Liebliches, stürmisches Kap

Ein Unwetter entscheidet, wer das Kap besiedelt. Die Portugiesen segeln am äußersten Zipfel Afrikas vorbei, die Holländer bleiben

Kapstadt liegt zwischen zwei Weltmeeren, zwischen Atlantischem und Indischem Ozean. Mit Wucht treffen hier zwei entgegengesetzte Strömungen aufeinander: der kalte atlantische Benguelastrom aus der Antarktis und der warme Agulhasstrom vom Äquator.

Kartografen haben den exakten Punkt des Zusammentreffens der Ozeane etwa 100 Kilometer weiter östlich angesiedelt, am Kap Agulhas, welches der südlichste Zipfel des afrikanischen Kontinents ist. Doch die Kapstädter machen sich wenig aus pedantischen Vermessungen. Für sie steht fest, dass sich die Weltmeere am Cape Point vermählen, an der äußersten Spitze der vor ihrer Haustür gelegenen Kaphalbinsel, die wie ein Finger hinaus auf das Meer zeigt, auf den dahinterliegenden Südpol. Doch wie auch immer es sich mit der Ozeanografie verhalten mag – fest steht, dass die beiden Meere und ihre widerstrebenden Strömungen hierzulande die Wetterlage regulieren. Das Wetter hat die Geschichte von Kapstadt geprägt, die Stadt wiederum die Geschichte des ganzen Landes. Das Wetter bestimmte, wer sich als Erster hier ansiedeln konnte, wer die Samenkörner für die spätere kulturelle Entwicklung der Stadt legen würde.

Unsere Geschichte beginnt mit einer kulinarischen Krise in Europa. Die Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453 versperrte den Landweg für den Gewürzhandel mit dem Fernen Osten. Für uns heute, die wir im Zeitalter der Kühlschränke leben, ist es kaum noch vorstellbar, wie wichtig Gewürze damals waren. Selbst in den wohlhabendsten Häusern kam das Essen in einem mehr oder weniger verdorbenen Zustand auf den Tisch, genießbar wurde es erst durch Gewürze. Die Blockade des Landwegs bedeutete für Europa einen Engpass, der sich aus heutiger Sicht am ehesten mit einem Versiegen der Ölquellen am Persischen Golf vergleichen lässt. Ganze Scharen von Seefahrern stürzten sich ins Abenteuer, um Pfeffer auf dem Seeweg nach Europa zu bringen. 1486 begab sich der Portugiese Bartolomeu Dias nach Süden, in der Hoffnung, einen Seeweg um den unbekannten afrikanischen Kontinent ausfindig zu machen. Zwölf Jahre später segelte Christoph Kolumbus, der die Eingebung vom runden Erdball gehabt hatte, gen Westen; er beabsichtigte, im Osten anzukommen.

Dias hat es bis zum Kap geschafft, doch er hat seine Reise nie beendet. Er musste vor dem Wetter kapitulieren. Jeder Kapstädter kann darüber Auskunft geben, wie furchterregend die Elemente hier sein können. Wenn der Wind aus Südost kommt, lässt er tintenschwarze Wolkenberge über den Rücken des Tafelbergs quellen, die sich wie Lavaströme die Berghänge hinabwälzen. Oder der Wind heult aus den Roaring Forties; er peitscht die Stadt, wirbelt Abfall durch ihre Straßen, versetzt Pfeiler in schwankende Bewegung, als seien sie Schiffsmasten und keine Straßenlaternen. Auf See bäumen sich die riesigen Cape rollers auf, wo die beiden Strömungen aufeinandertreffen. Ihre Brecher können ein kleines Schiff unter sich begraben.

Der Sturm trieb Dias’ Karavelle hinaus aufs offene Meer. Als er gewendet hatte und wieder landeinwärts gesegelt war, stellte er fest, dass er das Kap tatsächlich umrundet hatte. Vor ihm erstreckte sich der Seeweg in den Fernen Osten. Doch seine Crew hatte genug von Stürmen und haushohen Wellen; sie zwang ihn zur Heimreise. Dias, der seine Reise nur äußerlich unbeschadet überstanden hatte, nannte seine Entdeckung „Kap der Stürme“. Portugals König Heinrich hingegen, der die Tragweite der Erkundung schon damals ermessen konnte, taufte es nach Dias’ Rückkehr auf den heutigen Namen „Kap der Guten Hoffnung“.

Neun Jahre später gelang es Dias’ Landsmann, Vasco da Gama, die Reise zu vollenden. Dank seiner hatte Portugal einen Vorsprung im Gewürzhandel. Doch das Nachtmahr der ersten Erkundung wirkte in den Portugiesen fort; sie verzichteten darauf, ei- nen Vorposten am Kap einzurichten.

Und so würde es noch anderthalb Jahrhunderte dauern, bis eine erste Siedlung an jenem Kap entstand, über das Sir Francis Drake in seinem Reisebericht von 1580 schrieb, es sei das „lieblichste Kap, das wir im Erdenkreis erblickten“. Bis dahin umrundeten Schiffe aus vielen Nationen das Kap auf ihrem Weg in die Gewürzländer, doch nie erwog jemand, sich dort niederzulassen, zu sehr fürchtete man die Winde und die gewaltigen Wellen. Dann, 1652, kamen die Holländer. Und hier verbirgt sich ein Paradox. Denn wenn an einem jener windstillen, kristallklaren Tage die Sonne scheint, wenn die Luft durchscheinend wird und perlt wie Champagner, dann ist die Atmosphäre der Halbinsel vom Kap so ganz und gar mediterran. An einem solchen Tag kann man es nicht fassen, dass die südeuropäischen Völker das Kap verschmäht haben, um es den Protestanten aus dem holländischen Norden zu überlassen.

Vor dem inneren Auge ersteht mühelos das, was anderenfalls gewesen wäre: Weiße Villen mit roten Ziegeldächern erheben sich von den Berghängen; auf weiten, baumbestandenen avenidas regeln Polizisten in weißen Uniformen den Verkehr; Gitarrenklänge und Fado, olivfarbene Gesichter und Olivenöl, der allgegenwärtige Geruch von schwarzem Tabak. Eine an Bodenschätzen reiche República de Boa Esperança wäre gewachsen, ein zweites Brasilien vielleicht, das für seine multikulturelle Gesellschaft berühmt geworden wäre.


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mare No. 52

No. 52Oktober / November 2005

Ein Essay von Allister Sparks

Allister Sparks, Jahrgang 1933, ist einer der profiliertesten Journalisten Südafrikas. Der engagierte Apartheidgegner schrieb eine viel beachtete Biografie Nelson Mandelas und war neben anderem Nachrichtenchef des Staatsrundfunks und Leiter einer Journalistenakademie. 1995 erschien auf Deutsch seine Darstellung des südafrikanischen Umbruchs Morgen ist ein anderes Land beim Berlin Verlag. Sparks lebt bei Johannesburg.

Aus dem Englischen von Tanya Lieske.

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Vita Allister Sparks, Jahrgang 1933, ist einer der profiliertesten Journalisten Südafrikas. Der engagierte Apartheidgegner schrieb eine viel beachtete Biografie Nelson Mandelas und war neben anderem Nachrichtenchef des Staatsrundfunks und Leiter einer Journalistenakademie. 1995 erschien auf Deutsch seine Darstellung des südafrikanischen Umbruchs Morgen ist ein anderes Land beim Berlin Verlag. Sparks lebt bei Johannesburg.

Aus dem Englischen von Tanya Lieske.
Person Ein Essay von Allister Sparks
Vita Allister Sparks, Jahrgang 1933, ist einer der profiliertesten Journalisten Südafrikas. Der engagierte Apartheidgegner schrieb eine viel beachtete Biografie Nelson Mandelas und war neben anderem Nachrichtenchef des Staatsrundfunks und Leiter einer Journalistenakademie. 1995 erschien auf Deutsch seine Darstellung des südafrikanischen Umbruchs Morgen ist ein anderes Land beim Berlin Verlag. Sparks lebt bei Johannesburg.

Aus dem Englischen von Tanya Lieske.
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