Liebesdienste einer Lady

In zwei Jahrzehnten hat die Amerikanerin Elizabeth Meyer mehr als 80 historische Yachten vor dem Untergang gerettet

Trinken will sie den Champagner nicht, da ist ihr Bier lieber, so wie den Männern, die um sie stehen. Aber schütteln will sie ihn und im hohen Bogen aufs Boot spritzen. Endlich. „Viel Glück!“, ruft sie. „Auf dich und dein zweites Leben!“ Und dann raus aus dem Hafenbecken von Newport, unter Jubel: Kein Leck, das Schiff bewegt sich butterweich, wie gehofft. Elizabeth Meyer steht am Steuer, sie trägt ein T-Shirt des ehrwürdigen New York Yacht Club zu Jeans; Salzwasser und Wind haben ihre Locken in ein wirres Nest verwandelt, das mit ihr auf und ab hüpft: „Fast 18 Knoten! Sie ist perfekt, perfekt, perfekt“, ruft sie und drückt mal die Hupe, mal die Hand ihres Mannes Michael, unter dessen Obhut das Boot in den vergangenen Jahren hergerichtet wurde. Am Vorabend erst haben sie am Heck den Namen angebracht, in goldenen Buchstaben: „Bystander“.

Es ist ein zwölf Meter langes Motorboot, dem man seine große Vergangenheit nicht ansah, als es vor sechs Jahren auf einem Frachtschiff hier ankam, auf die Reise geschickt vom australischen Verkäufer. 20 000 Arbeitsstunden später sieht die „Bystander“ wieder aus wie 1929, als Mike Vanderbilt sie bauen ließ, aus Teak und Mahagoni, Bronze und Messing. So gefeiert wie heute wurde sie nie, auch damals nicht. Bisher spielte sie nur Nebenrollen, verhalf anderen zu Glanz: Sechsmal war sie Schleppboot im America’s Cup, zog Schiffe, die Legenden wurden: „Enterprise“, „Rainbow“, „Ranger“. Sie alle gehörten zur J-Klasse, einer kleinen Gruppe von Yachten, die von 1930 bis 1937 gebaut wurden, vier in Großbritannien, sechs in den USA. Und eigentlich längst Geschichte wären, wenn Elizabeth Meyer nicht als Mädchen mit Erzählungen über diese Yachten von ihrer segelbegeisterten Mutter in den Schlaf geschaukelt worden wäre.

In Elizabeth setzte sich eine Sehnsucht fest, die sie nie wieder verlassen würde. „Ich dachte immer nur: Ich wünschte, ich hätte gelebt, als es diese Schiffe noch gab. Ich hab zu meinen Freunden gesagt: ,Stellt euch mal vor, wie lang der Mast war, wie es Stunden dauern müsste, das Boot aufzutakeln.‘“ J-Boote sind für sie Kunstwerke, so wie die Brooklyn Bridge, die Pyramiden, der Eiffelturm.

Anfang der achtziger Jahre begann sie zu recherchieren. Von den ursprünglich zehn Yachten hatten drei überlebt: „Shamrock V“, „Endeavour I“ und „Velsheda“. Meyer arbeitete zu jener Zeit als Journalistin und überzeugte den Chefredakteur des „Nautical Quarterly“, sie nach Europa zu schicken; dort sollten die Boote sein. In Monaco fand sie „Shamrock V“, die britische Herausforderin des America’s Cup von 1930. Der einst ideal proportionierten Yacht waren alle möglichen Aufbauten zugefügt worden, und Meyer dachte nur: Gebt mir eine Kettensäge. Aber immerhin, sie war seetüchtig.

Dann, an der britischen Küste, in einem ehemaligen Lager für Wasserflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg, das einst berühmteste Segelschiff der Welt: die 40 Meter lange „Endeavour“. „Ich stand vor ihr und sah aus wie eine Comicfigur“, sagt Meyer, „wie hypnotisiert.“ Im Bauch der „Endeavour“ sammelte sich Laub, sie war nicht einmal mit einer Plane bedeckt. Um sie herum gammelten noch ein paar andere Boote, sonst war hier nichts. Elizabeth Meyer lieferte ihrem Chefredakteur die versprochene Geschichte. Und kam Monate später wieder, mit einem Scheckbuch und einem Plan.

Wie viel sie bezahlt hat, verrät sie nicht, viel wird es nicht gewesen sein; die beiden Männer, denen die „Endeavour“ vor ihr gehört hatte, hatten sie für je zehn Pfund gekauft. „Man erwirbt bei dieser Art Projekten nur das Recht, sehr viel Geld zu versenken“, sagt Meyer lachend. Sie zog nach England und blieb die nächsten eineinhalb Jahre dort. Das Boot war in derart schlechtem Zustand, dass sie es nicht transportieren konnte. Sie ließ Rumpf, Deck, Kiel und Steuer restaurieren. Dann brachte sie die „Endeavour“ in eine Werft nach Holland. Mast, Baum und Takelage kamen dazu, später Motor und Mechanik und das prächtige Kirschholzinterieur samt Kamin. Im Sommer 1989 wurde sie zur See gelassen, nach insgesamt fünf Jahren Arbeit. Meyer segelte sie mit einer 17-köpfigen Crew über den Atlantik, die Fachpresse überbot sich in Superlativen.

Und wie ein halbes Jahrhundert zuvor wollte sich jeder auf der legendären Yacht sehen lassen. Mal stand Ted Turner am Steuer, mal Teddy Kennedy. 2000 verkaufte Meyer die „Endeavour“, nach 17 Jahren. An einen milliardenschweren Angeber, der das Schiff als Statussymbol in seinem Portfolio betrachtete. Sie herzugeben sei ihr schwergefallen, natürlich, aber einen anderen Weg gab es nicht: Sie hatte 17 Jahre schlecht geschlafen. Die „Endeavour“ kostet jedes Jahr 1,5 Millionen Dollar an Unterhalt, das ließ sich selbst mit teuren Chartertouren nicht verdienen.

Sie sei froh darüber, sagt sie, „auch wenn ich weiß: Ich werde nie wieder ein solches Boot finden. Es gibt keines, das es mit ihr aufnehmen kann, nirgends auf der Welt“. Die „Endeavour“ liegt heute im Fernen Osten. „Ich habe sie seit 2005 einmal gesehen“, sagt sie, im Fernsehen, während der Olympischen Spiele in China.


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mare No. 75

No. 75August / September 2009

Von Steffi Kammerer und Andrew Testa

Steffi Kammerer, Jahrgang 1969, lebt als freie Autorin in Berlin und New York. Zurzeit renoviert sie ein altes Haus auf Long Island, ohne viel Ahnung, aber seit der Begegnung mit Elizabeth Meyer zuversichtlicher als bisher.

Andrew Testa, geboren 1965, lebt in London. Seine letzte mare-Geschichte spielte auch im Hafen, allerdings war sie härterer Natur: Es ging um die Mafia in New Yorks Hafenarbeitergewerkschaft (No. 64).

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Vita Steffi Kammerer, Jahrgang 1969, lebt als freie Autorin in Berlin und New York. Zurzeit renoviert sie ein altes Haus auf Long Island, ohne viel Ahnung, aber seit der Begegnung mit Elizabeth Meyer zuversichtlicher als bisher.

Andrew Testa, geboren 1965, lebt in London. Seine letzte mare-Geschichte spielte auch im Hafen, allerdings war sie härterer Natur: Es ging um die Mafia in New Yorks Hafenarbeitergewerkschaft (No. 64).
Person Von Steffi Kammerer und Andrew Testa
Vita Steffi Kammerer, Jahrgang 1969, lebt als freie Autorin in Berlin und New York. Zurzeit renoviert sie ein altes Haus auf Long Island, ohne viel Ahnung, aber seit der Begegnung mit Elizabeth Meyer zuversichtlicher als bisher.

Andrew Testa, geboren 1965, lebt in London. Seine letzte mare-Geschichte spielte auch im Hafen, allerdings war sie härterer Natur: Es ging um die Mafia in New Yorks Hafenarbeitergewerkschaft (No. 64).
Person Von Steffi Kammerer und Andrew Testa