Mein Hooge, 16.

Unser Kolumnist reiste als Jugendlicher achtmal nach Hooge. Jetzt, nach 30 Jahren, erkundet er die Hallig erneut, als Erwachsener, als Stadtmensch, mit tausend Fragen im Gepäck. Diesmal besucht er den Königspesel

In Einrichtungsfragen hat mich noch nie jemand um Rat gefragt – verständlicherweise. Meine erste Studentenbude sah nämlich so aus, als hätte ein schwedisches Möbelhaus seine Kassenschlager bei mir untergestellt. Stühle, Tisch und Schrank waren eine Frechheit aus Kiefernholz, und an der Wand hing ein billiger Reprint von Matisse’ „Blauem Akt I“.
Schon bald ermahnte mich meine neue, geschmackssichere Freundin, ich solle doch dringend über eine Umgestaltung nachdenken.

Seither habe ich mich fortgebildet. Ich weiß mittlerweile, wer die beiden Eames und Le Corbusier waren und dass Bauhaus nicht nur eine Baumarktkette ist. Ich achte sogar darauf, wie die Menschen in meinem Bekanntenkreis eingerichtet sind. Die Wohnung meiner befreundeten Antiquitätenhändlerin zum Beispiel gleicht einem Art-déco-Museum. Und der Germanistikprofessor, den ich kenne, besitzt so viele Bücher, dass man sich als Be­sucher vorkommt wie in der Berliner Staatsbibliothek, nur in klein.

Ausgerechnet auf Hallig Hooge habe ich neulich einen weiteren interessanten Wohnraum entdeckt: den sogenannten Königspesel. Er ist eine Art Nobelwohnzimmer in einem alten Traufenhaus auf der Hanswarft, das heute ein Privatmuseum ist.

Gebaut wurde das Haus im 18. Jahrhundert vom Hooger ­Kapitän Tade Hans Bandix, einem Mann, der gerne klotzte. Er ließ nämlich seine gute Stube, auf Friesisch Pesel, komplett, von oben bis unten, fliesen – und zwar mit den seinerzeit teuersten Kacheln der Welt: holländischen Bibelfliesen aus Delft. Blau auf Weiß stellt jede eine andere Szene aus Altem und Neuem Testament dar, handgefertigt und handbemalt.

Bandix kaufte gleich 2000 Stück für sein kleines Wohnzimmer. 
Auch in Sachen Inneneinrichtung gab sich Kapitän Bandix nicht mit Durchschnittlichem zufrieden. Auf seinen Reisen erwarb er die edelsten Möbel und Accessoires, die er sich dann in seinen Pesel stellte: einen geschnitzten holländischen Barockschrank, eine Standuhr mit englischem Uhrwerk und japanischen Goldauflegearbeiten, Alabasterfiguren aus Italien, ein goldverziertes Teebrett aus Japan und Meißner Porzellanteller. So wurde sein Pesel zum vornehmsten Raum Hooges.
Dass er sich das alles leisten konnte, lag an glücklichen his­torischen Umständen. Im 18. Jahrhundert beschäftigten niederländische Reeder für ihren boomenden Handel mit Asien auch ausländische Kapitäne – und beauftragten gern Hooger Schiffsführer. Sie galten als zuverlässig und navigationssicher. Geschätzt wurden sie auch, weil sie für die langen Schiffsreisen nach Ostindien und Fernost ihre eigene Hooger Mannschaft mitbrachten, was für gute Stimmung an Bord sorgte. Ihren exzellenten Ruf nutzten einige Hooger Kapitäne, um sich sogar Anteile an den ­niederländischen Schiffen zu sichern. Auf diese Weise wurde Bandix zu einem reichen Mann.

Kultstatus – zumindest auf Hooge – erreichte Kapitän Bandix’ gute Stube schließlich im Sommer 1825. Vom 2. auf den 3. Juli übernachtete nämlich König Friedrich VI. von Dänemark in ­diesem Raum im eingebauten Wandbett, als er und seine Entou­rage bei ihrem Hooge-Besuch – damals gehörten die Halligen noch als Lehen zum Königreich Dänemark – wegen Land unter nicht mehr ablegen konnten. Seither trägt der Raum den Namen Königspesel. Kapitän Bandix hat das allerdings nicht mehr mit­erlebt. Er starb 1808.
Sein Königspesel aber lebte weiter und blieb, so heißt es ­zumindest, bis heute unverändert. Seine heutige Besitzerin, die Hooger Bürgerin Maren Bendixen, 81, pflegt den Pesel und seine Nebenräume mit Hingabe. „Ich bin in diesem Haus geboren, und ich liebe all die schönen Dinge, die Kapitän Bandix damals mit­gebracht hat“, sagt sie.

Ich freue mich für Frau Bendixen. Inmitten all dieser geschmackvollen Artefakte aufzuwachsen ist ein echtes Privileg, das ich nicht hatte. Im Wohnzimmer meiner Eltern steht bis ­heute eine monströse Schrankwand, die den Raum so verdunkelt, als seien wir alle Vampire.

Inzwischen aber kann ich mich glücklich schätzen. In meiner heutigen Wohnung gibt es kein Kiefernholz mehr. An der Wand hängt auch keine Billigrepro eines Expressionisten. Mein Zuhause ist eine harmonische Mischung aus Alt und Neu, aus Klassik und Moderne, einfach schön.

Eingerichtet hat es meine geschmackssichere Exfreundin, die mich einst aus der Designgosse holte. Meine Ehefrau.

mare No. 146

mare No. 146Juni / Juli 2021

Von Jan Keith

Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
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