Meer, Meer, Meer!

Die globalisierte Wirtschaft wird geprägt von modernen Kolumbussen, die allzu oft von Macht und Status angetrieben sind

Neue Chancenräume stehen in der Welt nur jenen offen, die von einem starken Zielmagnetismus geleitet werden, die das sichere Festland verlassen und sich risikobereit und mit vollem Einsatz hinauswagen ins Meer der Möglichkeiten. Um hier navigieren zu können, braucht es den „nautischen Geist“, der für den Philosophen Peter Sloterdijk mit fernen Zielen, Kooperationspartnern, Umschlaghäfen, aber auch mit einer Dosis krimineller Energie verbunden ist. Goethe lässt schon seinen Mephistopheles sagen:

„Man fragt ums Was? Und nicht ums Wie? / Ich müsste keine Schifffahrt kennen. / Krieg, Handel und Piraterie, / Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.“

Der nautische Geist ist Fluch und Segen zugleich, weil er mit außergewöhnlichen Leistungen verbunden ist, zu Entdeckungen und Innovationen führt, aber auch mit Macht und sozialer Gewitztheit einhergeht, um persönliche, wirtschaftliche und politische Vorteile zu sichern. Er ist der Motor für den menschlichen Drang nach dem Immer-weiter-hinaus, nach endlosem Wachstum und größer werdenden Märkten. Er ist das, was die Globalisierung bis heute im Innersten zusammenhält.

Niemand, der sich als Handelnder hinausbegibt, weiß vorher, ob er nach seinem Handeln das Etikett des Helden, Narren oder Verbrechers erhält. Goethe stellt im „Faust“ die Tat an den Anfang und bemerkt, dass der Handelnde immer gewissenlos sei. Als die frühen Zivilisationen begannen, mit Schiffen Handel zu treiben, bauten sie Häfen, um das schwimmende Kapital im Wortsinn sicher anzulegen. Häfen hatten stets strategische Bedeutung: für die auf einen Zweck ausgerichteten Handelsnetzwerke, die meist im Sinne der Interessen eines Machtzentrums standen, aber auch für die Operation von Seestreitkräften.

Im späten 15. und 16. Jahrhundert kam es in Folge der europäischen Entdeckungsreisen zu einer nie dagewesenen Expansion der Handelsnetze und zur Errichtung überseeischer Imperien. Maritime Netzwerke wurden über den Atlantischen, Indischen und Pazifischen Ozean von Seefahrern wie Kolumbus, Vasco da Gama oder Magellan ausgeweitet.

Seit dem Altertum ist die Assoziation von Glück mit Seefahrt bekannt. In der Neuzeit wird die Globalisierungsgöttin Fortuna, deren Gesetz die Beständigkeit des Wandels ist, nicht mehr allein mit ihrem Rad dargestellt, sondern auch mit maritimen Emblemen: dem geblähten Segel und dem Steuerruder. Es deutet an, dass das Glück nicht nur ein Zufall ist, sondern sich auch der eigenen Tat verdankt. Der Fall des Würfels, der später ergänzt wurde, steht für das Risikohandeln: bereit zu sein, die unwiederbringliche Chance zu ergreifen.

„Bereit wie nie“ war auch das Motto der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft (und des Sponsors Mercedes-Benz) bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Ihr Mannschaftsführer ist auch hier der Kapitän, der dann am gewaltigsten ist, wenn er seine Mannschaften wirksam auf das reine Vorwärts einschwört.

Die zwangsläufige Erweiterung der Grenzen durch die Globalisierung bewegte sich bis heute – um in der Sprache des Fußballs zu bleiben – mehrmals aufs Abseits zu. Und zwar immer dann, wenn Macht, Gier und Besitz zum Selbstzweck und zum Zeichen für die Angst vor der Ohnmacht derjenigen Menschen wurden, die ihre empathischen Wurzeln verloren haben. Ihr narzisstischer Antreiber, Vorteile, Privilegien und Besitz zu erlangen oder an vordergründigen Erfolgen teilzuhaben, ist die Gier. Dabei brauchen solche Narzissten ständig Handlungsfelder, in denen sie sich beweisen und hervortun können. Der Preis dafür ist auch in der inneren Währung ablesbar: Entseelung und Herzenserkaltung, die alle Menschen ausmacht, „die im tragischen Sinne groß sind“ und durch eine gewisse „krankhafte Unzulänglichkeit ihres Wesens“ groß werden, wie es Melville in seinem „Moby Dick“ beschreibt. Alles Schöne ist hier Qual für die mit hohem Geist begabten Machtmenschen, die nicht genießen und sich freuen können.

Das ist auch von Kolumbus überliefert, der mit der Entdeckung der Neuen Welt 1492 das europäische Weltbild maßgeblich veränderte. Gefeiert als bester Seemann seiner Zeit, gab er nie Geld für etwas aus, dass das Leben verschönerte. Er wurde gleichermaßen als Visionär, aber auch als ruhmsüchtig, egozentrisch, verblendet, ignorant, geizig, als erster Sklavenhändler des Mittelalters, als erster Massenmörder, religiöser Fanatiker und miserabler Navigator bezeichnet. Das eine ist nicht ohne das andere zu sehen. „Ich, ich, ich“ soll das Motto des Genuesen gewesen sein, der seine Freunde nach Bedarf wechselte.


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mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Von Alexandra Hildebrandt

Alexandra Hildebrandt, Jahrgang 1970, Nachhaltigkeitsexpertin und promovierte Wirtschaftspsychologin, leitete bis 2009 die Gesellschaftspolitik der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Von 2010 bis 2013 arbeitete sie für die Nachhaltigkeitskommission des Deutschen Fußball-Bundes. Sie ist Sachbuchautorin, Bloggerin, Hochschuldozentin, Herausgeberin und Co-Publisherin der Zeitschrift Revue. Magazine for the Next Society.

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Vita Alexandra Hildebrandt, Jahrgang 1970, Nachhaltigkeitsexpertin und promovierte Wirtschaftspsychologin, leitete bis 2009 die Gesellschaftspolitik der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Von 2010 bis 2013 arbeitete sie für die Nachhaltigkeitskommission des Deutschen Fußball-Bundes. Sie ist Sachbuchautorin, Bloggerin, Hochschuldozentin, Herausgeberin und Co-Publisherin der Zeitschrift Revue. Magazine for the Next Society.
Person Von Alexandra Hildebrandt
Vita Alexandra Hildebrandt, Jahrgang 1970, Nachhaltigkeitsexpertin und promovierte Wirtschaftspsychologin, leitete bis 2009 die Gesellschaftspolitik der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Von 2010 bis 2013 arbeitete sie für die Nachhaltigkeitskommission des Deutschen Fußball-Bundes. Sie ist Sachbuchautorin, Bloggerin, Hochschuldozentin, Herausgeberin und Co-Publisherin der Zeitschrift Revue. Magazine for the Next Society.
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