Lovestory

Seeotter und Mensch sind sich eigentlich sympathisch. Trotzdem gibt es beim Zusammenleben Probleme

Dieses Wesen wirkt wie erfunden, und zwar von den Disney-Studios. Es ist flauschig, rundlich, hat große schwarze Kulleraugen, tapsige schwarze Pfoten und eine rosa Nase. Das Tier liegt hinter einer Glasscheibe in der Säuglingsstation im Monterey Bay Aquarium, es döst, und es ist niedlich. Das drei Wochen alte Seeotterbaby sieht aus wie die Stofftiere, die ein paar Schritte weiter in den Souvenirshops an der Cannery Row feilgeboten werden.

„Das sind Stichsägen im Pelzmantel“, meint dagegen Mike Murray, Veterinär des Aquariums, „Seeotter sind Raubtiere, ihr schnuckeliges Gesicht täuscht.“ Ihr Gebiss ist in der Lage, einen Krabbenpanzer so leicht zu brechen wie einen chinesischen Glückskeks. Jeder der 14 Mitarbeiter der Otterstation im kalifornischen Monterey hat die scharfen Zähne schon zu spüren bekommen.

Der Seeotter (Enhydra lutris) ist verwandt mit dem Marder, ein Fleischfresser wie alle Otter, aber größer und schwerer als der eurasische Fischotter, der im Süßwasser lebt. Die Meeressäugetiere werden bis zu 1,50 Meter lang, kräftige Männchen wiegen bis zu 40 Kilogramm. Für das Leben in den Kelpwäldern, den Tangdickichten nahe der Küste, sind die Seeotter perfekt angepasst: Sie bewegen sich mit kräftigen Paddelschlägen ihrer Hinterbeine durch die Wasserpflanzen und wittern mit ihren Tasthaaren kleine Beutetiere in der Umgebung. Seeotter können fünf Minuten unter Wasser bleiben und bis zu 100 Meter tief tauchen.

Trotz ihrer beeindruckenden Erscheinung erfüllen Seeotter alle Kriterien, die man „süßen“ Wesen abverlangt: Sie sind verspielt, neugierig und intelligent. Außerdem gelten sie als bedrohte Tierart. Es existieren nur noch gut 2000 Südliche Seeotter, die meisten davon an der kalifornischen Küste zwischen Santa Cruz und Santa Barbara. In Alaska leben schätzungsweise noch 100000 Otter. Ihr Bestand gilt als gesichert; er wächst seit 1989 jährlich um zwölf Prozent.

Unter den gefährdeten Tierarten auf der Welt ist der Südliche Otter vielleicht der populärste. Im Gegensatz zum Panda ist er so schön aktiv, im Gegensatz zum Blauwal so schön klein, im Gegensatz zum Tiger so schön harmlos, im Gegensatz zum Nashorn so schön weich.

Im Monterey Bay Aquarium, dem ein weltweit führendes Otterforschungszentrum angehört, spielen sich zum Teil seltsame Szenen ab. Seriöse Wissenschaftler plantschen mit den Meerestieren vergnügt in Bassins und schrecken nicht davor zurück, Quietschenten und alberne Verkleidungen in ihre Arbeit mit einzubeziehen.

Julie Packard, die mit einem verwaisten Otterbaby das Knacken von Muscheln üben will, steht am Rand eines Beckens und sieht aus wie eine Figur aus einem schlecht gemachten Science-Fiction-Film. Sie trägt einen eigens angefertigten Anzug, der dem Tier vorgaukeln soll, dass es unter seinesgleichen ist. Der weite Gummiponcho hilft, die Körperformen des Menschen zu vertuschen. Eine verspiegelte Tauchermaske sorgt dafür, dass der Otter nicht das Gesicht des Menschen fixiert – die Tiere neigen dazu, sich zu sehr an ihre Pflegemütter zu gewöhnen.

Otter nehmen täglich ein Drittel ihres Körpergewichts an Nahrung zu sich, vor allem Muscheln, Seeigel, Krabben, Meeresschnecken und Tintenfische. Die Ursache für diesen Appetit ist, dass ein Otter drei Mal so viele Kalorien verbraucht wie ein Mensch, weil er sich fast immer in bis zu zehn Grad kaltem Wasser bewegt.

Dennoch wirkt der Otter menschlich. Er benutzt als eines der wenigen Tiere Werkzeuge, wickelt sich zum Schlafen in eine Art Bett aus Wasserpflanzen ein und gibt sich Mühe mit der Erziehung des Nachwuchses. Die Weibchen sind verhältnismäßig lange trächtig, sechseinhalb Monate, und bekommen jedes Jahr ein Junges. Es dauert lange, bis Seeotter erwach- sen sind; sie sind mit drei bis vier Jahren geschlechtsreif, aber Männchen brauchen oft acht bis zehn Jahre, um ein eigenes Teritorium zu etablieren. Gemessen an ihrem Lebensalter von durchschnittlich 15 Jahren ist das eine lange Zeit.

Die Seeotterforschungsstation in Monterey gibt eine Million Dollar im Jahr aus, um das Verhalten der Otter zu studieren, dabei ist das Verhalten der Menschen doch viel unerklärlicher. Die einen starten Annäherungsversuche und wollen dauernd knuddeln, die anderen verscheuchen die Tiere und schießen sogar mit Gewehren auf sie. Die einen, das sind die Tierschützer, die anderen, das sind die Fischer.

„Wo Otter sind, sollten keine kommerziellen Fischer sein, und wo kommerzielle Fischer sind, sollten keine Otter sein“, sagt Andrew Johnson, Leiter der Otterforschungsabteilung im Monterey Bay Aquarium, „die beiden vertragen sich einfach nicht.“ Der Bildschirmschoner von Johnsons Computer besteht aus zwei Wörtern: „Otters rule“, was etwa bedeutet: „Hier haben Otter das Sagen“. Die kalifornischen Fischer wollen sich aber von niemandem sagen lassen, wo es langgeht, schon gar nicht von kleinen Pelztieren, die ihnen den Fang wegfuttern. Drei bis fünf Seeotter werden jährlich an kalifornischen Stränden erschossen aufgefunden, meistens in der Nähe von Fischereihäfen.


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mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Von Titus Arnu

Titus Arnu, Jahrgang 1966, lebt bei München und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, Geo Saison und andere Publikationen. Bei den Recherchen in Kalifornien überraschte ihn, wie zutraulich die Seeotter sind. Als er mit dem Kajak an der Küste entlangpaddelte, schwammen die neugierigen Tiere bis auf wenige Zentimeter an das Boot heran – eines wäre beinahe eingestiegen.

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Vita Titus Arnu, Jahrgang 1966, lebt bei München und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, Geo Saison und andere Publikationen. Bei den Recherchen in Kalifornien überraschte ihn, wie zutraulich die Seeotter sind. Als er mit dem Kajak an der Küste entlangpaddelte, schwammen die neugierigen Tiere bis auf wenige Zentimeter an das Boot heran – eines wäre beinahe eingestiegen.
Person Von Titus Arnu
Vita Titus Arnu, Jahrgang 1966, lebt bei München und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, Geo Saison und andere Publikationen. Bei den Recherchen in Kalifornien überraschte ihn, wie zutraulich die Seeotter sind. Als er mit dem Kajak an der Küste entlangpaddelte, schwammen die neugierigen Tiere bis auf wenige Zentimeter an das Boot heran – eines wäre beinahe eingestiegen.
Person Von Titus Arnu