Notizen einer Landratte, 43.

In dieser Folge wird sich unser Kolumnist Maik Brandenburg seines Alters gewahr, macht sich verdient um Förderung von Männern in Marketingzielgruppen und berichtet von seinem Versuch, der Welt zu zeigen, was Kerle sind

Die Krise des Mannes beginnt – je nachdem, welches Frauenmagazin man bevorzugt – ab 30, ab 40 oder ab 45 Jahren. Bei der Zeitschrift „Emma“ beginnt sie schon mit seiner Geburt. Ich glaube, die Krise des Mannes fängt an, wenn man aus der sogenannten „werberelevanten Zielgruppe“ herausfällt. Laut Marketingexperten liegt die zwischen 14 und 49 Jahren. Für die edelste Verpflichtung des Staatsbürgers, nämlich ein Kunde zu sein, taugt man dann nicht mehr viel.

Dabei könnten Männer gerade jetzt der Welt so viel geben. Schließlich ist man nun fast so weise wie ein Glücksbuddha, dem man ja auch äußerlich immer ähnlicher wird. Doch das stört keinen großen Geist, denn das Äußere ist Tand, was zählt, ist das Innere. Haare etwa, das weiß man jetzt, werden überschätzt, eitel Werk sind Waschbrettbauch und Bizepsbeule. Auch der Hang zum knackigen Jeans-Po ist doch nur ein politisches Konstrukt, der „Error 501“ der Gesellschaft. Für die Pos junger Frauen mag anderes gelten, aber darüber kann man doch reden, vor allem mit den jungen Frauen. Leider hören sie einem nicht mehr zu.

Wie denn auch, wo die neue Harley so bullert? Angeblich sind die meisten Käufer einer Harley-Davidson über 45. Damit, sagen die Magazine, möchte der Krisenmann seinem Alter davonfahren. Der Rest läuft, und zwar Marathon. Oder er schafft sich eine junge Geliebte an. Für eine Geliebte reichte es bei mir allerdings nicht mal, als ich noch 20 Kilo jünger war. Für eine Harley dagegen bin ich trotzdem noch nicht dick genug. Und einen Marathon packe ich nur, wenn man ihn wieder in Mark rechnet und dann übers Jahr verteilt. Aber ich bin trotzdem ein echter Kerl. Ein echter Kerl muss sich nichts mehr beweisen. Sondern nur noch den anderen.

Darum wollte ich auf den Grund des Marianengrabens tauchen. Im Marianengraben befindet sich die tiefste Stelle der Meere, ich wäre erst der dritte Mensch gewesen, der das geschafft hätte. Die anderen sind der Schweizer Jacques Piccard und der US-Amerikaner James Cameron. Es wäre auch eine Performance gewesen, ein symbolischer Akt. „Nichts zieht einen Mann tiefer hinab als der Ausschluss aus einer relevanten Gruppe“, hätte ich gerufen, bevor ich ins Wasser gesprungen wäre.

Ich hätte sogar der Erste sein können, der den Marianengraben ohne technisches Gerät meisterte! Obendrein im Alleingang, denn die anderen bekamen Hilfe von außen und hatten Kopiloten. Ich aber wollte nur auf mich gestellt sein. Keine Pressluft, keine dicken Bleiwände, keine Crew. Einfach nur ich, das Meer und die Badehose.

Es war alles vorbereitet. Ein Schiff brachte mich genau über das Witjastief 1, dem mit mehr als 11 000 Metern tiefsten aller Abgründe. Die Badehose war frisch gewaschen, auch jede Menge Zeugen waren angeheuert, die Passagiere des Kreuzfahrtschiffs MS „Bremen“. Dieses sollte also bald nicht nur mit der Monsterwelle Schlagzeilen machen, die es einst getroffen hatte, sondern eben auch mit meinem Rekordtauchgang. Dafür lag der Eintrag bei Wikipedia längst bereit: „Brandenburg gelang, was bis dahin unmöglich schien …“, „… bewies Brandenburg, dass ungeachtet des Alters …“, „Seine Liebe zur Wissenschaft, sein unbedingter Opfermut …“ usw. Selbst eine posthume Würdigung war eingeplant, es war ja keineswegs klar, dass ich die Sache überlebte. „Er starb für uns, uns’re Liebe sein Lohn“, ein Satz wie Poesie, auf ihn bin ich besonders stolz.

Die Wellen gingen hoch am Marianengraben. Zu hoch für den Kapitän, er ließ mich nicht raus. Ich wies auf Piccard hin, der ebenfalls fast am starken Wellengang gescheitert wäre. Ich schwor, alles auf meine Kappe zu nehmen. Ich zeterte und heulte, ich drohte mit allen bedeutenden Kontakten, die ich nicht hatte. Umsonst, der Kapitän, ein Schweizer im Übrigen, blieb hart.

Ich bin dann etwas weiter südlich getaucht, in einem anderen Graben. Dort waren es zwar nur 5000 Meter Senkrechte unter mir, und ich schaffte auch nur drei Meter.

Aber, hey, ich habe es versucht! Darauf kommt es doch an! Mittlerweile wird diskutiert, das Alter der „werberelevanten Zielgruppe“ auf 59 Jahre anzuheben. Ich denke, das liegt auch an Männern wie mir. Echten Kerlen.

mare No. 121

No. 121April / Mai 2017

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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