Notizen einer Landratte, 27.

In dieser Folge schaut unser Kolumnist Maik Brandenburg in die Zukunft: Er nimmt uns die Sorge vor den Folgen des Plastikmülls in den Meeren, sieht das Nahrungsproblem der Menschheit gelöst und prophezeit das Ende von Holz.

Die Vermüllung durch Plastik geisselt die Menschheit seit der Antike. Plastiken aus jener Zeit finden sich zuhauf in Museen und anderen gut bewachten Endlagern, da richten sie wenigstens keinen Schaden an. Anders sieht es im Meer aus. Im Nordatlantik etwa wirbelt ein riesiger Plastikstrudel herum. Ausläufer haben längst unsere Küsten erreicht, wo Schwimmringe oder Luftmatratzen die Ufer verschandeln. Oft treiben sie in Sichtweite von Badestränden, dann sollte man nicht voreilig handeln. Meistens sind sie noch in Benutzung und vermüllen das Meer nur vorübergehend.

Angeblich treiben weltweit Millionen Tonnen von Kunststoffen herum – Polycarbonate, Polyester, Polyamide –, die Ozeane sind längst Polymeere. Die Polytik, quatsch, die Politik versagt auch hier, niemand weiß, wie das Problem zu lösen ist. Vorschläge kommen aus Holland, dort will man Müllteppiche zu Land zusammenknüpfen. Eine 10 000 Quadratmeter große Insel für 500 Menschen soll so entstehen. Dreimal auf Holz, dass das klappt.

Denn es ist höchste Zeit. In den Mägen verendeter Seevögel und Fische wurden bereits Tubendeckel, Spielfiguren und ganze Feuerzeuge entdeckt. Wale sterben an Plastikteilchen, die mit dem Krill treiben, winzigste Körnchen und Fasern schaffen es in den Verdauungstrakt von Miesmuscheln. Selbst in Pantoffeltierchen findet sich mikroskopischer Kunststoff, was aber nicht weiter überrascht: Man weiß ja, woraus Hauslatschen heutzutage sind. Schildkröten verwechseln Beutel mit Beute. Unfähig zum Tauchen, verhungern sie an der Wasseroberfläche.

Doch ihre Idee ist goldrichtig. Sie kommt nur zu früh, die Zeit ist noch nicht reif für Plastiknahrung. Aber schon in 200 Jahren brauchen wir kein herkömmliches Essen mehr. Dann nämlich tritt die Menschheit in das Zeitalter des Plastozäns. Wir rühren PVC-Granulat zu Brotteig an, streuen knusprig-braunen Glitter über die Plastik-Pommes, und der größte Nahrungsmittelkonzern heißt Nestlé-Lego. Die Fischer aber haben endlich wieder dicke Netze, prallvoll mit zappelnden Badeenten.

Babys, klüger wie immer, kauen längst an Plastikautos und Puppen. Das ist nicht doof, sondern Überlebensinstinkt. Sie passen ihr Verdauungssystem an, die Weichmacher machen sie hart. Vielleicht könnten wir Erwachsenen den Plastikfraß sogar heute schon überleben, Versuche mit Doppelwhoppern verlaufen jedenfalls vielversprechend. Doch Winnie L. Schulz vom Bundesamt für Angebliches, So-gut-wie- und Fastessen (BASF) dämpft die Erwartungen: „Zuerst“, so die adrette Wasserstoffblondine, „müssen noch grundlegende Fragen gelöst werden.“ Zwar gelängen etwa die synthetischen Fischstäbchen schon ganz lecker. Aber die Panade mache weiterhin zu schaffen. „Sie klebt schlecht und ist einfach unverdaulich.“ Nun, ist sie das nicht immer? „Sicher“, bestätigt die frühere Kautschuktechnikerin, „aber sie muss endlich auch schmecken.“ Da sei man erst bei 63 Prozent. „Wir wollen jedoch 100 Prozent Geschmack.“

Die Vorteile einer künstlichen Ernährung liegen auf der Hand. Plastikbeutel brauchen 20 Jahre, ehe sie zersetzt sind, schon eine Rolle Frischhaltefolie bringt eine dreiköpfige Familie übers Jahr. Das Nahrungsproblem der Menschheit ist praktisch gelöst. Da Plastik aus Erdöl gemacht ist, wird auch die Energiekrise nebenbei erledigt. Denn entscheidend ist, was hinten herausfließt. Klosetts sind bald nicht mehr an Kläranlagen angeschlossen, sondern an Raffinerien. Das bei Badegästen beliebte Pullern in die See ist dann natürlich strikt verboten. Dafür dümpeln Tanker in Ufernähe und zahlen in Aktien für jedes große Geschäft.

Keiner braucht mehr Holz. Also wachsen die Bäume in den Himmel: Gewaltige Kronen werfen ihre Schatten, bald schon machen sich Sorgen breit. „Wird die Erde dunkel?“, fragen bange Wissenschaftler und warnen vor einem „globalen Sauerstoffrausch“. Die „Bild“-Zeitung dagegen titelt „Ersticken wir in Blättern?“. Im Fernsehen sieht man im Meer treibende Baumstämme, in Großaufnahme. Auf einer Pressekonferenz präsentiert die Wasserschutzpolizei die Konterbande eines aufgebrachten Frachtschiffs: Stühle aus Buchenholz und Schreibtische aus Eiche, dazu einen Ikea-Händler in Handschellen. Die Möbel werden anschließend vor laufenden Kameras verbrannt. Als Snack für die anwesenden Journalisten werden Chips gereicht, gesponsert von einem nahen Spielcasino.

mare No. 105

No. 105August / September 2014

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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