Projekt Jennifer

Die Sowjets verlieren ein U-Boot. Das ist den Amerikanern die aufwendigste Schatzsuche aller Zeiten wert

Wahrheit ist wie ein Stück Seife. Kaum greift der Mensch kräftiger zu, gleitet sie ihm davon. Die Fakten der folgenden Episode aus dem Kalten Krieg werden sich wohl nie fassen lassen. Die Geschichte beginnt hinter einem Schleier höchster Geheimhaltung und endet in einem Labyrinth falscher Fährten, ausgelegt von professionellen Lügnern. Allerdings gilt auch in ihrem Geschäft das universelle Gesetz, dass Patzer unvermeidbar sind. Und so sind die Umrisse der Wahrheit nun doch zu erkennen. Wenn man die verbleibenden Lücken mit plausiblen Erklärungen überbrückt, dann lässt sich diese Geschichte erzählen:

Wladiwostok. Februar 1968. Das sowjetische U-Boot „K-129“ verlässt den Hafen mit Kurs auf die Meerenge zwischen Sachalin und der Nordspitze Japans – und wird dabei von US-Satelliten beobachtet. Die „K-129“ erreicht das offene Meer, und schon weiß die Gegenseite genau, mit wem sie es zu tun hat. Denn die Amerikaner haben im Pazifik das Abhörnetz „Sea Spider“ installiert. Am Geräusch des Propellers erkennt es jedes Schiff.

Bei dem U-Boot handelt es sich um ein älteres Baumuster: 89 Meter lang, Verdrängung 2800 Tonnen, dieselelektrischer Antrieb, 17 Knoten schnell, maximale Tauchtiefe 150 Meter. Es kann aus zehn Rohren Torpedos verschießen und trägt im Turm drei Raketen mit Atomsprengköpfen. Im Codebuch der Nato läuft das Schiff unter dem Buchstaben G, Militärs sprechen auch von der „Golf“-Klasse.

„Sea Spider“ verfolgt die Reise der Sowjets, eine Routinefahrt. Die „K-129“ ist auf Schnorcheltiefe, der Dieselmotor läuft und lädt die Batterien. Plötzlich eine Ex-plosion! Wahrscheinlich ein Fehler in der Entlüftung: Wenn sich Gase, die beim Ladevorgang entstehen, im Schiff sammeln, genügt ein Funke. Die Detonation reißt ein Loch in den Rumpf, mit mörderischem Druck schießt Wasser durch den platzenden Rumpf, 86 Mann Besatzung sind sofort tot. Immer schneller rast das U-Boot abwärts, mit einer Geschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde schlägt es am Grund auf – 750 Meilen nordöstlich von Hawaii, in 5000 Meter Tiefe.

Kein Notruf erreicht die sowjetische Marine, und sie reagiert erst, als sich die Funkstille nicht länger mit den üblichen Verbindungsproblemen zu U-Booten erklären lässt. Auf allen Kanälen versucht sie die „K-129“ anzufunken, ohne Erfolg. Das Seegebiet wird nach Trümmern und Ölspuren abgesucht. Nichts. Das Schiff ist verschwunden, ein Rätsel. Vier Monate später gibt Moskau die Suche auf.

Die Gegenseite sagt kein Wort. Die Amerikaner sind Zeugen des Unglücks, sie kennen die Position des Wracks – doch sie schweigen. Und warten. Kaum haben die Sowjets ihre Suchflotte abgezogen, setzt die Navy ihre USS „Mizar“ in Marsch, offiziell ein Tiefseeforschungsschiff. Mit ih-rem Hochleistungssonar hat die „Mizar“ das Wrack schnell geortet. Zusätzlich liefert sie gestochen scharfe Bilder vom Zustand des sowjetischen Schiffs: Umgeben von einem Trümmerfeld, ragt ein großes Segment des U-Boots aus dem Meeresgrund; das Wrack ist in einem Winkel von 33 Grad aufgeschlagen.

Bei der US-Navy und der Führung der CIA lösen die Fotos von der Unglücksstelle den gleichen Reflex aus: Da ist etwas zu holen! Mittelstreckenraketen, Atomtorpedos, die Chiffriermaschine, das Navigationssystem. Wie man da in fünf Kilometer Tiefe herankommen will? Der Ertrag würde nahezu jeden Einsatz rechtfertigen.

Washington, DC. Abgesehen von den technischen Problemen, wirft eine Bergung seerechtliche Fragen auf. Juristen der Navy halten das Vorhaben schlicht für illegal: In internationalen Gewässern bleibt ein gesunkenes Schiff Eigentum der Nation, die es eingesetzt hat. Doch State Department und CIA setzen sich über alle Bedenken hinweg und legen die Operation dem Geheimdienstausschuss zur Prüfung vor. Keine Einwände. Auch der Oberste Befehlshaber, US-Präsident Richard Nixon, gibt seinen Segen. Die Operation – Codename „Projekt Jennifer“ – läuft an.

Sie stellt die CIA vor eine Aufgabe, wie man sie schwieriger nicht formulieren könnte: Für die Bergung wird ein Spezialschiff benötigt, das eine Masse von 1000 Tonnen aus der Tiefsee heben kann; das hat noch nie jemand versucht. Dann muss für den Betrieb dieses Krans Personal gefunden und ausgebildet werden, das unter anderem den Umgang mit radioaktiv verseuchtem Material beherrscht. Nicht zuletzt bleibt die heikle Mission, mit diesem auffälligen Schiff im Pazifik zu kreuzen, ohne dabei aufzufallen.

Die wahre Herausforderung besteht allerdings darin, dieses Programm absolut geheim zu halten. Ein Albtraum für die CIA-Agenten; nach vorsichtigen Schätzungen werden zwischen 4000 und 7000 Menschen mit dem Projekt in Berührung kommen. Es lässt sich erstens nicht verhindern, dass die Öffentlichkeit davon erfährt, und zweitens, was schwerer wiegt, dass die Russen Wind davon bekommen. Ganz zu schweigen von dem diplomatischen Schiffbruch, den ein Leck bedeuten würde, die ganze Aktion wäre in Frage gestellt. Denn die Information eines Agenten ist nur dann etwas wert, wenn die Gegenseite nicht ahnt, was der Spion weiß.


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mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Von Olaf Kanter und Günter Radtke

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Günter Radtke, geboren 1920, war Chefgrafiker und Mitbegründer des Sterns. Zu zeichnen, was keine Kamera zeigen kann, ist seine Spezialität.

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