Neverwalkalone

Seit dem Ende des Bürgerkriegs in Sierra Leone suchen die früheren Feinde nach Frieden. Beim Amputiertenfußball am Strand von Freetown wollen jene zueinanderfinden, die einst Beine abschlugen, und jene, die sie verloren

Das stehen sie, beide in Turnschuhen, vor einem großen Plakat, das einen Soldaten zeigt, der seine Waffe zerbricht. Zwei, die einen Anfang suchen. Der eine breitet die Arme aus, der andere kann nur eine Hand reichen, in der anderen hält er die Krücken, er hat nur noch ein Bein. Zwei, die sich einmal bekriegt haben. Vom Meer kommt Wind herüber, fegt über den Boden, bläst Staub in ihre Gesichter. Beide blinzeln. „Ah“, sagt Kabba, „jetzt weiß ich, woher ich dich kenne. Ich kenne dich von der Lumley-Brücke.“ Außerdem, erinnert er sich, hat er Bonor einmal Fußball spielen sehen am Strand. „Schön, dass du gekommen bist“, sagt Kabba und lacht.

Kabba trägt ein giftgrünes Shirt, eine lange Jeans bei 40 Grad im Schatten und eine Sonnenbrille. Bonor hat eine schwarze Sporthose und ein oranges Netzhemd an und guckt immer ein bisschen wütend, was verschwindet, sobald ihn jemand „Neverwalkalone“ ruft, bei seinem Spitznamen.

Kabba lacht viel, er lacht eigentlich fast die ganze Zeit. „Ja, ich habe amputiert“, sagt er, und macht eine Pause mit dem Lachen, „ja“, wiederholt er, „ich habe das getan“, und schaut auf Bonor. Er schüttelt den Kopf. „Tränen kommen mir, wenn ich das sehe. Ich habe Dinge getan, die ich nicht tun sollte“, sagt er und hebt Bonors Wasserflasche vom Boden. „Er kann sie ja nicht tragen.“

Kabba war früher Kindersoldat und hat für die Rebellen gekämpft, Bonor war früher Soldat und hat die Regierung verteidigt. Der eine hat Minen gelegt und Beine abgehackt. Der andere ist auf eine Mine getreten und hat sein Bein verloren. Kabba Williams, 23, arbeitet heute für die „Children of War Association“ und studiert Literatur an der Njala-Universität von Freetown. Bonor Kargbo, 35, ist heute Kapitän von Sierra Leones Nationalmannschaft der Kriegsamputierten. Wenn er nicht Fußball spielt, verkauft er Zigaretten an der Brücke über den Fluss in Lumley, einem Viertel in Freetown, Hauptstadt von Sierra Leone.

Früher war Kabbas Spitzname „Hungry Lion“. „Hungry Lion“ haben ihn die Rebellen gerufen, wenn er kommen sollte, um Beine oder Arme abzuschlagen. Heute nennt ihn die Presse „den nächsten Ishmael Beah“. Ishmael Beah veröffentlichte 2007 einen Bestseller über seine Zeit als Kindersoldat in Sierra Leone und lebt heute in New York. Bonors Spitzname ist „Neverwalkalone“, nach dem Schlachtruf der Fans vom FC Liverpool, Bonors Lieblingsclub. Oder „Mister Red Card“, weil er auf dem Fußballplatz, wie früher auf dem Schlachtfeld, das Denken ausschaltet und die bisher einzige rote Karte des Teams kassiert hat.

Früher hatte Kabba Angst. Sein Schulweg führte ihn durch die Amputiertensiedlung von Freetown, er ging vorsichtig, Schritt um Schritt, Zelt um Zelt, achtete, ob jemand tuschelte, jemand auf ihn zeigte, groß war die Angst vor Rache. Früher hatte Bonor Wut, und die hat er noch heute, aber nicht auf die Kindersoldaten. Einmal ist er welchen im Krankenhaus begegnet, und als sie bleich wurden und auf seinen Stummel starrten, hat er sich zu ihnen gesetzt. „Macht euch keine Vorwürfe. Es ist bloß Krieg. Schuld sind die Politiker.“

Früher hatten Bonor und Kabba kein Geld. Heute hat Kabba eine Idee, wie beide etwas verdienen können. Er hat um das Treffen gebeten, und auch den Treffpunkt vorgeschlagen, das Plakat mit dem kriegsmüden Soldaten. Er will ein „reconciliation event“ organisieren, eine Versöhnungsshow unter dem Titel „The palaver has finished“, der Streit ist vorbei. Er will die Alumni des Krieges, die Kindersoldaten und ihre Kriegsopfer, die ehemals Verfeindeten an einem Tisch zusammenführen, vielleicht auch auf dem Spielfeld am Strand. Man könnte ein Dinner mit symbolischem Händeschütteln veranstalten. Oder ein Fußballspiel – Einbeinige gegen Zweibeinige, Opfer gegen Täter. Ein Spiel miteinander. Er will dafür Spenden sammeln.

„Ich arbeite gerne mit den Amputees“, sagt Kabba und zeigt auf Bonor. Es gab schon gemeinsame Auftritte vor dem Special Court, dem Kriegsverbrechergericht. Jabati Mambu, Präsident des Fußballclubs, hat für die Amputierten gesprochen, Kabba für die Seelenverstümmelten, die Kindersoldaten.

„Komm“, sagt Kabba zu Bonor, „lass uns gehen und reden“, und während sie gehen, redet er von Pizza und Turnschuhen und wie kalt Kanada im August ist, wo er gerade mit „Save the Children“ war.

Freetown ist Lärm und Staub, kabelverhangene, gammlige Wohnblöcke im Stadtzentrum, die Autos stauen sich, und die Marktstände reihen sich. Doch je näher man dem Meer kommt, umso breiter wird der Abstand zwischen den Verkaufswaben, umso reiner die Luft, dünner der Verkehr, weniger die Gebäude mit den Einschusslöchern und den schwarzen Mauern. Der Strand ist weiß und rein. Nirgendwo ist Freetown so ruhig wie am Meer. Der Strand ist Frieden. „Hier haben wir uns ausgesöhnt mit unserem Schicksal“, sagt Bonor. „Hier haben wir Hoffnung gefunden.“ – „Wollen wir an den Strand?“, fragt Kabba. „Ist dir das zu weit?“ – „Nein“, sagt Bonor, „das ist nicht zu weit.“ Er hat seinen Blick geradewegs nach vorne gerichtet und schwingt sich vorwärts. In seinen Augen liegt etwas Suchendes, etwas, das übriggeblieben scheint aus seiner Zeit als Soldat.


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mare No. 75

No. 75August / September 2009

Von Dimitri Ladischensky und Pep Bonet

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, war auf seiner Reise in Geldnöten. Zwar hatte er genug US-Dollar nach Sierra Leone mitgebracht, doch kein Händler wollte sie tauschen. „Only Dollar with big faces and big beard“. Die Jahrgänge mit den kleinen Präsidentengesichtern könne er behalten.

Der Mallorquiner Fotograf Pep Bonet, geboren 1974, ist Mitglied der Agentur Noor. Seit er die Fußballer 2002 getroffen hat, fährt er jedes Jahr nach Sierra Leone, so sehr begeistert er sich für ihren Sport. Einmal hat er sich den Arm auf den Rücken binden lassen und als Torwart mitgespielt.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, war auf seiner Reise in Geldnöten. Zwar hatte er genug US-Dollar nach Sierra Leone mitgebracht, doch kein Händler wollte sie tauschen. „Only Dollar with big faces and big beard“. Die Jahrgänge mit den kleinen Präsidentengesichtern könne er behalten.

Der Mallorquiner Fotograf Pep Bonet, geboren 1974, ist Mitglied der Agentur Noor. Seit er die Fußballer 2002 getroffen hat, fährt er jedes Jahr nach Sierra Leone, so sehr begeistert er sich für ihren Sport. Einmal hat er sich den Arm auf den Rücken binden lassen und als Torwart mitgespielt.
Person Von Dimitri Ladischensky und Pep Bonet
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, war auf seiner Reise in Geldnöten. Zwar hatte er genug US-Dollar nach Sierra Leone mitgebracht, doch kein Händler wollte sie tauschen. „Only Dollar with big faces and big beard“. Die Jahrgänge mit den kleinen Präsidentengesichtern könne er behalten.

Der Mallorquiner Fotograf Pep Bonet, geboren 1974, ist Mitglied der Agentur Noor. Seit er die Fußballer 2002 getroffen hat, fährt er jedes Jahr nach Sierra Leone, so sehr begeistert er sich für ihren Sport. Einmal hat er sich den Arm auf den Rücken binden lassen und als Torwart mitgespielt.
Person Von Dimitri Ladischensky und Pep Bonet