verdienen. Die Schauspieler logieren lieber im feinen Binz. Die „massive Entwicklung“ findet nicht statt. Der „ländliche Raum“ sieht aus, als warte er immer noch. Sommers kommen viele Schaulustige, doch es gibt nirgends Robbie-Wegweiser. Niemand verkauft Souvenirs. Dies ist Vorpommern und nicht Schwaben.

Die Serie wurde ein Erfolg. Der „Motivüberlassungsvertrag“ musste 2002 verlängert werden. Wenn man weiß, wie es funktioniert, ist alles ganz leicht. Frau Arndt wurde erneut stillgelegt. Wenn sie sich das gefallen ließe, dann wäre sie nicht Frau Arndt.


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mare No. 44

No. 44Juni / Juli 2004

Von André Mielke

Der Berliner Autor André Mielke, Jahrgang 1963, ist Kolumnist der Welt am Sonntag. Er bemerkte einen sehr zurückhaltenden Umgang der Neuenkirchener mit dem heißen Thema. Der Wirt seiner Unterkunft etwa gestand ihm erst am Schluss, dass er auch an die Filmcrew vermiete.

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Vita Der Berliner Autor André Mielke, Jahrgang 1963, ist Kolumnist der Welt am Sonntag. Er bemerkte einen sehr zurückhaltenden Umgang der Neuenkirchener mit dem heißen Thema. Der Wirt seiner Unterkunft etwa gestand ihm erst am Schluss, dass er auch an die Filmcrew vermiete.
Person Von André Mielke
Vita Der Berliner Autor André Mielke, Jahrgang 1963, ist Kolumnist der Welt am Sonntag. Er bemerkte einen sehr zurückhaltenden Umgang der Neuenkirchener mit dem heißen Thema. Der Wirt seiner Unterkunft etwa gestand ihm erst am Schluss, dass er auch an die Filmcrew vermiete.
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