Mein Hooge, 2.

Unser Kolumnist reiste als Jugendlicher achtmal nach Hooge. Jetzt, nach 30 Jahren, erkundet er die Hallig erneut, als Erwachsener, als Stadtmensch, mit tausend Fragen im Gepäck. Heute geht er im einzigen Supermarkt einkaufen

Im Supermarkt einzukaufen ist ja eigentlich keine große Sache. Und doch war ich aufgeregt, als ich neulich dem Supermarkt auf Hooge einen Besuch abstattete. Denn das letzte Mal war ich vor 30 Jahren dort.

Damals, in den 1980er-Jahren, verbrachte ich jede Herbstferien auf der Hallig, Jugendfreizeit mit der Musikschule. Und jedes Mal deckten wir uns im Halligsupermarkt mit dem Nötigsten ein. Mit zehn kaufte ich hier meine Gummibärchen. Mit zwölf Cola und Salzstangen für die Kinderdisco. Mit 15 meinen ersten Alkohol, einen billigen Sekt, für die Geheimparty im Mädchenzimmer. Der Einkauf im Kaufmannsladen auf der Hanswarft gehörte zu meiner Pubertät wie bei anderen der Besuch der Tanzschule.

Jetzt stehe ich also erneut vor diesem Supermarkt, nach all den Jahren. Ich nähere mich dem Eingang. Dort prangt ein Edeka-Schild auf dem roten Backstein, damals war der Laden ein Spar und befand sich ein paar Häuser weiter. Jetzt rein – und: Ja, es ist wie Nachhausekommen. Immer noch so klein, immer noch dieser Tankstellenshop-Charme. Aber es gibt alles, was man braucht: Cola, Salzstangen und billigen Sekt.

Dose um Dose, Tetrapak um Tetrapak liegt die Ware im Halligsupermarkt, so, als hätte sie jemand eigens für mich einsortiert – schlicht und übersichtlich. Ich finde mich zurecht. 
Das kann ich von meinem Supermarkt in Hamburg nicht behaupten. Mein Edeka dort wurde nämlich neulich umgebaut. Seitdem finde ich nichts mehr wieder. Vermutlich haben sie monatelang gegrübelt, wo sie welche Waren auf welche Weise platzieren. Ich weiß von solchen Methoden, seitdem ich das Buch „Die Supermarkt-Lüge“ des Foodjournalisten Jörg Zipprick gelesen habe.

Der Halligsupermarkt verzichtet auf verkaufsfördernde Tricks. Kein Bäcker am Eingang, der mit dem Geruch frischer Brötchen lockt; kein Drehkreuz, das mich entschleunigt; keine Musik, die zum Kauf anregt. Stattdessen steht einfach dieser eine Mann da, Lars Sönnichsen, 39, der Filialleiter. Ein stiller Mann mit großem Herz. Er sagt, er könne mir jede Ware besorgen, die ich auch auf dem Festland bekommen würde.

2016 übernahm der neue Pächter Ove Lück – ein Edeka-Kaufmann in Niebüll – den einzigen Supermarkt Hooges und entsandte seinen Angestellten Lars Sönnichsen auf die Hallig. Seitdem ist Sönnichsen ein mächtiger Mann. Er bestimmt darüber, was die Hooger zu essen bekommen. Welche Wurst, welches Obst, welche Nudeln. Natürlich könnten die Hooger auch auf dem Festland einkaufen. In Niebüll oder Husum. Doch dafür müssten sie sich einen Urlaubstag nehmen und auf den Donnerstag warten. Der Donnerstag ist der einzige Tag, an dem man morgens mit der Fähre aus Hooge wegkommt und abends wieder zurück. Zwölf Stunden unterwegs für die – sagen wir – Lieblingsleberwurst!

Dann doch lieber zu Lars Sönnichsen. Der würde die Leberwurstnotlage niemals ausnutzen. Während die klassische Volkswirtschaftslehre davon ausgeht, dass ein Monopolist immer überhöhte Preise fordert, bietet Sönnichsen die gleichen wie im Festland-Edeka an. Die Hooger finden das großartig.

Nun aber steht eine Veränderung an. Der Kaufmannsladen wird umziehen, in den MarktTreff. Der MarktTreff ist ein 2,1 Millionen Euro teurer Neubau, der gerade auf der Hanswarft entsteht. Drei Eigentumswohnungen werden sich darin befinden, ein Aufenthaltsraum, die neue Krankenstation – und als Herzstück der Edeka von Lars Sönnichsen.

Es ist ein Abschied von 85 maroden Quadratmetern, die Lars Sönnichsen so lieb gewonnen hat. 
Ab April herrscht er über moderne 201 Quadratmeter. Um sie zu befüllen, müssen neue Produkte her. Die Hooger durften auf einer Bürgerversammlung schon mal ihre Wünsche äußern. Sie hätten zum Beispiel gerne eine Theke mit frischem Käse. Einer sagte, er wünsche sich Socken im Sortiment.

Auf Sönnichsen lastet nun ein großer Druck. Neue Produkte sind immer ein Risiko. Außerdem ist der neue Laden teurer in der Pacht. Er muss den Umsatz steigern. 
Ich möchte ihm dabei helfen, habe ich mir überlegt. Ich könnte einen Zeppelin aufsteigen lassen mit der Werbeaufschrift: Beste Gummibärchen! Bester Billigsekt! Und wenn das nichts nützen sollte, hätte ich da noch einen Buchtipp. Aber bitte, lieber Herr Sönnichsen, den haben Sie nicht von mir.

mare No. 132

No. 132Februar / März 2019

Von Jan Keith

Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
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