Mit allen Wassern gereift

Kann ein Schnaps besser schmecken, weil er über den Äquator geschippert wurde? Seine Hersteller sagen: ja

Gustav schwor auf ihn. Wann immer die Familie aus Anlass seines Geburtstages zusammenkam, musste eine Flasche griffbereit im Kühlfach liegen. Denn dann, wenn das Festmahl abgeräumt wurde und sich die übrige Gesellschaft dem Dessert zuwandte, pflegte Gustav seinen Teller zur Seite zu schieben und nach einem „Linie“ zu verlangen.

Eine merkwürdige Affinität verband den munteren Greis mit diesem goldbraunen Schnaps. Vielleicht lag es ja daran, dass der hochprozentige Norweger ebenfalls viele Seemeilen auf dem Buckel hatte. Der alte Gustav jedenfalls kannte die Häfen von Rotterdam und Yokohama, von New Orleans und Sydney wie seine Westentasche – ganz zu schweigen von den Hafenbars.

Einmal, während Gustav bei einer familiären Festivität wieder eine seiner berühmt-berüchtigten Seefahrergeschichten zum Besten gab, betrachtete ich die vor Kälte beschlagene Flasche auf dem Tisch etwas genauer. Das Etikett zeigt ein Schiff, das unter vollen Segeln durch hohe Wellen pflügt, darunter verschiedene Kräuter, goldene Medaillen und einen Mann, der rittlings auf einem Faß hockt. Ich drehte die Flasche und sah durch das vereiste Glas, dass auch auf der Rückseite des Etiketts etwas geschrieben stand: „Dieser Aquavit ist an Bord eines Schiffes um die Welt transportiert worden und hat dabei zweimal den Äquator passiert.“ In fetten Lettern war zudem die Zeit angegeben, die das Schiff samt Ladung für seine Reise benötigt hatte – vier Monate.

Ganz schön viel Aufwand für einen Werbegag. Was sonst sollte wohl dahinter stehen, wenn eine Firma sich den Luxus erlaubt, Schnapsfässer auf Weltreise zu schicken, sie reisen lässt um des Reisens willen? Ein Hauch von großer weiter Welt, für ein paar Mark im Supermarkt zu kaufen? Andererseits: Wer garantiert dafür, dass der Schnaps tatsächlich jemals die Weltmeere durchkreuzt hat?

Ich wollte der Sache auf den Grund gehen, und Gustav sollte der erste sein, der von meinen Plänen erfuhr. „Ich werde nach Oslo fahren“, eröffnete ich ihm. „Ich will wissen, was es mit dem Aquavit auf sich hat, ob das Zeug tatsächlich jemals ein Schiff zu sehen bekommt, und ob es den Äquator passiert.“ Gustav nickte und wünschte mir alles Gute für die bevorstehende Reise. Als ich schon fast an der Tür war, rief er mich noch einmal zurück. „Tu mir nur einen Gefallen“, sagte er, „schreib nicht Äquator. Das ist die Linie.“

Die norwegische Hauptstadt zeigt sich von ihrer besten Seite. Die Frühjahrssonne bricht sich im dunklen Blau des Oslofjordes. Doch dafür hat Arne Larsen an diesem Morgen keinen Blick. Der Küfer ist damit beschäftigt, die 260 Holzfässer, die mit dem Zug aus Göteborg gekommen sind und nun auf der Pier des Containerterminals entladen werden, zu kontrollieren. Göteborg ist die erste und letzte Station der Seereise. Von dort tritt der Aquavit, in alte Sherryfässer gefüllt und in Containern verstaut, seine Reise via Hamburg, Savannah, Sydney, Singapur, Hongkong, Los Angeles, Miami und Rotterdam an, um nach vier Monaten wieder in Schweden einzulaufen – auf der „Toba“, der „Texas“ oder der „Taiko“. Traditionell lässt die norwegische Reederei Wilhelm Wilhelmsen alle ihre Schiffsnamen mit „T“ beginnen. Der Grund dafür ist der frühere Heimathafen Tönsberg im Oslofjord, der aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr angelaufen wird, weshalb der Aquavit heute per Schiene zurück nach Oslo gelangt.

Ein kleines Rinnsal leckt hier und da aus einem der Fässer. „It’s the share of the angels“, der Anteil für die Engel, erzählt Küfer Larsen und stopft die undichten Stellen mit Reet und Eichenspänen. Meist sind es nur kleinere Lecks. Eines von hundert Fässern jedoch überlebt den vielen tausend Seemeilen langen Ritt über die Weltmeere nicht und zerbirst gänzlich. Dann sind 500 Liter hochkonzentrierter Aquavit verloren – und die Engel „quite dizzy“, lacht Arne. Die mechanische Beanspruchung durch das Rollen des Schiffes in der Dünung gibt dem ein oder anderen Fass den Rest – einige sind 50 Jahre alt oder sogar älter und werden, so scheint es, nur noch durch die Farbe zusammengehalten. Auch die Temperaturunterschiede verlangen dem Material viel ab, denn in den Tropen klettert das Quecksilber in den an Deck gestauten Containern leicht über die 50-Grad-Marke, während es im kanadischen Halifax schon mal empfindlich kalt werden kann.


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mare No. 14

No. 14Juni / Juli 1999

Von Sabina Kipfelsberger und Peter Hinz-Rosin

Sabina Kipfelsberger, Jahrgang 1965, ist Ozeanographin und freie Journalistin in München. In mare No.13 berichtete sie vom Plan, Tauchausflüge zum Wrack des Schlachtschiffs „Bismarck“ zu veranstalten.

Peter Hinz-Rosin, Jahrgang 1962, ist gelernter Werkzeugmacher, arbeitet seit 1985 als freier Fotograf und lebt in Garfing bei München. Ab Herbst wird er sein Langzeit-Fotoprojekt Auf den Spuren der Sioux wieder als Dia-Show mit Vorträgen vorstellen

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Vita Sabina Kipfelsberger, Jahrgang 1965, ist Ozeanographin und freie Journalistin in München. In mare No.13 berichtete sie vom Plan, Tauchausflüge zum Wrack des Schlachtschiffs „Bismarck“ zu veranstalten.

Peter Hinz-Rosin, Jahrgang 1962, ist gelernter Werkzeugmacher, arbeitet seit 1985 als freier Fotograf und lebt in Garfing bei München. Ab Herbst wird er sein Langzeit-Fotoprojekt Auf den Spuren der Sioux wieder als Dia-Show mit Vorträgen vorstellen
Person Von Sabina Kipfelsberger und Peter Hinz-Rosin
Vita Sabina Kipfelsberger, Jahrgang 1965, ist Ozeanographin und freie Journalistin in München. In mare No.13 berichtete sie vom Plan, Tauchausflüge zum Wrack des Schlachtschiffs „Bismarck“ zu veranstalten.

Peter Hinz-Rosin, Jahrgang 1962, ist gelernter Werkzeugmacher, arbeitet seit 1985 als freier Fotograf und lebt in Garfing bei München. Ab Herbst wird er sein Langzeit-Fotoprojekt Auf den Spuren der Sioux wieder als Dia-Show mit Vorträgen vorstellen
Person Von Sabina Kipfelsberger und Peter Hinz-Rosin