Pfadfinder der Meere

Matthew Fontaine Maury gilt als Vater der modernen Ozeanografie und Schifffahrtsmeteorologie. Seine Studien über Strömungen und Winde veränderten im 19. Jahrhundert die Seewege

Als Kapitän Jackson an einem Frühlingstag des Jahres 1848 in See sticht, deutet noch nichts auf die Aufregung hin, die seine Fahrt bald auslösen wird. Der erfahrene Seemann bricht von Baltimore nach Rio de Janeiro auf, eine Strecke, die er in- und auswendig kennt. Wie immer ist sein Schiff mit Mehl beladen, wie immer wird er mit Kaffee zurückkehren. Und wie immer plant er für die Fahrt etwa 110 Tage ein. Nur eines ist anders: Der Kapitän orientiert sich auf dieser Reise an bisher unerprobten Segelanweisungen, erstellt von einem Leutnant der Navy. Dieser schlägt eine Route vor, die Jackson dicht an die Küste am brasilianischen Kap São Roque führt.

Diese Region wird normalerweise von Seefahrern gemieden. Wer dem Kap zu nahe komme, so heißt es, werde von kräftigen Winden an Land getrieben. Jackson wagt es trotzdem. Als er schließlich nach Baltimore heimkehrt, ist die Überraschung groß: Jackson ist über einen Monat früher zurück als erwartet. Die Neuigkeit verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Wie hat der Kapitän den Weg nach Südamerika und zurück in nur 75 Tagen schaffen können? Jacksons Antwort auf diese Frage ist ein Name, der schnell in aller Munde ist: Leutnant Matthew Fontaine Maury.

Dass er einmal als Wissenschaftler die Seefahrt revolutionieren wird, ahnt eben dieser Maury wohl kaum, als er mehr als 20 Jahre zuvor zum ersten Mal ein Schiff betritt. Der junge Mann ist fern der See mit acht Geschwistern auf einer Farm in Tennessee aufgewachsen. Seine erste stürmische Fahrt als Kadett der US-Navy führt ihn nach Frankreich. Maury verbringt sie größtenteils von Übelkeit geplagt unter Deck, während über ihm die Gischt über die Planken fliegt.

Und doch zeigt sich schon in den ersten Jahren seiner Ausbildung sein wissenschaftlicher Geist. Während sich die anderen Kadetten in ihrer freien Zeit grölend in spielerischen Kämpfen ausprobieren, vertieft Maury sich in Bücher. Mit dem Standardwerk der Navigation, „The American Practical Navigator“ von Nathaniel Bowditch, ist er unzufrieden. Zu kompliziert und zu vage ist ihm das Lehrbuch, zu viele Fragen bleiben offen. Warum etwa sind die Winde und Strömungen so unvorhersehbar? Warum drohen auf etablierten Routen manchmal tagelange Flauten, während ein anderes Mal der Wind kräftig in die Segel bläst? Und warum braucht man für denselben Weg manchmal Wochen, manchmal Monate? Auf der Suche nach Antworten beschäftigt sich Maury fortan auch mit Astronomie und sphärischer Trigonometrie, einem Teilgebiet der Geometrie.

Doch dann kommt der Tag seiner Prüfung vor einem Komitee der Navy – und plötzlich droht ihm sein Forschergeist zum Verhängnis zu werden. Statt Bowditchs Formeln wie alle anderen auswendig aufzusagen, geht Maury an die Tafel und entwickelt seine Antworten mithilfe der sphärischen Trigonometrie. Für den Mathematiker im Komitee ist das zu viel. Er kann dem jungen Kadetten nicht mehr folgen, erklärt die Herleitung für falsch.

Die Mitglieder des Komitees stecken die Köpfe zusammen; Maury muss in diesem Moment um seine Zukunft in der Navy bangen. Erst nach langem Überlegen lassen die Vorgesetzten Maury schließlich bestehen, aber nicht ohne die Empfehlung auszusprechen, den Bowditch in Zukunft besser zu studieren. Was seine Prüfer nicht ahnen: In nicht allzu ferner Zukunft werden Maurys Bücher das Standardwerk von Bowditch ersetzen.

Vorerst aber bleibt Maury ein Mann der Tat, ein Mann der See. Seine erste Fahrt als Segelmeister soll ihn um das südamerikanische Kap Hoorn herumführen. Vor Antritt der Reise sucht Maury nach Hinweisen, welche die beste Route um das Kap sein könnte. Doch als er erfahrene Seefahrer fragt, zucken die nur mit den Schultern. Denn am Kap herrschen wechselnde und unvorhersehbare Winde und Strömungen. Jeder geht dieses gefährliche Gebiet anders an, jeder hofft auf glückliche Umstände. Auch schriftliche Informationen sucht Maury vergeblich. Und so macht er die erste seiner navigatorischen Entdeckungen ganz allein: Statt in Küstennähe zu bleiben und somit den kürzesten Weg um das Kap zu wählen, so notiert er in sein Logbuch, sollte man besser ein paar Extrameilen in Kauf nehmen, um die günstigen und zuverlässigen Winde weiter südlich zu nutzen.

Maury, der mittlerweile seine Cousine Ann Herndon geheiratet hat, verbringt viele Jahre auf See, immer auf der Suche nach Antworten auf navigatorische Fragen. Bis zum 17. Oktober 1839. Wieder einmal ist Maury unterwegs – diesmal an Land, von seiner Heimat Tennessee nach New York. Auf dem Weg dorthin wird seine Kutsche völlig überladen, auch eine Frau mit einem kleinen Kind im Arm steigt zu. Maury überlässt ihr seinen Sitzplatz in der Kabine und setzt sich zum Kutscher nach vorn. Trotz Regens will der auch die Nacht hindurch fahren. In einer scharfen Kurve passiert es dann: Die überladene Kutsche kommt vom Weg ab, gerät ins Schwanken und kippt schließlich um. Maury wird durch die Luft geschleudert und prallt hart auf der Erde auf; ein stechender Schmerz zieht durch seinen Oberschenkel – der Knochen ist gebrochen. Notdürftig behandelt ihn ein örtlicher Arzt. Doch die Verwundung ist so schwer, dass Maury monatelang ans Bett gefesselt bleibt.


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mare No. 75

No. 75August / September 2009

Von Marike Frick

Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, lernte Strömungen schon früh schätzen. Sie wuchs an der Mecklenburger Seenplatte auf und unternahm regelmäßig Kanutouren auf der Havel. „Für den Hinweg meiner Lieblingsstrecke brauchten wir zwei Tage“, sagt Frick. „Zurück fuhren wir mit dem Strom und waren wie von Zauberhand nach nur einem Tag am Ziel.“

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Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, lernte Strömungen schon früh schätzen. Sie wuchs an der Mecklenburger Seenplatte auf und unternahm regelmäßig Kanutouren auf der Havel. „Für den Hinweg meiner Lieblingsstrecke brauchten wir zwei Tage“, sagt Frick. „Zurück fuhren wir mit dem Strom und waren wie von Zauberhand nach nur einem Tag am Ziel.“
Person Von Marike Frick
Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, lernte Strömungen schon früh schätzen. Sie wuchs an der Mecklenburger Seenplatte auf und unternahm regelmäßig Kanutouren auf der Havel. „Für den Hinweg meiner Lieblingsstrecke brauchten wir zwei Tage“, sagt Frick. „Zurück fuhren wir mit dem Strom und waren wie von Zauberhand nach nur einem Tag am Ziel.“
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