Notizen einer Landratte, 42.

Heute bemüht sich unser Kolumnist Maik Brandenburg um eine Korrektur des Wikingerbildes, kolportiert eine neuartige Schulspeisung in Skandinavien und fühlt sich … irgendwie umzingelt

Norwegische Studenten können neuerdings das Studienfach „Wikinger“ belegen. Noch ist das Vorlesungsverzeichnis nicht bekannt, aber wahrscheinlich stehen am Ende ein Bachelor in „Plünderung“ und ein Master in „Rauben und Brandschatzen“. Ganz Eifrigen winkt der Doktorhelm, sie dürfen sich Dr. met nennen und auf eine diplomatische Karriere hoffen. Besonders begehrt sind Posten als Botschaftsangestellter in Haithabu oder Militärattaché beim Vatikan. Doch wahrscheinlich wird es gar nicht so weit kommen. Sicherlich muss das Projekt der Universität von Oslo nach ein paar Semestern abgebrochen werden, weil der Lehrstuhl zertrümmert wurde.

Ist das wirklich nötig? Muss man den nordischen Piraten noch posthum akademische Ehren zuteilwerden lassen? Brauchen wir neue Wikinger? Die Welt würde sicher nicht friedlicher. Moderner Mord und Totschlag wären ohne die Kriegstechnik der Nordmänner wohl nie über Keulen und Steinbeile hinausgekommen. Ohne den Wikingerhelm würden wir einander immer noch auf Mützen hauen statt auf Stahlhelme, wer würde da noch mitmachen wollen? Und was wäre das Dritte Reich ohne die Runen der Wikinger? Die in Felstrümmer geschlagenen Runen galten als arisch rein, während ja die lateinischen Buchstaben durch ihre Kollaboration mit dem Alten Testament ihr wahres Gesicht gezeigt hatten. Leider haben die Nazis trotzdem ihre Machwerke weiter mit herkömmlichen Lettern geschrieben und auch nicht in Stein gehauen, nicht mal „Mein Kampf“. Allein die Auslieferung der ersten Auflage hätte die Reichspost auf Jahre lahmgelegt, womöglich sogar zwölf.

Nun müssen wir uns darauf gefasst machen, von einem axt­schwin­genden Drittsemester aus den Träumen gerissen zu werden. Dann wird er draufhauen, bis die Brille verrutscht, wozu hat man schließlich studiert? Vielleicht ist ja zuvor noch ein knapper Diskurs über die „Poetik Odin’scher Oden nach Hamsun“ drin oder über die „Kulturgeschichtliche Bedeutung der Beinstellung im Nahkampf“. Skandinavisten dürften da im Vorteil sein, am Ende wird aber auch das nichts nützen und ihnen wird die Zeile („Schlaf weiter, Sachse“) auf die Schädeldecke gehämmert. Wikinger machen nämlich keine Gefangenen, das war schon in der aller­ers­ten Klausur die leichteste der Prüfungsfragen.

Offenbar besinnt man sich in Norwegen jetzt der glorreichen Zeiten, als sie uns noch so richtig erschrecken konnten, mit Schwert und Geheul, statt bloß mit Furcht einflößenden Pullovern. Während Europa ängstlich nur nach Osten schaute, zeigt sich: Auch im Norden ballt sich einiges zusammen. Dort werden längst die Drachenschiffe poliert, dort ist bereits die Schulspeisung auf Stockfisch und Lebertran umgestellt, und in den Bau­märkten gibt es Thorhämmer zu Aktionspreisen. Und die Jugend, die auch einfach nur Wale hätte fangen können oder die EU schlechtreden, wird zu blutrünstigen Wikingern trainiert. Dieses Bedrohungspotenzial ist lange unterschätzt worden.

Dann ist Deutschland endgültig umzingelt. Von rechts auf der Karte kommen die Araber und Asiaten, von unten drohen die Bayern, von links ziehen Stürme und Überschwemmungen heran und von oben nun eben die Wikinger. Da beruhigt es kaum, wenn auf vermeintliche Vorurteile hingewiesen wird. Angeblich hätten die Wikinger ja vor allem weitreichenden Handel betrieben. Nee, schon klar. Jedermann weiß doch, dass der Wikinger seine Importware gerne persönlich im Erzeugerland abholte. Kein Schachern und Feilschen, keine Kaufverträge, der Handschlag eines Wikingers galt etwas. Vor allem, wenn er ihn mit dem Schwert ausführte.

Angeblich auch hätten die Wikinger meist friedlich ihre Äcker gepflügt, statt marodierend andere Felder niederzubrennen. „Niemand hat die Absicht, einen Bauer zu hauen“, verspricht Professor Hägar Rollofson, Leiter des neu gegründeten Lehrstuhls in Oslo. Falls man dort dennoch auf einen wild tätowierten, unrasierten, schlecht riechenden Mann trifft, handele es sich wohl nur um einen Studenten der Politikwissenschaft. 

mare No. 120

No. 120Februar / März 2017

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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