Liebe und Wellenspiel

Ist die Göttin bei Laune, schenkt sie Schiffen sicheres Geleit. Das ist dem Sultan von Yogyakarta ein Opfer wert

Rechtzeitig zur Hochzeit der ältesten Sultanstochter war sie wieder da. Die Kutschen standen bereit, der Palast war hervorragend staffiert, die Festgesellschaft wartete in bester Garderobe. Dann kam sie.

Nicht dass sie extra eingeladen war, doch zu solch hohen Anlässen musste stets mit ihr gerechnet werden. Sie war ja auch bei der Krönung dabei, vor gut 13 Jahren. Seinerzeit saß sie in der Kutsche, als jene den Kraton, den Sultanspalast, nach alter Sitte umrundete. Der Bruder des Sultans ritt nebenher und sah „einen Schatten neben dem Sultan“ sitzen. Er gewahrte die Umrisse einer Frau in hellgrünem Gewand. „Ich denke“, berichtete der Prinz seinerzeit den Zeitungen, „das war sie, die Göttin.“ Sultan Hamengku Buwono X. selbst schweigt zu der Geschichte, sie sei „zu intim“.

Diesmal fegte die Besucherin als Zyklon um den Palast – und nur dort; alle anderen Teile der Stadt blieben von dem Wirbelwind verschont. Sie bog die Wipfel der herrschaftlichen Bäume, bis einige von ihnen brachen, im Palast kippten die feierlichen Kulissen. Das Zimmer, in dem sie sich gelegentlich mit dem Sultan trifft, blieb indes verschont. Kaum zehn Minuten später verabschiedete sie sich schon wieder.

Nachher sprachen alle von einem besonderen Segen, die Gazetten des Fürstentums jubelten, das Zeichen war eindeutig: Noch immer stand Yogyakarta, das städtische Sultanat im Herzen Javas, unter ihrem Schutz. Ratu Kidul, die „Königin des Südlichen Meeres“, hatte dem Herrscherhaus ihre Aufwartung gemacht.

Wer in Javas Geisterwelt Karriere macht, muss schon einiges vorweisen können. Ratu Kidul immerhin ist die Herrscherin der Unterwelt, Oberbefehlshaberin einer Geisterarmee. Sie bringt die Schiffe an sichere Ufer, sie füllt die Netze der Fischer und die Beutel der Schwalbennestsammler, sie geleitet beide in ihr Reich, falls diese bei ihrem gefahrvollen Tun ums Leben kommen.

Nur Tote haben sie je in ihrem Palast erblickt – ausgenommen jene Auserwählte, die von ihr persönlich durch das Reich geführt wurden. Um hernach, aus der Trance erwacht, von ihr und der Stadt im Meer zu berichten. Demnach kann sie alles sein: eine junge Schöne in durchscheinendem Sari, mit Brüsten, weiß, groß und spitz wie Reiskegel, jene Opfergaben, die an jeder Türschwelle, jeder Ecke der Stadt stehen zur Besänftigung der Dämonen; sie ist ein altes Weib, das um Almosen bettelt; der Irre, der brabbelnd und hüpfend den Strand entlangwandert; das Kind, das dich anlächelt; sie ist der Regen über dem Meer; ein Wirbelwind oder nur der Hauch, der einen streift, wenn man an sie denkt. Eines ist die Göttin des Südlichen Meeres allerdings nie: eine Nixe.

Der Eingang zu ihrem Reich liegt vor den einladenden Stränden von Parangkusomo, einem kleinen Ort 30 Kilometer vor der Gebietshauptstadt Yogyakarta. Unberechenbare Winde, eine tückische Brandung und die felsige Küste halten ihr Imperium fest verschlossen für Lebende. Womöglich endet es erst nahe des Südpols – wer von diesen Stränden geradewegs gen Süden segelt, gewinnt das Land erst in der Antarktis wieder.

Seit mindestens einem halben Jahrtausend stehen die Herrscher Yogyakartas in Verbindung zu Ratu Kidul. Spätestens, seit Senopati, der Begründer der hiesigen Dynastie, die Meeresgöttin traf. Eine der vielen Legenden, die seit jenem Tag kursieren: Meditierend brachte der Sultan seinerzeit das Meer zum Kochen, worauf die Göttin den Wassern entstieg, den Frevler zur Ordnung zu rufen. Sie trafen sich in Parangkusomo, am Ende ihres heftigen Disputs hatte sich die Wasserfrau in den Sultan verliebt und der ihr Versprechen auf den Schutz seines irdischen Reiches für alle Zeiten und Generationen.

Seither bewahrt sie die rund 400000 Einwohner Yogyakartas vor den schlimmsten Nöten der Zeit. Und es wird ihr und der besonderen Beziehung des Hofes zur Göttin zugeschrieben, wenn Yogyakarta wirtschaftlich wächst – in einem Indonesien, das ansonsten von allen guten Geistern verlassen scheint. Und niemand zweifelt am weiteren Boom, zumindest so lange, wie das hiesige Herrscherhaus die Regeln der religiösen Diplomatie beachtet. Eine Vielzahl von höfischen Ritualen und Zeremonien hält die Göttin bei Laune. Eine der wichtigsten ist das alljährliche Labuhan-Fest.

Waghalsig preschen die Pick-ups über die löchrigen Straßen, umkurven Hunderte Rikschafahrer, aufgeregt hupende Motorroller, die der wilden Rallye gerade noch ausweichen können. Die Wagen gehören dem Sultan, und es scheint, als ob der Palast jetzt keine Zeit mehr verlieren wollte: Ein Jahr immerhin musste die Schutzheilige Yogyakartas warten, um an diesem Oktobertag die Opfergaben des Sultans zu bekommen.

Sehr persönliche Opfergaben: Es handelt sich um die Kleidung, die der Herrscher der Provinz in dieser Zeit getragen hat, einschließlich seiner Unterwäsche. Auch seine geschnittenen Haare, dazu die Finger- und die Zehennägel, liegen in versiegelten Kästchen auf den Ladeflächen. Der Sultan selbst meditiert derweil im Kraton, in jenem Raum, in dem die Herrscher seit Jahrhunderten die Göttin empfangen.


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mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Von Maik Brandenburg und Michael Hagedorn

mare-Redakteur Maik Brandenburg, geboren 1962, war vor allem vom friedvollen zusammenleben der Religionen auf Java beeindruckt: Christen, Moslems, Buddhisten und animistische Richtungen existieren ohne Probleme nebeneinander. Vielleicht eine Täuschung: Am Tag seiner Abreise explodierte auf der Nachbarinsel Bali die Bombe islamistischer Fundamentalisten und forderte 190 Todesopfer.

Michael Hagedorn, Jahrgang 1965 und freier Fotograf in Hamburg, lebte ein halbes Jahr auf Java und kehrt seither regelmäßig zurück. Die Fotos dieser Reportage zeigte er im Hamburger Museum für Völkerkunde. Schirmherr und Ehrengast der Ausstellung war der Sultan von Yogyakarta, der eigens für dieses Ereignis in die Hansestadt gereist kam.

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Vita mare-Redakteur Maik Brandenburg, geboren 1962, war vor allem vom friedvollen zusammenleben der Religionen auf Java beeindruckt: Christen, Moslems, Buddhisten und animistische Richtungen existieren ohne Probleme nebeneinander. Vielleicht eine Täuschung: Am Tag seiner Abreise explodierte auf der Nachbarinsel Bali die Bombe islamistischer Fundamentalisten und forderte 190 Todesopfer.

Michael Hagedorn, Jahrgang 1965 und freier Fotograf in Hamburg, lebte ein halbes Jahr auf Java und kehrt seither regelmäßig zurück. Die Fotos dieser Reportage zeigte er im Hamburger Museum für Völkerkunde. Schirmherr und Ehrengast der Ausstellung war der Sultan von Yogyakarta, der eigens für dieses Ereignis in die Hansestadt gereist kam.
Person Von Maik Brandenburg und Michael Hagedorn
Vita mare-Redakteur Maik Brandenburg, geboren 1962, war vor allem vom friedvollen zusammenleben der Religionen auf Java beeindruckt: Christen, Moslems, Buddhisten und animistische Richtungen existieren ohne Probleme nebeneinander. Vielleicht eine Täuschung: Am Tag seiner Abreise explodierte auf der Nachbarinsel Bali die Bombe islamistischer Fundamentalisten und forderte 190 Todesopfer.

Michael Hagedorn, Jahrgang 1965 und freier Fotograf in Hamburg, lebte ein halbes Jahr auf Java und kehrt seither regelmäßig zurück. Die Fotos dieser Reportage zeigte er im Hamburger Museum für Völkerkunde. Schirmherr und Ehrengast der Ausstellung war der Sultan von Yogyakarta, der eigens für dieses Ereignis in die Hansestadt gereist kam.
Person Von Maik Brandenburg und Michael Hagedorn