Post von oben

Es sollte ein Rekord werden, der Lohn das „Blaue Band“ für die schnellste Atlantiküberquerung des Dampfers „Bremen“. Mit an Bord war eine weitere Sensation: der Katapultstart eines Postfliegers, die Konstruktion des Flugzeugpioniers Ernst Heinkel

Nervös steht der kleine Mann mit der runden Hornbrille und dem gescheitelten Haar auf dem Promenadendeck der „Bremen“. Ein kräftiger Wind weht ihm um die Nase, während er noch einmal hinauf zum silbrig glänzenden Flugzeug blickt. Es ist der 22. Juli 1929, kurz nach 13 Uhr. In wenigen Sekunden soll die Maschine zum ersten Mal vom fahrenden Schiff aus starten und damit für Deutschland den regelmäßigen Flugpostverkehr auf dem Nordatlantik eröffnen – ein unerhörtes Wagnis.

Es steht viel auf dem Spiel für Ernst Heinkel: das Leben der beiden Piloten, sein eigener Ruf als Konstrukteur und nicht zuletzt das Renommee der Reederei, die sich auf das Abenteuer eingelassen hat. Und dies auch noch bei der Jungfernfahrt ihres neuesten und schnellsten Ozeandampfers, der „Bremen“. Ein letztes Mal blickt Heinkel hinüber zu seinem Chefingenieur Karl Schwärzler am Katapult, der ihm beruhigend zunickt und dann mit kräftiger Handbewegung den Hebel auf „Start“ stellt.

Ein leichtes Zittern durchläuft den stählernen Rumpf der „Bremen“. Jeder an Bord spürt, mit welcher Wucht die Pressluft den filigranen Eindecker auf seiner 20 Meter langen Schlittenfahrt nach vorn reißt. Den Chefpiloten Jobst von Studnitz presst es in seinen dünn gepolsterten Sitz, während er zugleich den Gashebel mit voller Kraft nach vorn drückt und der Neun-Zylinder-Sternmotor mit seinen 450 PS laut aufheult. Nur Sekundenbruchteile später, dann hängt die Maschine frei in der Luft.

Die Passagiere an der Reling recken ihre Köpfe, um den Flug möglichst lange zu verfolgen. Dünner und dünner wird der feine Strich der Tragflächen vor dem grauen Atlantikhimmel, bis er schließlich ganz am Horizont verschwindet. Dort, wo irgendwo in der Ferne New York wartet –auf die Tausenden Briefe und Postkarten im Bauch des Flugzeugs, die nun einen Sonderstempel des „Ersten Deutschen Katapultflugs“ tragen; und auf die 2200 Passagiere der „Bremen“, die das Privileg haben, auf der Jungfernfahrt dabei zu sein. Schon rauscht die Bugwelle wieder höher auf, das untrügliche Zeichen dafür, dass der Dampfer Fahrt aufnimmt.

Ernst Heinkel ist sichtlich gelöst. Mit einem Augenzwinkern bittet er die Umstehenden zum Umtrunk in die Bordbar, und alle wissen, dass er es bei einer Flasche Champagner kaum bewenden lassen wird. Nur eines dämpft ein wenig seine Freude: Die „Bremen“ wird auf dieser Reise das „Blaue Band“ erringen, und dieser Triumph wird in der Weltöffentlichkeit sehr viel heller strahlen als Heinkels gelungener Schleuderflug.

Natürlich weiß auch er, dass der Gewinn des „Blauen Bandes“, des inoffiziellen Titels für die schnellste Atlantiküberquerung, eine technische Großtat erster Güte ist. Doch Heinkel ist sich sicher, dass die wahre technische Sensation er selbst vollbracht hat: den entscheidenden Schritt im transatlantischen Flugverkehr.

Dabei ist die Idee, Briefe und Nachrichten durch die Luft und somit schneller als zu Lande oder zu Wasser zu transportieren, nicht neu. So kennt man etwa Brieftauben schon seit der Antike; Pharao Ramses soll sie ebenso eingesetzt haben wie später Julius Cäsar. Einen technischen Quantensprung bedeutete das Aufkommen der Heißluft- und Gasballone zum Ende des 18. Jahrhunderts. In diversen Kriegen wurden sie nicht nur zur Beobachtung des Gegners, sondern auch zur Übermittlung von Nachrichten quer über feindliches Territorium eingesetzt.

Unabhängigkeit von der Windrichtung bot jedoch erst der Motorflug. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren die Flugzeuge zuverlässig genug, um für einen Posttransport genutzt zu werden – wenn auch zunächst nur punktuell und auf kurzen Strecken. Ein regelrechtes Luftpostnetz entwickelte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg in Europa und vor allem in den Vereinigten Staaten, wo tollkühne Postflieger die riesigen Entfernungen des Landes in immer kürzeren Zeiten überbrückten. Der bekannteste von ihnen überquerte 1927 nonstop den Atlantik: Charles Lindbergh.

Trotz dieser enormen Leistung ist die Distanz zwischen Europa und Nordamerika für einen regelmäßigen Postverkehr per Flugzeug noch immer viel zu groß. Das deutsche Luftschiff „LZ 127 Graf Zeppelin“, das zwischen den Kontinenten pendelt, kann den Bedarf an schnellerer Beförderung allein nicht decken. So ist es nur konsequent, dass Ernst Heinkel über andere Lösungen nachdenkt.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 97. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 97

No. 97April / Mai 2013

Von Karsten Eichner

Als Autor historischer Krimis liebt es der Wiesbadener Karsten Eichner, geboren 1970, spannende Geschichten aus der Vergangenheit zu recherchieren.

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