Lichtspiel am Riff

Die Natur spendiert keine überflüssigen Extras. Wenn Korallen fluoreszieren, hat das sicher einen Grund. Nur, welchen?

Sind das wirklich Korallen und Seeanemonen? Manche der Bilder, die Reinhard Dirscherl im Korallenriff schießt, sehen eher aus wie die retuschierten Aufnahmen aus dem Elektronenmikroskop, auf denen Bazillen und Milben in wilden, aber leider computergenerierten Farben strahlen. Doch die leuchtenden Neontöne der Nesseltiere auf Dirscherls Fotos sind echt. Bis es ihm gelang, sie auf Film zu bannen, feilte der vielfach ausgezeichnete Unterwasserfotograf vier Jahre lang an der richtigen Technik.

Zu seiner Ausrüstung gehören ein Unterwasserblitzgerät und eine Filterfolie, die nur den – für unser Auge unsichtbaren – ultravioletten Anteil des Lichtspektrums passieren lässt. Denn die leuchtenden Farben der Tiere beruhen auf dem physikalisch-chemischen Phänomen der Fluoreszenz: Pigmente im Körpergewebe absorbieren das kurzwellige, energiereiche UV-Licht und geben es fast zeitgleich wieder ab – allerdings mit einer deutlich höheren, im sichtbaren Teil des Spektrums liegenden Wellenlänge. Besucher von Diskotheken kennen den Effekt: Während manche Materialien im UV-Licht von Schwarzlichtlampen leuchten, bleiben nicht fluoreszierende Gegenstände dunkel.

Dass sich auch Nesseltiere zum Leuchten anregen lassen, entdeckte der Brite Charles Phillips 1927 bei einem Strandspaziergang. Phillips fiel die eigentümlich schimmernde Färbung einiger Seeanemonen in einem Tidentümpel auf. Er nahm eines der Tiere mit nach Hause und bestrahlte es mit einer UV-Lampe, einem damals unter Bildungsbürgern weit verbreiteten Wissenschaftsspielzeug. Die Anemone leuchtete in intensivem Grün; eine Entdeckung, die Phillips eine Publikation im schon damals renommierten Fachblatt „Nature“ einbrachte.

Seither haben sich viele Wissenschaftler mit den fluoreszierenden Eigenschaften von Korallen, Anemonen und Quallen beschäftigt. Es zeigte sich, dass viele Nesseltiere in grünen, blauen, gelben und roten Farbtönen fluoreszieren und dass dieses Leuchten seinen Ursprung meistens in speziellen Eiweißstoffen hat, den fluoreszierenden Proteinen.

Das Grün Fluoreszierende Protein (GFP) der Qualle Aequorea victoria machte in den neunziger Jahren sogar Karriere und ist heute aus der molekularbiologischen Forschung nicht mehr wegzudenken: Die für das GFP kodierende Erbinformation lässt sich nämlich fast beliebig an andere Gene koppeln und wird mit diesen zusammen von den Zellen des Körpers abgelesen. Unter dem Fluoreszenzmikroskop lässt sich dann etwa grün leuchtend erkennen, in welchem Organ einer Fruchtfliegenlarve GFP und das damit verknüpfte Zielprotein hergestellt wurden.

Auch bei der Erforschung des Ökosystems Riff nutzen Forscher die Fluoreszenz der Korallen, etwa wenn es darum geht, wie effizient sich alte Korallenriffe erneuern. Während Jungkorallen mit bloßem Auge frühestens ab einer Größe von etwa einem halben Zentimeter und einem Alter von knapp einem Jahr zu erkennen sind, fallen unter UV-Licht schon Winzlinge von einem Millimeter Durchmesser als kleine Lichtpunkte auf, die gerade erst ihre frei schwimmende Lebensweise aufgegeben und sich auf dem felsigen Untergrund niedergelassen haben.

Biologen freuen sich über die Werkzeuge, die ihnen die Fluoreszenz in die Hände legt. Doch auch knapp 80 Jahre nach der Entdeckung des Phänomens ist eine Frage weiter ungelöst: Wozu die ganze Lightshow? Aequorea und einige anderen Quallenarten sind nicht auf UV-Licht angewiesen, um zu leuchten. Bei Berührung regt eine chemische Reaktion ihre Pigmente zum Aussenden von Lichtblitzen an, mit denen sie vermutlich bei Nacht oder in der Tiefsee Angreifer verwirren wollen.


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mare No. 52

No. 52Oktober / November 2005

Von Georg Rüschemeyer und Reinhard Dirscherl

Der Biologe Georg Rüschemeyer, geboren 1970, arbeitet als Wissenschaftsjournalist in Leipzig. Die leuchtenden Korallenpigmente waren ihm zuletzt während seines molekularbiologischen Praktikums begegnet, als er grün schimmernde Fliegenlarven studierte.

Reinhard Dirscherl, Jahrgang 1964, ist freier Fotograf in München. Für die Korallenbilder tauchte er im indonesischen Komodo-Nationalpark 40 Meter tief.

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Vita Der Biologe Georg Rüschemeyer, geboren 1970, arbeitet als Wissenschaftsjournalist in Leipzig. Die leuchtenden Korallenpigmente waren ihm zuletzt während seines molekularbiologischen Praktikums begegnet, als er grün schimmernde Fliegenlarven studierte.

Reinhard Dirscherl, Jahrgang 1964, ist freier Fotograf in München. Für die Korallenbilder tauchte er im indonesischen Komodo-Nationalpark 40 Meter tief.
Person Von Georg Rüschemeyer und Reinhard Dirscherl
Vita Der Biologe Georg Rüschemeyer, geboren 1970, arbeitet als Wissenschaftsjournalist in Leipzig. Die leuchtenden Korallenpigmente waren ihm zuletzt während seines molekularbiologischen Praktikums begegnet, als er grün schimmernde Fliegenlarven studierte.

Reinhard Dirscherl, Jahrgang 1964, ist freier Fotograf in München. Für die Korallenbilder tauchte er im indonesischen Komodo-Nationalpark 40 Meter tief.
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