Notizen einer Landratte, 50.

Heute macht sich unser Kolumnist Maik Brandenburg einmal Luft, fantasiert sich in das Meeting einer Marketingabteilung und versucht so zu ergründen, warum Algenkapseln einfach nicht sein Ding sind

In der Marketingabteilung von All Oceans Inc. herrschte Alarmstimmung. „An Land hauen sie einen Knaller nach dem anderen raus“, polterte der Chef. „Hier: Acerolakirsche als Fruchtsaft, Gojibeere auf Cupcakes, Chiasamen auf alles.“ Poseidon stieß zornig seinen Dreizack gegen das Whiteboard, dass es rummelte. „Oh, oh, Boss. Das gibt wieder Ärger mit Zeus wegen eines Tsunamis“, bemerkte jemand. Doch Poseidon hörte nicht hin, er hatte sich in Fahrt gewütet. „Selbst Hades schickt ein Trendgesöff nach dem anderen nach oben – Mojito mit Grünkohl, Bubbletea, Möwenschiss, kommt alles direkt aus der Hölle!“ Die Runde hoch bezahlter Kreativer, zumeist Kraken und Delfine, guckte leer. „Möwenschiss, ihr Dösbaddels“, wiederholte der Herr der Meere. „Das ist Wodka mit ’ner Scheibe Salami obendrauf. Und darüber ein Klecks Senf. Echt unterirdisch das Ganze, aber geht ab wie Freund Hai auf der Sprottenparty.“ Die marinen PR-Granaten kicherten pflichtschuldigst. „Ja, nun“, rief Poseidon, „und was haben wir? Irgendein Vorschlag?“ Die Delfine und Kraken zuckten zusammen und beugten sich über ihre Laptops.

So kam es, dass auch das Meer irgendwann seinen kulinarischen Vorreiter in den globalen Wellnesskampf schickte. Fanfare, Trommelwirbel, der Vorhang öffnet sich für – nein, nicht für Koralleneiersalat, Tiefseemuschelflambee oder Planktonsmoothie. Hier ist das Health-, Power- und Szenefood der Meere: Algenkapseln.

Da hört man direkt, wie die Fanfaren ersterben und die Trommelstöcke wegfliegen. Echt mal jetzt, Poseidon: Algen? Dieses glitschige Zeug, was auf Steinen am Ufer liegt und aussieht, als hätten die kleinen, grünen Männchen vom Mars mal wieder die Landung verpatzt? Nix Nixenhaar und so, Algen sind der giftgrüne, schleimige Auswurf des Meeres, hast halt einen schlimmen Husten, gell, Poseidon? Auch die farbigen Geschwister bringen keinen Regenbogen auf den Teller: Braunalgen sehen zuverlässig aus wie auf links gedrehte Pansen, bei treibenden Rotalgen denkt man sofort an einen explodierten Wal. Und Blaualgen sind gar keine Algen. Da, nichts für ungut, Poseidon, bescheißen dich ein paar Bakterien.

Weißt du nicht, dass das meiste, was mit „Al“ beginnt, eher abtörnt? Ich sage nur: Alimente, Allergene, al-Qaida! Ja, ja Algen sind ein Wundermittel, hört man ja immer wieder. Nur halt vorwiegend für Kläranlagen, Verpackungen und als Verdickungsmittel in der Zahnmedizin. Um nur ein paar der leckeren Kunststücke zu nennen, die Algen so draufhaben. Ach, und die Namen. Nimm Spirulina und Chlorella, die häufigsten Algenarten. Die eine klingt wie ein ekliger Wurm aus den Tropen, der zu fiesen Durchfällen führt. Die andere wie das, was man in Schwimmbäder tut, falls mal jemand reinpullert. Spirulina und Chlorella, die beiden vergessenen Hexen aus dem „Zauberer von Oz“: spindeldürr die eine, sie kann Wirbelwinde im Magen auslösen. Fett die andere, denn sie nascht gern Verdickungsmittel und hat einen Putzfimmel.

Neuerdings experimentieren sie sogar mit einer Art Benzinersatz aus Algen. Tang in den Tank, geht’s noch? Du willst doch, dass wir das Zeug essen. Hab ich dich da richtig verstanden, Poseidon? Was nehmen wir dann zum Nachspülen, Cola-Diesel? Ach nein, Algenwein. Doch, gibt es wirklich schon. Was ist das Beste, was man über Algenwein sagen kann? Er tötet nicht.

Jedenfalls, wenn man davon nicht mehr als einen Fingerhut am Tag trinkt. Algen konzentrieren nämlich rund 40 000-mal mehr Jod als das Meerwasser. Zu viel Jod jedoch führt zur geschwollenen Schilddrüse, die wiederum nervös macht. Sehr nervös – man flippt da bei den geringsten Anlässen aus. Mit zu viel Jod hat man also ständig „so einen Hals“. Man ist sozusagen immer so drauf wie ein Alligator. Da ist es wieder, das böse „Al“-Wort.

Außerdem macht Jod schwummrig im Kopf. Poseidon, willst du, dass wir alle Idjoden werden? Außer Jod ist in Algen nämlich vor allem Salz. Wenn man also einen grün angemalten Salzleckstein mit dem Käsehobel bearbeitet, hat man auch Algen. Man muss nur noch Schwermetalle, Arsen und ein paar Toxine dazutun. Das alles steckt ja auch noch in deinen tollen Algen.

Sagen wir’s mal so, Poseidon: Sollte ich eines Tages vorhaben, mich weiträumig umzubringen, rufe ich dich wegen der Algenkapseln an. Oder ich nasche einfach ein bisschen am Ufer.

mare No. 128

Juni / Juli 2018

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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