Paragrafenskipper

Das Regelwerk bei Renn­yachten erweist sich als innovationsfördernd. Statt zu bremsen gibt es Designern Ansporn

Im 17. Jahrhundert entdeckten die Holländer auf ihren heimischen Gewässern die Vorzüge des Vergnügungssegelns als sonntägliches Pläsier. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Meer dem Handel, der Fischerei und der Kriegführung vorbehalten gewesen; die Seefahrt als sportlicher Zeitvertreib existierte nicht.

Die ersten Yachten glichen den heute noch beliebten holländischen Plattbodenschiffen und wurden zwischen den Königshäusern als Geschenke ausgetauscht. 1649 macht der damalige Prince of Wales und spätere König Karl II. im Exil Bekanntschaft mit der holländischen Segeltechnik. Bald segelten Karl II. und sein Bruder, der Herzog von York, auf der Themse im Osten Londons um die Wette. Es ging vordergründig um 100 Pfund, doch eigentlich um den eitlen Spaß, die Regatta als Erster zu beenden. Aus der holländischen Bummelsegelei mit Kaffee und Kuchen wurde zunehmend eine ernste Angelegenheit, eine Sportart.

Regeln mussten her. Man einigte sich auf ein einheitliches Maß, um Chancengleichheit bei den Wettkämpfen herzustellen, die Tonnage. Sie bezeichnet das zu versteuernde Ladevolumen, nämlich, wie viele Fässer, damals noch „tuns“ genannt, sich im Schiffsbauch unterbringen lassen. Die Engländer bauten nach der „Thames Tonnage Rule“ schmale, schwere Bootskörper, die tief im Wasser lagen, wie beispielsweise der von „La Mascotte“ von 1883. In Amerika dagegen wurde auf die Bootsbreite gesetzt. Gegenüber dem englischen Typ des schlanken Bootskörpers sah das amerikanische Konzept den Rumpf als eine Art kippsichere Plattform, die eine große Segelfläche halten konnte. Breite Boote, so die Überzeugung, boten eine sichere Schwimmlage, legten sich unter Winddruck nicht so schnell auf die Seite.

Yachtkonstrukteure übten bis ins 20. Jahrhundert hinein eine intuitive, gewissermaßen künstlerische Tätigkeit aus. Nathanael Herreshoff (1848–1938) beispielsweise baute Schiffe nach Gefallen. Ob das Boot schnell war, sah er erst auf der Regattabahn. Der Schotte George Lennox Watson dagegen nahm die empirische Prüfung seiner Ideen anhand von Messreihen vor. Angeregt von William Froudes Beschäftigung mit dem Wasserwiderstand, zog er Wachsmodelle seiner Yachten durch die 1882 bei Glasgow in Betrieb genommene Schiffsversuchsanstalt der Denny-Werft.

Angespornt wurde der Einfallsreichtum der Konstrukteure und Bootsbauer von immer neuen Regeln, die von höherer sportlicher Instanz kamen. Die Yachtarchitekten machten sich daran, im vorgegebenen Rahmen maximale Rennleistung auszutüfteln. Früher oder später jedoch war ein Bootstyp innerhalb der Bauvorschriften auskonstruiert. Der Ehrgeiz allerdings entbrannte von Neuem, sobald neue Modalitäten beschlossen worden waren.

1883 verabschiedeten führende amerikanische Segelclubs die „Seawanhaka Rule“, ein Regelsystem, das 20 Jahre Bestand haben sollte und zu ästhetischen und handwerklichen Höchstleistungen anspornte. Bei der „Seawanhaka Rule“ ist die Wasserlinienlänge reglementiert, die Länge also, auf der das Schiff Wasserkontakt hat. Wie mit der insgesamt 61 Meter langen „Reliance“ wurden in der Folge Boote mit vergleichsweise kurzer Wasserlinienlänge konstruiert – im Fall der „Reliance“ 27,4 Meter –, die sich dann im fahrenden Zustand durch die seitliche Neigung optimal verlängerte. Es entstanden maßlos übertakelte, zunehmend filigrane Rümpfe mit verschwindend geringer Bordwandhöhe und langen, bei Stillstand über Wasser schwebenden, bei Fahrt hingegen eingetauchten Bug- und Heckpartien.

Mit diesem Kniff wurde die „Seawanhaka Rule“ umgangen, denn für die Geschwindigkeit relevant ist die Wasserlinie der fahrenden Yacht und weniger ihre Konstruktionswasserlinie. Leider war mit der „Reliance“, der extremsten Rennyacht der Segelgeschichte überhaupt, diese experimentelle Phase der Yachtkonstruktion Ende des 19. Jahrhunderts beendet. Derart hochgerüstete Prototypen waren schlicht zu teuer.

Der 1906 vereinbarten „International Rule“ verdankte die Segelwelt ein noch enger geknüpftes Vermessungskorsett, das den Bau schwerer, haltbarer Rennyachten und im Lauf der Jahrzehnte viele segeltechnische Innovationen zur Konsequenz hatte, bis hin zum weithin bekannten Flügelkiel, mit dem die Australier 1983 vor Newport den America’s Cup gewannen. Die sogenannten „Meterklassen“ sind dank ihrer schlanken Linien und ihres großen Ballastanteils im Kiel besonders beim Kreuzen gegen den Wind ein beeindruckend leistungsfähiges Wassersportgerät, dessen seglerischer Rasanz bei küstennahen Regatten bis heute viele Wassersportler nachtrauern.


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mare No. 75

No. 75August / September 2009

Von Erdmann Braschos

Erdmann Braschos, Jahrgang 1960, stammt aus dem tiefsten Binnenland, wo er langweilige Schulstunden am liebsten mit Skizzen interessanter Boote verkürzte. Der Hamburger Fachjournalist schreibt für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Zeitschriften zum Thema.

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Vita Erdmann Braschos, Jahrgang 1960, stammt aus dem tiefsten Binnenland, wo er langweilige Schulstunden am liebsten mit Skizzen interessanter Boote verkürzte. Der Hamburger Fachjournalist schreibt für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Zeitschriften zum Thema.
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Vita Erdmann Braschos, Jahrgang 1960, stammt aus dem tiefsten Binnenland, wo er langweilige Schulstunden am liebsten mit Skizzen interessanter Boote verkürzte. Der Hamburger Fachjournalist schreibt für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Zeitschriften zum Thema.
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