Notizen einer Landratte, 49.

Heute erläutert unser Kolumnist Maik Brandenburg den Unterschied zwischen Bayern und Meck-Pomm sowie den zwischen Anglern und Fischern und berichtet von einer Suche nach der knallharten Wahrheit

In Bayern sagt man „Ich gehe fischen“, wenn man doch nur angeln geht. Sie trinken dort auch kein „Gläschen Bier“, sondern gleich „oa Maß“ oder wollen Bundeskanzler werden, in Bayern sind sie a bisserl größenwahnsinnig. Aber hier gehen sie zu weit: Angler angeln, sie fischen nicht, Punktum!

Ein Fischer möchte kein Angler sein, auch nicht in seiner Freizeit. Natürlich gibt es Ausnahmen. So wie es zweiköpfige Schlangen gibt, vegetarische Tiger oder sympathische AfDler. Launen der Natur halt. Ein angelnder Fischer ist wie mein Zahnarzt, der gern auch nach Feierband Löcher bohrt. Vorzugsweise für Zäune, er diente mal an der innerdeutschen Grenze. Mittlerweile hat es selbst eine vorwitzige Streptokokke schwer, seinen Schutzwall zu durchbrechen. Die Zaunpfähle sind weiß, sie stehen inmitten von rotem Kies. Es sieht aus wie ein riesiges Gebiss, aber darum geht es ja gar nicht.

Es geht um den Angler, der unbedingt ein Fischer sein will. Woher nimmt er seine Chuzpe? Er fängt weniger, er hat eine kaum halb so Erfolg versprechende Ausrüstung, er kommt nicht weit herum, meist dümpelt er knapp unter Land. Dafür benutzt er gern kraftstrotzende Ausdrücke, ständig ist er dabei, sein „Arsenal aufzurüsten“, wobei ihm das „Actionblei“ um die Ohren fliegt. Und stets macht er einen Riesenrabatz über jeden Fisch, der dadurch meist doppelt so groß wird, mindestens. Angler sind die Nordkoreaner des Freizeitwesens.

Angler sind Krieger. Ich habe noch nie einen Angler erlebt, der den Haken auswirft, dann „Der alte Mann und das Meer“ aufschlägt, hin und wieder verträumt aufs Wasser blickt, wo die Pose traulich wippt, und wenn er nichts fängt, ist auch gut, denn Angeln ist ja so meditativ. Das ist schlimmstes Anglerlatein.

Ein Angler schmeißt dich über Bord, wenn du ihm im Weg stehst, weil er gerade seinen „Biss“ einholt. Stehst du neben ihm am Kai, sagt sein Blick: „Zieh Leine, und zwar die ganze.“ Dann sieht er wieder mit fiebrigen Augen aufs Wasser, kurbelt zum x-ten Mal den Blinker ran, wirft den „Scheißhaken“ weg und nimmt einen neuen „Killer“. Sein Gesicht ist längst nicht mehr so fröhlich wie in der Früh, als er voller Optimismus den Regenwurm küsste. Er ist so gespannt, wie seine Rute entspannt ist, und wer ihm jetzt in die Quere kommt, wird mit dem Fischmesser filetiert. Ein Angler liest nicht Hemingway, sondern Forenbeiträge über die „Salzwasserwerte“ von „Hochleistungshaken“. Ein Fischer verdient Geld, ein Angler gibt es aus, selbst das Weihnachtsgeld geht für eine Dose Bienenmaden aus Übersee drauf. Da kann die Frau noch so zetern, weil das ganze Gemüsefach von den stinkenden Ködern belegt ist. Er hat sie damals ja sowieso nur geheiratet, weil sie im besten Revier weit und breit wohnte.

Ein Angler hat nicht das bedachte Wesen eines Fischers. Der Angler ist wie das selige HB-Männchen der Tabakwerbung, immer aufgeregt und schon nach einer halben Stunde schwer auf Entzug. Sagen Sie „Angelschein“ zu seinem „Fischereischein“, und er geht in die Luft. Ein Fischer dagegen ist ein Buddha im Südwester. Er kann auch mal eine Woche ohne Fisch auskommen. Ihn kann man nicht beleidigen, er haut einen um, bevor man nur dran denkt. Er erledigt das – ganz buddhistisch – nicht mit Gewalt, sondern mit Schnaps. Ich weiß, wovon ich rede, ich bin unter Fischern aufgewachsen.

Wenn ich mit Fischern zusammensaß, kam irgendwann der Moment, wo ich ihnen mal knallhart die Wahrheit sagen wollte. Über ihren Geruch, ihren komischen Gang, ihre absurd hohen Löhne – zu DDR-Zeiten erhielten sie nämlich viel mehr ausgezahlt als Normalsterbliche, obendrein einen kleinen Teil in Devisen. Außerdem durften sie ins kapitalistische Ausland. Ich musste mir Mut antrinken, Fischer hatten vor nichts Angst, außer davor, ihr Seefahrtsbuch zu verlieren. Mutig wurde ich so nach dem achten, neunten Schnaps. Ich sagte dann: „Hömaßumann.“ Dann lächelte er, schenkte nach und sagte „Prost!“. Es war meist das letzte Wort des Abends.

Ein Fischer tut einen Job, er nimmt dafür Reusen und Netze und einen Schluck aus der Buddel. Ein Angler hat höchstens einen Flachmann, eine lächerliche Rute, und er hält viel auf Fliegen, Flöhe und Würmer. Eigentlich ist er ein Insektenjäger.

mare No. 127

April / Mai 2018

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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