LF Siggi, bitte kommen!

Die Ägäisinsel Ikaria leidet seit Jahren unter einer miserabel ausgerüsteten Feuerwehr, die Bewohner stehen den allsommerlichen Waldbränden hilflos gegenüber. Jetzt kommt Rettung in Form eines bestens ausgestatteten Feuerwehrwagens – aus Bremen

Als sich Ikarus bei der Flucht aus seinem Gefängnis mit selbst gefertigten Flügeln zu sehr der Sonne näherte, schmolzen seine Flügel aus Wachs, und er stürzte tödlich ins Meer. Die Bewohner der kleinen griechischen Insel Ikaria, die ihren Namen jener Sage verdankt, sagen, es sei direkt vor jenem brandungsumtosten, vorgelagerten Felsen unweit des Amphitheaters passiert.

Dass wer der Hitze zu nahe kommt, daran verbrennt, wissen auch die tapferen Männer der freiwilligen Inselfeuerwehr, die den regelmäßigen Waldbränden seit Jahren mit hoffnungslos veralteter Ausrüstung entgegentreten müssen. Zwar verfügen sie über eine Handvoll Feuerwehrwagen, die jedoch wegen ihres hohen Alters überwiegend defekt und praktisch unbrauchbar sind. Meist fahren sie deshalb mit eigenen Pick-ups, auf die ein Wassertank gezurrt ist, und gehen in T-Shirt und Latzhose ins Feuer. Ein bisschen ist es wie mit den Flügeln des Ikarus: im Grunde eine Materialfrage.

So beginnt die folgende Geschichte vor etwa zweieinhalb Jahren im Inselcafé „Neon“, in dem Sigrid Schöne, Mitarbeiterin der Redaktion mareRadio bei Radio Bremen, und ihr griechischer Gatte von den widrigen Umständen erfahren, unter denen die Feuerwehrleute hier arbeiten müssen. Die Brände werden meist verursacht durch Funkenschlag an den Isolatoren der Überlandstromleitungen, genährt werden sie durch starke Sommerwinde. Bei einem der größten Brände, im Jahr 1993, fanden 14 Menschen in den Flammen den Tod. Was wäre, denkt sich da das deutsch-griechische Paar, wenn man ein ausgemustertes Löschfahrzeug aus Deutschland hierherbringen könnte?

 

 

Auf Umwegen entsteht der Kontakt zu dem Bremer Feuerwehrmann Hans-Werner Freese, der sofort Feuer und Flamme für die Idee ist. Auch deshalb, weil es ihn seine nahe Pensionierung vergessen lässt, die wie ein tiefes Loch vor ihm liegt, das er am liebsten überspringen würde. In wochenlanger Kleinarbeit rüstet er das knallrote Mercedes-Löschfahrzeug LF 16 TS auf, das bei der Freiwilligen Feuerwehr Bremen-Oberneuland immerhin 27 Jahre gute Dienste tat. Nachdem er Hand angelegt hat, verfügt es nun über 600 Meter Schlauch und eine besonders starke Pumpe, die 2400 Liter Wasser in der Minute liefert. Am Ende hat Brandamtsrat Freese, weil er die Dinge gerne gründlich macht, auch noch 20 Schutzanzüge, Feuerlöscher, eine Kettensäge und ein Notstromaggregat mit eingepackt.

Unterdessen veranstalten die Dorfvereine auf Ikaria opulente Nudelessen, bei denen sie Spenden für die Reise sammeln, denn der Feuerwehrwagen muss ja noch irgendwie auf die Insel gebracht werden. Und natürlich bezahlt. Das übernimmt mare-Verleger Nikolaus Gelpke, der die Sache scherzhaft auf den Nenner bringt: „Merkel redet, mare hilft!“

Und dann stehen sie auf einmal in Bremen: Vangelis Yanouzos und Nikos Randas, zwei Männer der freiwilligen Feuerwehr Ikaria, die nie zuvor in Deutschland waren. Yanouzos ist im Hauptberuf Angestellter auf einem Bauhof, Randas selbstständiger Bauunternehmer. Sie staunen über die Fachwerkhäuser im Schnoorviertel und die grünen Wiesen, die es auf ihrer Insel wegen der sengenden Sonne nicht gibt, über die guten Straßen, die Ordnung und ihre deutschen Kollegen, die so viel schönere Uniformen haben als sie selbst. Als das hochglanzpolierte Löschfahrzeug mit Allradantrieb und 170 PS vor ihren Augen aus der Halle fährt, überschlagen sie sich fast vor Freude. „Siggi“ soll der Wagen heißen, sagt Randas, weil sie ihn ohne Sigrid ja gar nicht bekommen hätten.

Drei Tage später auf der Autobahn. 3000 Kilometer liegen vor den beiden griechischen Feuerwehrleuten, vor Hans-Werner Freese und Wassili, Sigrids Ehemann, der als Dolmetscher und Problemlöser mitfährt. Einmal quer durch Europa mit einem Fahrzeug, das eigentlich nicht für lange Strecken ausgelegt ist. Die Route führt über Süddeutschland, Österreich nach Italien. Von dort geht es mit der Fähre nach Patras und über den Hafen in Piräus weiter nach Ikaria. Dazwischen liegen etwa 1200 Zigaretten.

Sigrid hat 48 Frikadellen gemacht, Sandwiches und Unmengen von Kartoffelsalat. Da sie keinen Kocher dabei haben, gießen die Männer in einer Plastikflasche löslichen Kaffee mit kaltem Wasser auf. Schmeckt nicht, aber erfüllt seinen Zweck. Je länger sie fahren, desto mehr brennt sich der 170-PS-Dieselmotor frei. „Ne richtige Rennziege“, sagt Freese. Meist fahren sie um die 90 Kilometer in der Stunde. Nachdem sie am ersten Tag satte 800 Kilometer zurücklegen, weicht die Skepsis der Zuversicht. Auch Sprachprobleme scheint es keine mehr zu geben. Freese: „Feuerwehrleute verstehen sich blind.“


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mare No. 96

No. 96Februar / März 2013

Von Andreas Wenderoth und Jan Windszus

Andreas Wenderoth, geboren 1965, freier Journalist in Berlin, war schon als Kind fasziniert von der Sage des Ikarus. Jetzt freute er sich, Ikarias raue Schönheit durch die Scheiben eines LF 16 zu ergründen. Für Jan Windszus, Jahrgang 1976, Fotograf in Berlin, war es eine unvergessliche Erfahrung, einen 105-Jährigen zu treffen und seinen Geschichten zu lauschen.

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Vita Andreas Wenderoth, geboren 1965, freier Journalist in Berlin, war schon als Kind fasziniert von der Sage des Ikarus. Jetzt freute er sich, Ikarias raue Schönheit durch die Scheiben eines LF 16 zu ergründen. Für Jan Windszus, Jahrgang 1976, Fotograf in Berlin, war es eine unvergessliche Erfahrung, einen 105-Jährigen zu treffen und seinen Geschichten zu lauschen.
Person Von Andreas Wenderoth und Jan Windszus
Vita Andreas Wenderoth, geboren 1965, freier Journalist in Berlin, war schon als Kind fasziniert von der Sage des Ikarus. Jetzt freute er sich, Ikarias raue Schönheit durch die Scheiben eines LF 16 zu ergründen. Für Jan Windszus, Jahrgang 1976, Fotograf in Berlin, war es eine unvergessliche Erfahrung, einen 105-Jährigen zu treffen und seinen Geschichten zu lauschen.
Person Von Andreas Wenderoth und Jan Windszus