Notizen einer Landratte, 12.

Unser Kolumnist Maik Brandenburg findet die Sorge um die Verwässerung der Gentechnologie überzogen, plädiert außerdem für ein vorurteilsfreies Leben mit Fischköppen und ermuntert zu mehr Rückgrat in der Politik

Der Deutsche Ethikrat hat seinen Standpunkt zu Genmanipulationen herausgegeben. Es geht um die Frage: Wie viel Tier darf in den Mensch? Und umgekehrt.

Es wurde Zeit. Die Gentechnik hat bereits erschreckende Chimären produziert: die Knockout-Maus, das Klonschaf Dolly, den Bartenwal Thierse. Es geht nicht mehr um die genetisch veredelte Leuchtqualle als Nachttischlampe im Miniaquarium. Oder um Hühner mit Störgenen fürs Riesenkaviarei. Es geht um uns, den Menschen. Und dort vor allem um die Frage: Wann beginnt der Missbrauch? Ist es vertretbar, wenn sich künftige Mütter eine Heringsschuppe in die Eizelle schmuggeln, damit ihr Kind, nur weil es gerade in ist, mit einem Fischgrätenmuster zur Welt kommt? Werden nach dem nächsten „Arielle“-Film viele kleine Nixenbabys geboren und dann doch ins Klo gespült, weil sie im Bett so zappeln? Und ist ein Sigmar Gabriel noch human, oder muss er schon ins Quarantänebecken?

Wie auch immer, ich halte die Diskussionen für übertrieben. Menschen können sich schlimmere Dinge einverleiben als ein aushäusiges Gen. Doppelwhopper, zum Beispiel. So werden sie auch ohne Mendelsches Gedöns den Walen immer ähnlicher. In den USA sind die Folgen unübersehbar. Weil dort ja jeder alles darf („free will“), erst recht am Schnellimbiss, macht sich eine neue Spezies breit, die „Free Willys“, auch Land-Orcas genannt.

Bislang wurde dies dem Fett zugeschrieben. Da jenes aber inzwischen als üble Sache gilt, preschte McDonald’s vor. Die Firma sicherte sich Erbmaterial, das den gleichen Effekt hat. Dabei handelt es sich um das 22. Pottwalchromosom. Es kann mit der Lightremoulade verabreicht werden, und geschmacklich passt es auch.

Die Klopsklitsche hat erkannt: Erbinformationen sind reines Geld. Ein Erbgut in bester Lage bringt mittlerweile Milliarden. An allen Genabschnitten patrouillieren längst Heerscharen von Patentrechtsanwälten. Wer illegal Gene „knockoutet“, also abschaltet, wird bestraft. Wer am Genom das E entfernt, sodass ein Gnom draus wird, dem drohen zehn Jahre in der Stammzelle.

Alle sind im Goldrausch. Ein modernes „Klondike-Fieber“ grassiert, es wird auch vor den marinen Wesen keinen Halt machen. Gut so. Was spricht dagegen, das Beste aus beiden Welten zu vereinen? Nichts also gegen ein gut geputztes Schlammspringergen, mit dem wir noch aus dem größten Dreck hüpfen können. Oder ein Haigen für den Killerinstinkt. Oder eine Fischblase, um stets oben zu schwimmen. Apropos: Warum immer nur sprichwörtlich im Berufsverkehr schwimmen? Schließlich sind die Flüsse relativ staufrei. An Menschen mit Rückenflossen wird man sich gewiss gewöhnen müssen, aber das klappte schon bei übleren Auswüchsen, Nasenpiercings oder Vokuhilas. Ich selbst bin übrigens aus dem Norden und somit ein Fischkopp. Ich lebe gut damit.

Zudem wäre dem Tierschutz gedient. Einem Wal ein schwedisches Gen einzupflanzen könnte ihn ungenießbar machen für Norweger. Umgekehrt gab es bereits vielversprechende Manipulationen beim Menschen. Stellvertretend sei hier der Moderator Reinhold Beckmann genannt, dem das Gen eines Seeschmetterlings (Blennius ocellaris) verpasst wurde, ein herausragender Vertreter der Schleimfische. Der Guildo-Horn-Fisch allerdings ist keine Kreuzung aus einem Clownfisch mit einem Brusttoupet.

Auch das Fernsehen könnte profitieren. Denkbar wäre eine Show, in der die Kandidaten erst im Genpool baden, um dann an einer DNA-Leiter hochzuklettern. Den Abschluss bildete das Tauziehen an einem Chromosomenstrang. Der Preis wäre natürlich tierisch gutes Genmaterial. Guido Westerwelle ließ schon mal ausrichten, er stehe zur Verfügung.

Kurz: nur nicht panisch werden. Ein handelsüblicher Mensch besitzt bereits eine Menge animalischer Gene. Auch ein paar Fischgene sind darunter, ganz hinten. Denn die Menschheit ist, evolutionär gesehen, Fischbrut. Ein paar Gene mehr oder weniger fallen nicht auf. Und Fehlgriffe werden in den marinen Hades entsorgt, in die Tiefsee also. Die Wesen dort unten sehen sowieso alle so aus, als seien sie oben schon mal gescheitert.

Wirbeltiere, heißt es übrigens beim Ethikrat, seien hinsichtlich Manipulationen besser geschützt als Wirbellose. Fürchten sollten sich mithin nur die Politiker aller Lager.

Wer von denen hat schon ein Rückgrat?

mare No. 89

No. 89Dezember 2011 / Januar 2012

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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